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Jubilar. André Herzberg feiert seinen 60. Geburtstag auf der Bühne.
© Ullstein Verlag

Die DDR und der Glaube: Diese unstillbare Sehnsucht

André Herzberg hätte nie gedacht, dass er mal gläubig wird. Doch genau das passierte dem Pankow-Sänger und Autor des Romans "Alle Nähe fern"

Der ist ja gut. Große Pläne für das neue Kalender- oder Lebensjahr? Habe er noch nicht, sagt André Herzberg. Er sei froh, wenn sein Name irgendwo auf einem Konzertplakat stünde und ein paar Leute kämen. Und sonst gelte: „Wer mir das beste Angebot macht, dem werfe ich meine Lebensenergie hinterher. Sollte sich nur halbwegs mit dem decken, was ich kann.“ So spricht der Profi. Pragmatismus, Understatement, die Coolness einer Künstlerkarriere, die schon mehr als 35 Jahre währt – all das steckt in diesen rotzigen Sätzen, die dann doch nur den halben Künstler spiegeln.

Die andere Hälfte treibt eine unstillbare Sehnsucht. Nach Wahrnehmung. Nach dem großen Erfolg, auch international. Danach, der Star sein zu wollen, der Herzberg als Frontmann der DDR-Rockband Pankow in den achtziger Jahren war. „Da war ich ja verwöhnt und habe 300 Konzerte im Jahr gespielt.“ So viele sind es seit dem Mauerfall nie wieder geworden, auch wenn er solo und mit den Bands Pankow und Die 3Highligen regelmäßig tourt.

Sichtbar ist der Musiker und Autor also durchaus. Weil er seinen 60. Geburtstag am 28. Dezember mit befreundeten Musikerkollegen wie Toni Krahl, Dirk Zöllner, Dirk Michaelis und dem jüngst mit dem deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichneten Stefan Stoppok bei einem Konzert in der Kulturbrauerei feiert. Aber vor allem, weil er dieses Jahr nach einem Kurzgeschichtenband und dem Tagebuch „Mosaik“ erstmals einen flächendeckend registrierten Roman veröffentlicht hat.

In der DDR ein Star - als Autor auf der Spur seiner Familie, die ihre Religion verbarg

„Alle Nähe fern“ erzählt die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie von der Kaiserzeit bis heute und ist – obwohl die Protagonisten mit Nachnamen Zimmermann heißen – deutlich autobiografisch inspiriert, wozu André Herzberg ausdrücklich nickt. Heinrich Zimmermann, ein kaisertreuer Weltkriegskämpfer und deutschnationaler Unternehmer, sein links angehauchter Sohn Paul, der sich in der Londoner Emigration zum Kommunisten bekehrt, mit seiner Frau Lea Gründungsmitglied der Freien Deutschen Jugend wird und später in der DDR als strammer SED-Journalist die Indoktrinierung der Bevölkerung vorantreibt und sein Judentum verschweigt – das sind Herzbergs Vater und Großvater. Und Jakob, der in der Mitte des Buches in Ost-Berlin geboren wird und die Zerrüttung der elterlichen Ehe, den latenten Antisemitismus in der DDR, den fast im Selbstmord endenden NVA-Dienst, sowie eine Depression nach dem Zusammenbruch des Landes erleben muss – das ist André Herzberg.

Ein rustikal berlinernder, nachdenklicher Mann in Jeans, der an diesem Dezembervormittag mutterseelenallein im dekorativ heruntergerockten Café der Villa Eden sitzt. In Pankow, klar, seinem alten Kiez, der seiner Band auch den Namen gegeben hat. Der 1955 geborene Herzberg kam nach einem Musikstudium an der Hochschule Hanns Eisler und ersten Musikererfolgen 1981 als Sänger zu der Truppe.

Pankow war eine der bekanntesten Bands des Landes, mit Rocktheaterstücken wie „Paule Panke“ oder „Hans im Glück“, das 2009 eine Neuinszenierung an der Volksbühne erlebte, gleichermaßen musikalisch und formal innovativ. Die politisch subversiven, ja provokanten Songtexte führten immer wieder zu Aufregung bis hinein ins SED-Zentralkomitee und gelegentlich gar zu Veröffentlichungsverboten. Pankow, das waren die Helden einer mit der Revolte liebäugelnden DDR-Subkultur. Und Herzberg ihr schnodderig röhrender, störrischer Vorsänger.

Als Romanautor merkt man seinem stakkatohaften Stil den Songwriter durchaus an. In dem Zusammenhang wird Herzberg grundsätzlich. Die Rezipienten niemals langweilen, das sei sein oberstes künstlerisches Prinzip. Beim Bücher- wie beim Liederschreiben. Unendlich viele Strophen? Bloß nicht. „Deswegen hat mich auch Bob Dylan oft gelangweilt.“ Dann lieber kürzer und mit kraftvollem Refrain, der den Leuten direkt ans Gefühl geht.

Wobei „Alle Nähe fern“ wiederum eher lakonisch als gefühlig ausfällt. Da verdichtet er en passant politische Zeitläufe und Menschenschicksale auf mehreren Kontinenten, was in der ersten Buchhälfte erstaunlich gut funktioniert. In der zweiten verengt sich die Welt dann auf den Ich-Erzähler Jakob und sein Aufwachsen in der DDR, was erzählerisch deutlich dünner ausfällt, aber immer noch ein interessantes ostdeutsches Sittengemälde ist.

Wirklich beeindruckend ist die leise Darstellung des alle politischen Systeme durchziehenden Antisemitismus. Er spiegelt sich in Alltagsszenen wie der auf Seite 151: „Man kann dich an deiner Nase und deinen Locken erkennen, so hat es mir Mutter beigebracht, deshalb reibt sie mir immer abends im Bett wie eine zärtliche Geste die Nase zwischen Zeigefinger und Daumen. Der verräterische Höcker muss weg, es sollte wie eine Stupsnase aussehen, es soll mich doch keiner erkennen.“

Ausgerechnet der Verlust des gehassliebten Landes ist es, der André Herzberg zur Religion bringt. Zu DDR-Zeiten war da ja nichts. Da war es für das Kind eher ein religiöses Erweckungserlebnis, an Vaters Hand an der 1.-Mai-Parade auf der Karl-Marx-Allee teilzunehmen. „Da sah ich auf der ZK-Tribüne nur Strohhüte, Walter Ulbrichts huldvoll winkende Hand und Vaters seliges Lächeln.“ Aus der schweren Depression, dem Gefühl existenzieller Nacktheit, das sich nach dem Mauerfall bei ihm einstellt, hilft ihm – wie dem Romanhelden Jakob – eine 17 Jahre währende Therapie, an deren Ende er zum gelebten Judentum findet. „Endlich habe ich mich wieder vollständig gefühlt“, sagt André Herzberg. Er wird Mitglied der Jüdischen Gemeinde, lässt sich beschneiden und feiert heute mit seiner Familie einmütig den Schabbat, obwohl seine Frau gar keine Jüdin ist.

Nach der Wende der Absturz - und der lange Weg zum gelebten Judentum

Ein Land verloren, einen Glauben gewonnen, es ist schon eine eigenwillige Gleichung, die das Schicksal in Herzbergs Leben aufgemacht hat. Bei einer Stolpersteinverlegung vor der ehemaligen, einst von den Nazis enteigneten Villa der „Zimmermanns“ in Hannover kommen am Ende des Buches dann Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Gelegenheit auch für Herzbergs Eltern, sich spät, aber doch noch zur Familiengeschichte zu bekennen. Was die alten, lange voneinander geschiedenen Sozialisten zu seiner wieder erwachten Religiosität sagen? „Sie belächeln sie ein bisschen.“ Und zum Buch? André Herzberg schweigt vielsagend.

Die Entfremdung der Väter von den Söhnen, schlimmer noch, der Verrat der Väter an den Söhnen ist darin zentrales Thema. So wie ihn Paul an Jakob Zimmermann begeht, als der den einflussreichen Vater bittet, ihm aus dem quälenden Wehrdienst der NVA zu helfen. Paul beschwichtigt den Sohn, verspricht Hilfe, doch nichts geschieht. Viel später fällt Jakob eine an den Kompaniechef gerichtete Anmerkung des Vaters in die Hände. Der hatte seinen Einfluss sehr wohl genutzt und über den Sohn gesagt: „Politisch sehr negative Einstellung. Versucht auf krumme Tour von der Armee zu kommen. Bitte hart mit ihm verfahren!“

André Herzberg: Alle Nähe fern. Roman. Ullstein Verlag, 272 S., 21 €; Konzerte: Herzberg 60, Kesselhaus der Kulturbrauerei, Mo 28.12., 20 Uhr, und Die 3Highligen, Gethsemane-Kirche, Sa 30.1., 20 Uhr

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