Kiezspaziergang mit André Herzberg: Gemäßigtes Chaos in Pankow
Er ist Musiker, Buchautor, in der DDR geboren und hat jüdische Wurzeln. Mit „Pankow“-Frontmann André Herzberg durch Geschichte und Gegenwart des Bezirks
Es ist neun Uhr morgens am Café im Bürgerpark, ein Mann kommt angejoggt. Schwarzer Pulli, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Eine Sonnenbrille verdeckt Augen, die schon einiges gesehen haben. Sie gehören André Herzberg, dem Sänger der legendären Ost-Berliner Band „Pankow“, die einst mit Alben wie „Aufruhr in den Augen“ in Parteikreisen nicht nur Applaus hervorrief. Allein der Name: „Pankow“, ein West-Synonym für das DDR-Regime unter Einbeziehung von „Punk“.
Fast vier Jahrzehnte nach der Band-Gründung später lebt André Herzberg noch immer in Pankow, aber in einer anderen Welt. Sein ganzes Leben hat er im heutigen Bezirk verbracht: Aufgewachsen ist er an der Berliner Allee in Weißensee. Streng, kleinbürgerlich, spießig sei es da zugegangen, sagt er. Dagegen rebellierte er mit kleinen Aktionen wie dem Anstreichen von Rechtschreibfehlern auf Hausmeisteraushängen.
So machte er auch später als Musiker weiter. Oft eckten „Pankow“ an, meist kamen sie durch, weil sie es gewitzt taten. Denkwürdig war der Auftritt 1983 im Palast der Republik, in dem Herzberg in Wehrmachtsuniform vielsagende Parolen rief und den Funktionären die Parallelen zwischen dem Dritten Reich und der DDR vor Augen führte. Die Liveübertragung des Konzerts wurde abgebrochen.
Im Vergleich zu Weißensee empfand Herzberg das Leben am Schlosspark Schönhausen im Herzen Pankows als deutlich weltläufiger: „Da war man bürgerlicher und nicht ganz so ängstlich.“ Und das, obwohl das alte Machtzentrum der DDR, der Majakowskiring, nur einen Steinwurf entfernt lag. Die SED-Granden waren da aber schon längst gen Wandlitz weitergezogen.
Später ging Herzberg nach Prenzlauer Berg in die Stargarder Straße. „Damals haben dort nur Prolls gewohnt“, sagt er liebevoll. Hin und wieder verschlägt es ihn noch „in die Stadt“, wie er alles südlich des Bahnhofs Pankow nennt. Manchmal ist er mit dem Rad wie früher auf der Schönhauser Allee unterwegs, aber „auf Dauer wäre es mir da zu hektisch, das würde mich krank machen“.
"Zurückgezogen und bürgerlich"
Seit ein paar Jahren lebt er mit seiner Familie in der Florastraße am Bürgerpark, „zurückgezogen und bürgerlich“. Eine angenehme Mischung gebe es hier, findet der 62-Jährige: „Es ist urban, aber nachts so verpennt wie auf dem Dorf.“ Hier hat er seinen Platz zwischen Aufruhr und Bürgerlichkeit, Wandel und Kontinuität, zwischen einst und morgen gefunden. „Gemäßigtes Chaos“, nennt er das. „Ich mag das bis zu einem gewissen Grad, das regt mich an. Hier kann ich mein Innerstes am besten ausbeuten.“
Der Bürgerpark bildet so etwas wie das Kraftzentrum seiner Welt. „Im Park ist alles viel langsamer, das beruhigt mich.“ Aber auch dort sieht er den Wandel. Die beschmierten Skulpturen, „das hätte man sich im Osten nicht getraut“. Ein Satz, den man häufig als Kritik hört – Herzberg meint ihn anders. Er wollte es ja bunt.
Im Park läuft er morgens oft seine Runden, um sich fit zu halten und auf künstlerische Ideen zu kommen. Einerseits für die Band, die es wieder gibt. Aber auch als Buchautor und Solomusiker holt er sich Anregungen aus dem Umfeld. Meistens thematisiert er dabei seine eigenen biografischen Brüche, bevorzugt seine in der DDR systematisch verdrängte jüdische Herkunft: „Ich bin ostdeutscher Jude und im Bewusstsein einer feindlichen Umgebung groß geworden.“
Nun lebt er seine spät wiederentdeckten jüdischen Wurzeln aus, so gut es geht. „Nicht im Alltag, ich bin eher ein Feiertagsjude“, sagt er lächelnd. Ein, zweimal pro Jahr geht er in die Synagoge an der Rykestraße. In einem koscheren Laden in der Brunnenstraße kauft er manchmal Matze, ungesäuertes Brot, ein, auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee besucht er seine Angehörigen. Auch in seinem neuen Doppelwerk „Was aus uns geworden ist“ – ein Roman und ein Musikalbum gleichen Namens – geht es um Kinder jüdischer Eltern, die in der DDR aufgewachsen sind. Dahinter steht die Frage: Wo gehören wir hin?
Immer wieder hat Herzberg mit dem Gedanken gespielt, wegzugehen. Nach der Wende trieb es ihn in die USA. Doch nach sechs Wochen schon zog es ihn zurück ins hassgeliebte Pankow. „Ich lebe gern hier, weil mir vieles so vorkommt, als wäre es mir vertraut“, sagt er. „Die Art des Redens, das Ruppige, aber Herzliche, bis hin zu der Art der Gesichter.“
"Als Künstler habe ich durch die Wende etwas eingebüßt"
Auch sein Gesicht kennt man hier. Etwa im „Bier in Pankow“, einem komplett unhippen osteuropäischen Lokal in der Kreuzstraße. Oder im Café Paula, der Eigentümer nickt ihm beim Vorbeigehen zu. An der Schule seiner Tochter werden Herzbergs Lieder im Musikunterricht gesungen, „das berührt mich schon. Man will ja gewertschätzt werden.“
Doch pure Ostalgie ist Herzberg fremd – auch wenn er mit „Pankow“ ungeachtet des latenten Nonkonformismus ein Star war in der DDR. „Klar, als Künstler habe ich durch die Wende etwas eingebüßt“, sagt er. „Aber wenn ich mir vorstelle, bing, das wäre hier wieder DDR – nee, das möchte ich nicht.“ Zu gut erinnert er sich noch an „das Schizophrene, das ständige Nachplappern“. Und an seinen heutigen Kiez, der im Mauerschatten da lag „wie ein totes Stück Stadt“, vor allem die Brehmestraße. „Das war die schlimmste Ecke von Pankow, hier war das Leben zu Ende.“ Er blickt auf die Wollankstraße, die heute Pankow mit Wedding verbindet und gemäßigt großstädtisch brodelt. „Am Bahnhof war die Mauer, davor ist immer ein Abschnittsbevollmächtigter herumgelaufen, der die Leute kontrolliert hat.“ Von seinen Reisen wusste Herzberg, wie es hinter der Mauer aussah. „Lange hätte ich es nicht mehr ausgehalten. Es musste sich etwas verändern.“
Nach der Wende wurde es nicht sofort besser. Herzberg denkt an die Endzeitstimmung zurück. Daran, wie auf dem Nassen Dreieck zwischen den Bahngleisen bergeweise abgebaute Mauerteile gelagert wurden. „Auf der Straße verlassene Autos, in den Häusern verlassene Wohnungen, alle wollten weg.“ Heute gehört der Kiez um die Florastraße zu den begehrtesten Wohnvierteln der Stadt, vor allem bei jungen Familien. „Jetzt ist hier richtig Leben, es pulsiert, als hätte es die 40 Jahre Osten nicht gegeben. Die vielen Kinder, das ist doch großartig.“ Er schaut inzwischen auch gern aus dem Fenster auf das Treiben – das musst er sich antrainieren. Zu Hause war das verpönt, seine Mutter erinnerte es zu sehr an die Blockwartmentalität im Dritten Reich.
Aber Herzberg findet auch: „Leider ist es nicht mehr ganz so sozial wie früher.“ Manche Ecken hätten sich extrem verändert, und dann die Fluktuation, Freunde, die wegziehen. „Wer kein Geld hat, fliegt raus und muss nach Marzahn oder so.“ Hin und wieder sehnt sich auch André Herzberg raus aus Pankow. „Manchmal zieht es mich in die Natur“, sagt er. „Aber ich glaube schon, dass wir hierbleiben. Ich würde das urbane Leben vermissen.“ Einmal Pankow, immer Pankow.
„Was aus uns geworden ist“, Ullstein, 240 Seiten, 22 Euro. Lesung und Konzert, 15. November, 19.30 Uhr, Pfefferberg Theater. Tickets: www.pfefferberg-theater.de.