Von wegen konsequent: Giffeys Rücktritt kommt zu spät, um ehrlich zu wirken
Franziska Giffey befreit sich von der Vergangenheit und will in Zukunft trotzdem Berlin regieren. Dahinter steckt knallhartes Kalkül. Ein Kommentar.
Es dauerte keine halbe Stunde, da ließ die Berliner SPD verkünden, dass sie selbstverständlich an ihrer Spitzenkandidatin festhalten wird. Franziska Giffey lässt schon jetzt, gut vier Monate vor der Wahl, das Familienministerium und die große Hauptstadt hinter sich und kehrt in ihr Berlin zurück.
Volle Kraft voraus, lautet die Erzählung, Neuanfang im Lokalen. Der bald endgültig aberkannte Doktortitel soll mit viel Herz und vielen Herzen ausgeglichen werden. Berlin wird das schon verstehen, oder etwa nicht?
Eher ja, muss die Antwort wohl lauten. Zwar gibt es vor allem in akademischen Kreisen viele, für die die SPD mit dieser Kandidatin völlig zurecht unwählbar sein wird – was angesichts der sozialdemokratischen Erfolge der vergangenen Jahre im Berliner Wissenschaftsbereich äußerst schmerzhaft sein muss.
Vielen anderen scheint dieses unendliche Doktordrama aber seit langem schon herzlich egal zu sein. Einen negativen Giffey-Effekt hat die Affäre jedenfalls bislang nicht: Die Umfragewerte stiegen zuletzt sogar leicht, die SPD steht in Berlin deutlich besser da als im Bund, obwohl längst klar ist, dass die Spitzenkandidatin zumindest unsauber gearbeitet hat und deswegen ihren Titel seit einem halben Jahr nicht mehr trägt.
Jetzt als Berliner Spitzenkandidatin zurücktreten? Undenkbar!
Richtig machen konnte es Franziska Giffey nach dem völlig verkorksten Verfahren der Freien Universität ohnehin nicht mehr. Nicht als Familienministerin zurücktreten? Wortbruch! Auch als Berliner Spitzenkandidatin zurücktreten? Undenkbar! Es hätte die SPD vier Monate vor der Abgeordnetenhauswahl, wo doch die Programme längst gedruckt und die roten Herzen aufgepinselt sind, ins völlige Chaos gestürzt.
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Franziska Giffey aber sagt: Sie können sich auf mich verlassen! Sie stehe zu ihrem Wort. Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Konsequenz – so will sie diesen Rücktritt nun gern interpretiert wissen.
Allerdings hat diese Erzählung einen Schönheitsfehler – und das auch, wenn man den wissenschaftlichen Betrug als Ausgangspunkt rausrechnet: Der Rücktritt kommt viel zu spät, als dass man ihr die ehrliche Geste abnehmen könnte.
Glaubwürdig wäre es vielleicht gewesen, das Ministerium gemeinsam mit dem Titel im November abzulegen. Doch dann wäre es vermutlich auch mit Berlin nichts mehr geworden. Und so blitzt hinter all den Herzen dann doch knallhartes politisches Kalkül hervor: Wort halten und weitermachen. Einmal Giffey halb und halb, ein bisschen von allem. Passt doch zu Berlin.
Die Beliebtheit der Kandidatin überstrahlt alles
Oder Berlin macht es sich mal wieder passend. Die SPD jedenfalls hat sich in vollem Bewusstsein in diese Situation begeben, wissend dass am Ende eine Regierende Bürgermeisterin vom Balkon lächeln könnte, der Betrug nachgewiesen wurde.
Denn auch der wird durch den Rücktritt nun quasi besiegelt: Giffey steht nun – egal, wie kurz ihre Amtszeit noch gewesen wäre – in einer Reihe mit Karl-Theodor zu Guttenberg und Annette Schavan.
Warum nun ausgerechnet bei ihr alles anders sein soll, kann auch in der SPD bis heute niemand glaubwürdig erklären, außer vielleicht mit der Wahrheit: Die Beliebtheit der Kandidatin überstrahlt alles und ist – angesichts einer ziemlich dünnen Regierungsbilanz und der chronischen Unbekanntheit der politischen Gegner – die einzige Chance, überhaupt wieder ins Rote Rathaus einzuziehen.
Dazu passt auch, dass sich nun alle noch mehr um sie zu versammeln scheinen. Respekt und Anerkennung bekommt sie, selbst aus den Reihen der kritischen Parteilinken kommt am Mittwoch kaum Kritisches. Eher scheint es, als wäre sie im Rücktritt noch ein wenig mehr zu ihrer Kandidatin geworden.
Mehr Zeit für den Wahlkampf hat sie nun jedenfalls, wenn auch keine große Bühne für schöne Fototermine mit lachenden Kindern mehr. Ihr Ministerium wird übrigens nicht neu besetzt, die Justizministerin wird es mitübernehmen. Aufgrund eines wahltaktischen Manövers haben Kinder und Jugendliche mitten in der Pandemie nun keine starke Vertretung mehr. Doch das nur als Fußnote.