Der nächste Großeinsatz in der Rigaer Straße: Eine Ohrfeige für die Berliner Polizei – und Senator Geisel
In der Brandschutzaffäre hat ein Gericht die Position von Polizei und Innenverwaltung komplett zerpflückt. Sie war schlicht verantwortungslos. Ein Kommentar.
Auch in Berlin gilt noch das Recht. Das haben Kammergericht und Verwaltungsgericht mit ihren Entscheidungen zum teilbesetzten Haus in der Rigaer Straße 94 bewiesen. Für die Behörden heißt das: Sie dürfen sich nicht mehr ausruhen im Nichtstun und Zaudern.
Die Gerichte erkennen die britische Eigentümerfirma und deren Anwälte im Gegensatz zu früheren Entscheidungen an. Auf letztere hatten sich Innensenator Andreas Geisel (SPD), die Polizei und der Bezirk stets zurückgezogen, bis zum Schluss, selbst als es um amtlich festgestellte Gefahren für Leib und Leben durch Brandschutzmängel ging. Und obwohl das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ein Einschreiten für zwingend hält.
Nun müssen sich die Behörden auf einen größeren Polizeieinsatz vorbereiten. Die Polizei muss einen Brandschutzexperten und Vertreter des Eigentümers in das teilbesetzte Haus, Hotspot gewaltbereiter Linksextremisten, begleiten. Sie muss Schutz gewähren. So wie es das Gesetz vorsieht.
Vor allem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts offenbart die ganze Misere des bisherigen Behördenpingpongs um die Rigaer 94. Und es zeigt: Die Berliner Polizei und die Verwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) haben bewusst geltendes Recht falsch interpretiert. Das Gericht hat die Darstellung der Polizei komplett zerpflückt. Und damit auch die Position von Innensenator Geisel, der immerhin Chef eines Verfassungsressorts und damit dem Schutz der Rechtsordnung im besonderen Maße verpflichtet ist.
Wie sehr wird die Polizei durch politische Vorgaben gelenkt?
Für Polizei und Innensenator ist der Beschluss der Verwaltungsrichter eine schallende Ohrfeige. Man stelle sich vor: Der Staat weist die Eigentümerfirma unter Androhung von Bußgeld an, Brandschutzmängel zu prüfen und zu beheben, verweigert der Firma aber zugleich den nötigen Schutz vor linksextremistischen Autonomen, um die Anordnung des Staats durchzusetzen.
Das ist nicht nur für jeden Bauherren, Eigentümer oder Privatier absurd, wenn der Staat mit zwei Stimmen zu ihnen spricht. Es ist auch gesetzlich völlig unhaltbar, haben die Verwaltungsrichter festgestellt. Wenn sich also Polizei und Innenverwaltung – gerichtlich bestätigt – absurd, abwegig und gesetzeswidrig verhalten, und das in einem Kernbereich von Polizeiaufgaben, staatlich einfach Gefahrenabwehr verweigern, stellt sich auch hier die Frage: Wie sehr wird die Polizei durch politische Vorgaben gelenkt und von ihrem Gesetzesauftrag abgehalten?
Auch Geisels Pochen auf Rechtssicherheit und die früheren Entscheidungen der Zivilgerichte, die die Eigentümernachweise nicht anerkannt haben, zieht nicht. Denn die Zivilgerichte haben immer nur über das entschieden, was die Anwälte von Eigentümer und Bewohnern vorgetragen haben. Für ihr Schutzersuchen haben die Eigentümer neue Unterlagen und ein Gutachten vorgelegt.
Die Polizei und die Innenverwaltung sind gesetzlich und unabhängig von früheren Entscheidungen der Zivilgerichte verpflichtet, die neuen Belege zu prüfen. Denn hier geht es nicht um das zivilrechtliche Verhältnis zwischen zwei Streitparteien, sondern um das Verhältnis zwischen Staat und Privaten. Doch statt zu prüfen, ruhte sich die Polizei auf den früheren Gerichtsurteilen aus.
Grotesk, was ein Gericht der Polizei und dem Senator sagen muss
Geisels Beharren, dass der Eigentümer in einem Zivilprozess gegen die Bewohner einen Zutritt zum Haus erstreiten müsse, um der Brandschutzanordnung nachzukommen, war völlig neben der Spur. Das haben die Verwaltungsrichter ebenfalls entschieden.
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Denn natürlich hat der Eigentümer Zutritt zu den sogenannten Verkehrs- und Gemeinschaftsflächen der Immobilien, dafür braucht er keinen Gerichtsbeschluss. Ausdrücklich haben die Verwaltungsrichter das in ihren Beschluss geschrieben. Wie grotesk, dass ein Gericht die Polizei und den Innensenator daran überhaupt erinnern muss.
Noch absurder wird es beim Blick auf die Vorgeschichte. Der Bezirk wusste seit 2016 von Brandschutzmängeln, die von den Grünen gestellte politische Führung des Bezirks untersagte der Bauaufsicht aber, ihrer gesetzlichen Pflicht nachzukommen. Nämlich den Eigentümer zu verpflichten, die Mängel zu beheben.
Die Brandschutzaffäre in der Rigaer 94
- Seit Februar 2016 wusste die Spitze des Bezirksamts von den Brandschutzproblemen
- Doch die Bauaufsicht durfte nicht einschreiten –Bezirksbürgermesiterin Monika Herrmann und Baustadtrat Florian Schmidt
- Innensenator Geisel prüfte seit März 2020, ob das Bezirksamt seiner Pflicht zur Gefahrenabwehr nachgekommen ist.
- Im Herbst 2020 widersprach die oberste Landes-Bauaufsicht den Hinhaltemanövern von Herrmann und Schmidt.
- Die ganze Story: Chronik eines Rechtsbruchs – so schützte Florian Schmidt die Autonomen in der Rigaer 94.
- Schmidt gibt nach und verpflichtet Eigentümer: Doch Geisel will den Bezirk losschicken.
- Bezirk sieht Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung – doch die Polizei will nichts tun.
- Tür-Klau im Berliner Besetzerkiez? Das Geheimnis um die Haustür in der Rigaer Straße 94 – weiterlesen bei Tagesspiegel Plus.
Gegenüber dem Innensenator spielte die Bezirksspitze die Brandschutzmängel herunter. Der Innensenator eröffnete deshalb im März 2020 ein Verfahren der Bezirksaufsicht. Das ist ihm anzurechnen, weil er trotz der Widerstände seiner Koalitionspartner von Grünen und Linken überhaupt etwas unternommen hat. Immerhin vier Jahre nach den ersten Hinweisen auf die Probleme beim Brandschutz
Das Bezirksamt geriet unter Druck und war gezwungen, den Eigentümer zum Einschreiten zu verpflichten. Wohlgemerkt – es geht um Gefahrenabwehr. Dafür ist der Staat da. Doch Geisel meinte am Ende einfach, der Bezirk könne doch selbst den Brandschutz prüfen, schließlich seien die Anwälte des Eigentümers bislang nicht legitimiert gewesen.
Oder anders: Der Innensenator war drauf und dran, den Grünen im Bezirk ein faules Ei ins Nest zu setzen. Ausgerechnet die Grünen sollten es verantworten, dass Polizei angefordert werden muss, um den Brandschutz zu prüfen. Es ließe sich als geschickter politischer Schachzug werten, um die Koalitionspartner in die Mitverantwortung zu nehmen. Oder ist es nur ein plumper Versuch, nicht selbst die Verantwortung zu übernehmen?
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Geisel hatte gesagt, der Senat wolle die Rigaer 94 gern kaufen. Es gehe darum, die Lage im Friedrichshainer Nordkiez zu befrieden. Die Eigentümeranwälte nahmen deshalb Kontakt zum Senat auf. Doch der wies die Angebote zurück, weil es keinen legitimierten Vertreter geben würde. Auch hier abwarten statt tun.
Ein hoher Einsatz für politische Interessen
In der Rückschau zeigt sich: Der Senat hat fast alles getan, um nichts tun zu müssen. Hätte er ein Interesse gehabt, die Lage zu befrieden, hätte er selbst die Eigentumsverhältnisse prüfen können. Geisel hat sogar mal den Berliner getroffen, der sich aus Angst vor Angriffen der Linksextremisten hinter einem britischen Firmenkonstrukt versteckt. Geschehen ist nichts. Der politische Wille stellte sich als heiße Luft dar – oder zeigte sich in Ausweichmanövern.
Für politische Interessen haben Geisel und die Polizei am Ende viel riskiert. Sie haben einen Gerichtsbeschluss kassiert, der ihnen ein völlig abwegiges Vorgehen attestiert. Ja, sogar einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, gegen die Pflicht zu redlichem Verhalten, zur Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz. War es das wert?