Berliner Lehrpersonal und religiöse Symbole: „Jemand mit Kopftuch kann Neutralität nicht glaubhaft vermitteln“
Berliner Justizsenator will Lehrpersonal an Schulen erlauben, religiöse Symbole zu tragen. Selbst Grüne gehören zu den massiven Kritikern dieser Pläne.
Auf scharfe Ablehnung bei Berliner Schulleitern und Schulleiterinnen stößt der Plan von Justiz-Senator Dirk Behrendt (Grüne), noch in diesem Jahr das Neutralitätsgesetz zu novellieren. Das Tragen religiöser Kleidung und Symbolen an Schulen soll demnach erlaubt sein.
Für Karina Jehniche eine „fatale“ Planung. „Die Schule muss ein neutraler Ort bleiben, an dem normale demokratische Werte vermittelt werden“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Interessensgemeinschaft Berliner Schulleiter (IBS) dem Tagesspiegel. Die Pädagogin spricht für rund 300 führende Pädagogen in der Hauptstadt.
Bei ihren Bedenken hat sie sowohl junge Grundschüler und -schülerinnen als auch Jugendliche an weiterführenden Schulen im Auge. „Viele muslimische Schüler im Jugendalter sagen ohnehin, sie heirateten nur eine Frau, die Kopftuch trage, weil die über bestimmte moralische Werte verfüge, sagte Jeniche, die zugleich die Christian-Morgenstern-Schule in Spandau leitet.
Wollen Schüler plötzlich nur noch von Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichtet werden?
Sie sehe die Gefahr, dass Schüler verlangen könnten, nur noch von einer Lehrerin mit Kopftuch unterrichtet zu werden. „Dieser Diskussion würden wir Tür und Tor öffnen, wenn das Neutralitätsgesetz verändert würde. Dann ginge es nicht mehr um pädagogische Fähigkeiten, sondern um die Akzeptanz aufgrund äußerer Symbole.“ Im zweiten Schritt könnten dann Eltern plötzlich verlangen, dass ihre Kinder nur noch von Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichtet werden.
Muslimische Eltern rügen nicht-islamische Kleidung der Schulleiterin
Die Pädagogin hat an ihrer eigenen Schule bereits besondere Erfahrungen mit sehr konservativen muslimischen Eltern gemacht. Bei und nach Elternversammlungen war ihre völlig normale, aber körperbetonte Kleidung Gesprächsthema. Missbilligend wurde von muslimischen Müttern und Vätern registriert, dass sie sich angeblich nicht islamisch genug kleide.
An der Morgenstern-Grundschule hatte auch ein elfjähriger Muslim seine Lehrerin mit Enthauptung gedroht, sollte die Pädagogin darauf bestehen, dass die Eltern des Jungen zu einem Elterngespräch kommen.
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Nächster Problempunkt für Jehniche: „Bisher stelle ich als Schulleiterin in Eigenregie die Pädagogen und Pädagoginnen ein, die ich haben möchte. Ich entscheide nach pädagogischen Gesichtspunkten und schaue, ob jemand ins Team passt. Aber wenn jetzt das Kopftuch getragen werden darf: Muss ich dann jemanden mit Kopftuch quotenmäßig einstellen, obwohl ich von seinen pädagogischen Fähigkeiten nicht überzeugt bin? Und wenn ich es nicht tue, muss ich dann meine Entscheidung sogar rechtfertigen?“
Darf man an einer Schule so private Themen mit Schülern besprechen?
An einer Grundschule gebe es besondere Aspekte zu berücksichtigen. „Für kleine Kind ist die Lehrerin eine wichtige Bezugsperson, sie zieht quasi mit in die Familie“, sagt Jehniche. „Was die Lehrerin sagt, finden sie gut.“ Das Problem beginne, wenn kleine Mädchen und Jungen eine Lehrerin frage, weshalb sie ein Kopftuch trage. „Sie kann dann entweder sagen, sie antworte darauf nicht, oder sie muss dann auf ihre religiöse Einstellung verweisen.
Lassen wir zu, dass in einer öffentlichen Schule solche persönliche religiösen Diskussionen geführt werden? Darf die Schule ein Raum sein, in dem Menschen so private Angelegenheiten mit Schülern besprechen? Wir wollen Anregungen geben und breit humanistisch bilden, aber nicht Kinder in eine Richtung drängen.“
Jeder dürfe natürlich seine Religion frei wählen, aber eine Pädagogin soll nicht in eine bestimmte Richtung drängen. Das gelte für jegliche Religiösen Symbole. Schule habe die Aufgabe, über Religion zu informieren, aber nicht zu bewerten, welche Religion besser ist als andere. „Ich befürchte, dass jemand, der ein Kopftuch trage, diese Neutralität nicht mehr glaubhaft vermitteln kann.“
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Justizsenator Behrendt reagiert mit seinen Plänen auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt. Es hatte im August 2020 entschieden, dass Berlin einer muslimischen Bewerberin für eine Lehrerinnenstelle nicht pauschal das Tragen eines Kopftuchs verbieten darf. Ihr war eine Quereinsteiger-Stelle verwehrt worden.
Das im Berliner Neutralitätsgesetz enthaltene Verbot des Tragens religiöser Symbole im Unterricht stellt laut Gericht einen unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit dar. Die Richter verwiesen auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und forderten, den Gesetzespassus verfassungskonform auszulegen: Nur eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität könne ein Kopftuchverbot begründen.
Auch Geschichtslehrer kritisieren Behrendts Pläne
Kritik an Behrendts Plänen kommt auch von Peter Stolz. „Eine Lehrerin hat alle ihre Schüler und Schülerinnen neutral zu fördern, aber das wird nicht glaubhaft funktionieren, wenn jemand seinen islamischen Glauben so demonstrativ lebt“, sagte der Vorsitzende des Landesverbands Berlin des Verbands der Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer Deutschlands. Für Mädchen werde es noch schwieriger als jetzt schon, sich frei für eine Religion zu entscheiden, wenn ihre Lehrerin ihren Kopf aus religiösen Gründen bedeckt halte.
Und sollte eine Lehrerin mit Kopftuch in einer Klasse mit nahezu ausschließlich muslimischen Jungen und Mädchen unterrichten: „Wie verhält sie sich, wenn es um die Frage geht, wie man den Mord an einem Lehrer wie Samuel Paty bewertet, der wegen Mohammed-Karikaturen ermordet wurde? Argumentiert sie auf dem Boden des Grundgesetzes?“, sagte Stolz.
Sogar die Grünen sind gegen die Pläne des Justizsenators
Selbst bei den Grünen ist Behrendts Pro-Kopftuch-Kurs umstritten. Der Landesarbeitskreise „Säkulare Grüne“ hatte bereits im September per Brief an die Führung der Landespartei dagegen protestiert, dass unter Behrendts Ägide Referendarinnen der Staatsanwaltschaft das Kopftuch in Prozessen erlaubt wurde. In der Justiz war die Erlaubnis als offener Affront gegen die Neutralität einer der zentralen Säulen der Staatsgewalt gewertet worden.
Auch jetzt kritisieren die „Säkularen Grünen“ Behrendts Vorstoß: „Er tummelt sich seit Jahren auf diesem Gebiet. Er möchte wohl in die Berliner Geschichte eingehen, als der, der das Neutralitätsgesetz zerstört hat“, sagte Walter Otte von den „Säkularen Grünen“. Der Senator presche erneut ohne Not vor, obwohl in der Koalition keine Einigkeit bestehe und die Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts noch nicht vorliege. Es gehe auch nicht nur um das Kopftuch und Muslima: „Evangelikale Christen warten nur auf neue Handlungsfelder.“
Otte vermutet, dass Behrendt sich im bevorstehenden Wahlkampf für das Abgeordnetenhaus profilieren und vollendete Tatsachen schaffen will. Denn Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte angekündigt, die Entscheidung aus Erfurt prüfen zu lassen – wobei Fachleute bezweifeln, dass sie überhaupt das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof anrufen kann.
Grünen befürworten angeblich das Neutralitätsgesetz
Otte sprach zudem von Indizien aus den Kreisverbänden, dass die einfachen Parteimitglieder die Sache anders sehen als Behrendt und gegen religiöse Symbole in Schulen sind. Die „Säkularen Grünen“ erwägen bereits, einen Mitgliederentscheid in die Wege zu leiten. Bei der Initiative „Pro Berliner Neutralitätsgesetz“ wird über ein Volksbegehren nachgedacht. Behrendts Zeitplan, die Novelle bis zur Abgeordnetenhauswahl im September durch das Parlament zu bekommen, ist ohnehin sehr eng.
Neuköllns Bürgermeister plädiert für neutralen Staat
Die SPD, die bislang gegen eine Aufweichung des Neutralitätsgesetzes ist, hielt sich bedeckt. Lediglich die Neuköllner Genossen äußerten sich, Tenor: „Religion muss Privatsache bleiben.“ Die staatliche Neutralität schaffe erst die Grundlage für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ohne religiöse Beeinflussung. „Diese pluralistische Gesellschaft braucht einen neutralen Staat, um Raum für Vielfalt zu geben", sagte Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD). Neuköllns Bildungsstadträtin Karin Korte erklärte: „Schulen müssen ein neutrales Umfeld bieten, in dem unsere Kinder frei von religiöser Beeinflussung lernen können. Das Neutralitätsgesetz hilft uns, Schulen hierbei zu stärken und zu unterstützen.“
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