Johannes Krätschell schreibt und lebt im Pankower Florakiez: Ein Leben in 13187
Johannes Krätschell ist Ur-Pankower und hat einen Roman über seinen Kiez, den Florakiez, geschrieben. Eine anrührende und urkomische Geschichte über eine ungewöhnliche Männerfreundschaft und eine Homage an den Osten der Wendezeit.
Hupe muss es einfach geben! Das wünscht sich wohl jeder Leser des Romans "Herr Schlau-Schlau wird erwachsen" von Johannes Krätschell. Hupe heißt eigentlich Hugo Peter Kleinschmidt, doch im Roman nennen ihn alle nur nach der Abkürzung seiner Vornamen. Also macht das auch sein neuer Nachbar Hannes so. Der ist mit 35 Jahren bei seinen Eltern rausgeflogen und zieht mit seinen 4000 Büchern in die Gaillardstraße. Nicht weit weg von seinem alten Zuhause und doch in eine ganz andere Welt. Die Welt von Hupe - einem etwas schlichten Berliner mit sanfter Berliner Schnauze und ganz viel Herz, der sich als Entrümpler durchs Leben schlägt und Hannes, von Hupes Freunden schon bald liebevoll Herr Schlau-Schlau genannt, fortan beim Erwachsenwerden hilft.
Schon am Umzugstag von Hannes steht Hupe mit Weinbrandbohnen und einer Flasche Kröver Nacktarsch vor der Tür. Und obwohl er nicht ganz nachvollziehen kann, warum sich jemand so viele Bücher in die Wohnung stellt, bietet sich Hupe sofort an, Hannes beim Auspacken zu helfen: "Also uff mich wartet ooch keener und wo ick schon ma da bin, ..." Um halb vier Uhr morgens, als endlich alle Regale gefüllt sind, findet Hupe dann aber doch: "Meine Fresse, dit hat wat. Die janzen Bücher so nebeneinander. Dit hat echt wat."
Hupes Welt ist aber auch der Florakiez. Oder besser gesagt, es war der Florakiez, denn Typen wie er können sich ein Leben in dem angesagten Viertel kaum noch leisten. Johannes Krätschells Erstlingswerk ist so nicht nur eine anrührende und meist hochkomische Geschichte über eine ungewöhnliche Männerfreundschaft, sie ist vor allem eine Geschichte über den Wandel im Florakiez, eine Hommage an den Osten zur Wendezeit und an seine angestammten Bewohner. Und das Schöne ist: Sie kommt auf fast wundersame Weise ganz ohne Gentrifizierungs-Bashing aus.
Krätschell, 40, ist mit den Schauplätzen seines Romans aufgewachsen. Rausgeflogen sei er freilich zu Hause nicht, erzählt er bei einem Kiezspaziergang. Schon mit 19 habe er auf eigenen Füßen gestanden. Bis auf drei Jahre, in denen es ihn ins ferne Wilhelmsruh verschlug, hat sich sein gesamtes bisheriges Leben aber ähnlich wie bei seinem Protagonisten Hannes zwischen der Breiten Straße und der Gaillardstraße abgespielt. Groß geworden ist Krätschell im Pfarrhaus auf der Breiten Straße, wo sein Vater lange als Pfarrer und Superintendent wirkte. Später zog er zwar mehrfach um, doch eben immer innerhalb des vertrauten Kiezes, zweimal allein auf der Gaillardstraße, wo er auch jetzt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern lebt. "Meine Postleitzahl war immer 13187", sagt er nicht ohne Stolz.
Den Wandel des Florakiezes hat Krätschell denn auch hautnah mitbekommen. "Zur Wendezeit gingen hier noch die Frauen in der Kittelschürze zum Markt, heute leben hier vor allem Familien mit zwei Einkommen, die vor der Eigentumswohnung den schwarzen Kombi geparkt haben", erzählt Krätschell. Der Mann hat ein Gespür für anschauliche Bilder. Und für die kleinen Geschichten des Alltags. Die Geschichte von Holgers-Stöber-Shop beispielsweise, in dem im Buch stets ein paar vom Wandel abgehängte Ureinwohner bei einer Flasche Goldbrand zusammensitzen und das Leben der Zugezogenen kommentieren, die auf dem Weg zur Arbeit hier ihre Süddeutsche oder den Tagesspiegel mitnehmen. Einen solchen Laden habe es wirklich gegeben, sagt Krätschell, gleich neben der Eulen-Apotheke auf der Florastraße. Inzwischen hat sich hier ein Versicherungsbüro einquartiert.
Trauern ohne anzuklagen
An der Stelle des alten Kiosks auf der Wollankstraße, der früher Obdachlosen als Unterschlupf diente - im Buch Vogelhaus genannt -, hat eine Baugruppe ein neues Wohnhaus errichtet. Immerhin: Das "Stilbruch", eine Kneipe, in der sich Krätschells Protagonist Hannes hin und wieder mit ehemaligen Schulkameraden vom Ossietzky-Gymnasium trifft, ist noch nicht ganz verschwunden. In dem Gebäude Florastraße/Ecke Görschstraße befindet sich heute das Jugendzentrum Jup, das Stilbruch blieb als Schülercafé für die Gymnasiasten von gegenüber erhalten. "Natürlich trauere ich den alten Zeit nach", sagt Krätschell, der selbst auch auf dem Ossietzky war, "aber es bringt nichts, die Veränderungen anzuklagen." Eine Stadt lebe nun einmal von der Veränderung und vom Austausch. Und auch wenn im Florakiez vieles falsch gelaufen sei, "weil nur Wohnungen für Wohlhabende gebaut wurden", so sei die Gegend in den vergangenen Jahren andererseits auch aufgewertet worden.
Wo Hupe wirklich lebt
Krätschell, so viel ist klar, lebt noch immer gern in seinem Kiez. Und dank eines festen Jobs bei einem Wissenschaftsverlag kann er ihn sich auch noch immer leisten. Schreiben kann Krätschell dagegen bisher nur nebenher. Gemeinsam mit seinem Freund Benjamin Kindervatter tritt er außerdem seit einigen Jahren in Leseduellen auf. Viele seiner dort vorgetragenen Kurzgeschichten handelten schon von Herrn Schlau-Schlau und Hupe und sind in das Buch eingeflossen. "Manchmal", so schreibt Johannes Krätschell im Nachwort zu seinem Roman, "habe ich mir gewünscht, dass Hupe wirklich bei mir klingelt. Doch bisher ist er nicht vorbeigekommen." Er sei sich aber sicher, dass es seinen Helden irgendwo da draußen in der Welt gebe. Und tatsächlich, inzwischen haben sich schon zwei Leser gemeldet, die überzeugt sind, Hupe in ihrer Nachbarschaft erkannt zu haben. Einer wohnt in Charlottenburg, der andere in Leipzig!
"Herr Schlau-Schlau wird erwachsen" von Johannes Krätschell ist im Berliner Verlag Periplaneta erschienen.