Plagiatsaffäre der Familienministerin: Franziska Giffey verzichtet auf ihren Doktortitel – SPD greift FU an
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gibt ihren Doktortitel ab. Der Berliner Innensenator übt Kritik an der Freien Universität.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat im Zuge der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit erklärt, dass sie künftig auf ihren Titel verzichtet. Das teilte Giffey dem Präsidenten der Freien Universität Berlin, Günter Ziegler, am Freitag mit. Die FU bestätigte auf Tagesspiegel-Anfrage, das Schreiben von Giffey erhalten und "zur Kenntnis genommen" zu haben.
Sie habe sich zu dem Schritt entschieden, um weiteren Schaden von ihrer Familie und ihrer politischen Arbeit sowie ihrer Partei abzuwenden, heißt es in dem Schreiben, über das zuerst "Funke Medien" berichtet hatte.
Die Familienministerin, die künftig auch die Berliner SPD führen soll, betonte in ihrer Erklärung, sie habe ihre „Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen" verfasst. Aber: "Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Mensch ausmacht, liegt nicht in diesem akademischen Grad begründet."
Sie werde ihre Arbeit als Bundesministerin fortsetzen, kündigte Giffey an. Noch im vergangenen Jahr hatte die Sozialdemokratin ihren Rücktritt als Ministerin in Aussicht gestellt, falls ihr der Titel aberkannt werden würde. Giffey war der Doktorgrad am 16. Februar 2010 von der FU verliehen worden. Das Thema ihrer Dissertation lautete „Europas Weg zum Bürger – Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft“.
Erleichterung in der Berliner SPD
In der Berliner SPD gab es erleichterte Reaktionen, in der Partei hatte man immer ungeduldiger auf eine öffentliche Reaktion der künftigen Spitzenkandidatin gewartet.
Im Landesverband setze man weiterhin auf Giffey als Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021. „Wir haben das heute Morgen auch noch einmal im geschäftsführenden Landesvorstand besprochen und sie unserer Solidarität versichert, und wir gehen fest davon aus, dass sie auch unsere Spitzenkandidatin wird“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende und Innensenator Andreas Geisel am Freitagnachmittag.
„Es ist nur konsequent und richtig gewesen“, sagte Geisel zu Giffeys Entscheidung. „Es macht sie politisch nicht aus, einen solchen Titel zu haben“, so der SPD-Politiker. „Es gab eine ganze Menge Vorwürfe und Beschuldigungen. Dass Frau Giffey sagt, sie will Schaden abwenden, das kann ich absolut nachvollziehen. Das war eine kluge und souveräne Entscheidung, die sie getroffen hat.“ Er sage das auch vor dem Hintergrund des Verhaltens der Freien Universität. „Die haben ein Prüfungsverfahren gehabt, haben entschieden, Frau Giffey konnte auf das Ergebnis vertrauen“, so der Innensenator. Dieses Verfahren ohne neuen Sachverhalt wieder aufzunehmen, sei schon seltsam.
Helmut Kleebank, Bürgermeister von Spandau, twitterte: "Sehr respektable Entscheidung. Franziska Giffey ist und bleibt die Beste für Berlin!"
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Mit Sven Kohlmeier äußerte sich ein langjähriges Mitglied der Berliner Abgeordnetenhausfraktion zur Entscheidung Giffeys. "Ich habe Respekt vor der Entscheidung von Franziska. Die Rolle rückwärts der FU hätte die politische Debatte in den nächsten Monaten bestimmt, deshalb ist der Schritt nachvollziehbar", erklärte Kohlmeier. Er merkte an: "Franziska wird die erste und beste Regierende Bürgermeisterin von Berlin."
SPD-interne Erklärung: "Unheimliche Emotionalität"
In Berliner SPD-Kreisen war unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung Giffeys von einem "Befreiungsschlag" die Rede. Nachdem sich Giffey einer ausgewählten Gruppe von Abgeordneten und Funktionären der Partei erklärt hatte, war von "unheimlicher Emotionalität" die Rede. Selbst als Kritiker der designierten Landesvorsitzenden und Spitzenkandidatin der Berliner Sozialdemokraten bekannte Parteimitglieder hätten sich beeindruckt gezeigt.
Iris Spranger, stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner SPD und zuletzt eine der wenigen, die Giffey auch öffentlich die Treue hielten, sagte dem Tagesspiegel: "Ich finde die Entscheidung sehr, sehr richtig und respektabel. Franziska Giffey hat damit wieder das Heft des Handelns in die Hand genommen. Sie wird für die anstehenden Aufgaben eine sehr große Unterstützung erfahren." Wie vor ihr schon andere Teilnehmer einer SPD-internen Schalte berichtete Spranger von großem Zuspruch für die Entscheidung Giffeys und erklärte: "Es gab nie einen Plan B zu Frau Giffey. Sie war immer unser Plan A und B."
Giffey gilt als mögliche Nachfolge-Kandidatin für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD). Ende November kandidiert sie zusammen mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh als neue Doppelspitze des SPD-Landesverbandes.
Doktortitel: Zurückgeben nein, Verzicht ja
Ob Giffey den Doktortitel führt – also etwa mit „Dr. Giffey“ unterschreibt, wie sie es bisher immer gern getan hatte – ist tatsächlich ihr selbst überlassen. Förmlich zurückgeben kann sie den Titel nicht. Denn bei der Verleihung des Doktorgrades handelt es sich um einen Verwaltungsakt, den nur die ausstellende Behörde – also die FU – zurücknehmen kann. Giffeys Ankündigung entbindet die FU also nicht davon, die Arbeit zu prüfen.
Prüfer der Universität hatten an 27 Stellen der Arbeit "objektive Täuschung" gesehen und zunächst eine Rüge ausgesprochen. Erst in der vergangenen Woche hatte die FU angekündigt, die vor einem Jahr erteilte Rüge zurücknehmen und das Plagiatsverfahren noch einmal neu aufrollen zu wollen.
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Damit revidiere das Präsidium den vor einem Jahr einstimmig gefassten Beschluss "und seine bisherige fachliche und rechtliche Auffassung ohne Vorliegen eines neuen Sachverhalts. Das nehme ich zur Kenntnis", teilte Giffey dazu am Freitag mit. Die Universität habe ihr vor einem Jahr mitgeteilt, dass eine Entziehung des Doktorgrades nicht als verhältnismäßig angesehen werde. "Ich habe auf diesen Entschluss vertraut", so die Bundesfamilienministerin.
Im Kern geht es bei der erneuten Prüfung um die Frage, ob es sich in der Arbeit von Giffey um schwere oder minderschwere Plagiate handelt. Vorangegangen waren hitzige Debatten, ob die FU die Rüge überhaupt hätte erteilen dürfen, obwohl diese im Berliner Hochschulgesetz gar nicht vorgesehen ist. Der Staatsrechtler Ulrich Battis hatte im Auftrag der FU schließlich geurteilt, prinzipiell sei eine Rüge möglich – aber eben nur in einem minderschweren Fall. Konkret zum Fall Giffey äußerte sich Battis dabei nicht.
Welches Ergebnis die erneute Prüfung haben wird, ist derzeit unklar
Die FU teilte mit der Zurücknahme ihrer Rüge lediglich etwas kryptisch mit, dass ein minderschwerer Fall „im Schlussbericht des Prüfgremiums für die Dissertation nicht dargetan worden“ sei und aus Sicht des Präsidiums daher eine erneute Prüfung durchzuführen sei. Die Formulierung ließ offen, ob die Täuschungen für das Präsidium schwer oder weniger schwer wiegen und wie umfangreich das erneute Prüfen ausfallen wird - alles Fragen, die das FU-Präsidium bis heute nicht beantwortet hat.
An der Uni halten es viele inzwischen für völlig offen, zu welchem Ergebnis die erneute Prüfung führt. Es könnte also auch der kuriose Fall eintreten, dass die FU den Titel auch nach der zweiten Prüfung nicht entzieht – Giffey aber auf sein Führen verzichtet hat.
Ein externes von der CDU in Auftrag gegebenes Gutachten war vor einigen Wochen zu dem Schluss gekommen, dass Giffey der Doktortitel aberkannt werden sollte – eine Überzeugung, die auch viele Forschende geäußert haben. Denn in der ersten FU-Prüfung fanden die Gutachtenden 27 Stellen, an denen sie von „objektiver Täuschung“ ausgehen, und zahlreiche weitere nicht ganz so eindeutige Stellen. Giffey sei mit „bedingtem Vorsatz“ vorgegangen, die Mängel hätten „systematischen Charakter“, heißt es in dem ersten Prüfbericht, den die FU erst nach einer Klage des Asta öffentlich machte.
Auch Opposition und Wissenschaft reagieren auf den Verzicht
„Frau Giffey hat es richtig formuliert. Sie verzichtet darauf, den Doktortitel zu führen. Man kann aber nicht auf den Doktorgrad verzichten. Und deshalb hat sich das Verfahren an der FU auch nicht erledigt“, sagte Gerhard Dannemann, Juraprofessor an der Humboldt-Universität und engagiert bei VroniPlag Wiki, dem Portal, das die Plagiatsvorwürfe gegen Giffey erhoben hatte.
Der Politikwissenschaftler und Emeritus des Otto-Suhr-Instituts, Hajo Funke, nennt Giffeys Schritt „eine souveräne, kluge politische Entscheidung“, die die Bundesfamilienministerin „hoffentlich gerade noch rechtzeitig getroffen“ habe. Der Druck auf Giffey habe zuletzt immer mehr zugenommen, auch weil weder die Vorgänge am Otto-Suhr-Institut noch im FU-Präsidium „sachdienlich waren, eine öffentlich anerkannte Entscheidung zu fällen“. Die Senatskanzlei Wissenschaft wollte sich auf Anfrage erneut nicht äußern.
„Der Schritt von Frau Giffey ist folgerichtig und überfällig. Wir erwarten, dass das Verfahren der Freien Universität jetzt frei von politischem Einfluss zu Ende geführt wird. Die Rolle der Wissenschaftsverwaltung im Zusammenhang mit dem Verfahren ist umfassend aufzuklären. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit“, sagte Stefan Evers, Generalsekretär der Berliner CDU.
Berlins Kultursenator und designierter Spitzenkandidat der Linkspartei für die Abgeordnetenhauswahl, Klaus Lederer, kommentierte den Schritt auf Twitter ironisch mit den Worten: "Es wurde uns ja schon in Aussicht gestellt, dass der November ein Monat des Verzichts werden würde..."
Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, kommentierte auf Twitter: "Akademische Grade kann man nicht zurückgeben, (kann) nur die Universität aberkennen. Auf das Führen des Grades zu verzichten, ist rein symbolischer Akt. Unterm Strich bleiben Schäden und Fragen an Uni, Doktormutter, Ministerin. Menetekel für Promotionen."
Rücktrittsforderungen kamen aus der Berliner AfD-Fraktion. Martin Trefzer, Wissenschaftsexperte der Fraktion, twitterte: „Giffeys Verzicht auf den Doktortitel kommt zu spät und entspringt rein taktischen Überlegungen. Sie muss als Bundesfamilienministerin zurücktreten und kann nicht für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kandidieren."
Auch der AfD-Fraktionsvize im Bundestag, Peter Felser, forderte Giffeys Rücktritt. Der Verzicht auf den Doktortitel sei ein eindeutiges Schuldeingeständnis. Darum könne der Verzicht auf den Ministersessel nur die logische Folge sein. (mit dpa)