Chronik eines jahrelangen Rechtsbruchs: So schützte Florian Schmidt die Autonomen in der Rigaer 94
Jahrelang drückte Baustadtrat Florian Schmidt beim Brandschutz im linken Hausprojekt Rigaer 94 offenbar beide Augen zu. Nun prüft der Innensenator die Vorgänge.
Wenn es um Verstöße gegen den Brandschutz im teilbesetzten Haus in der Rigaer Straße 94 geht, ist das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sehr rücksichtsvoll – und hebelt über Jahre einfach geltendes Recht aus. Obendrein verhandelte Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) abseits der förmlichen Verwaltungswege einfach direkt mit dem Anwalt der Linksextremisten. Und Beamte der Bauaufsicht im Bezirksamt, die ein Einschreiten wegen Brandschutzmängeln für unabdingbar halten, hat der selbsternannte Aktivist im Amt einfach ausgebremst – obwohl es im Ernstfall um Menschenleben geht.
Das geht aus Unterlagen des Bezirksamts hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen. Zuerst hatten der RBB und der Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint berichtet.
Es ist die Chronologie eines jahrelangen Rechtsbruchs. Die Akten zeigen, wie ernst die Mitarbeiter der Bauaufsicht die Lage einschätzen. Und wie sie sich immer wieder absichern, um sich am Ende, wenn Menschen zu schaden kommen, nicht selbst strafbar zu machen.
Inzwischen prüft die Senatsinnenverwaltung „im Rahmen der Bezirksaufsicht, ob der Umgang des Bezirks mit der Situation in der Rigaer Straße 94 rechtmäßig ist“. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sei bereits um Stellungnahme gebeten worden.
Ein Sprecher der Innenverwaltung sagte dem Tagesspiegel: „Es ist Aufgabe des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg, sich um die Abwehr von Gefahren in der Rigaer Straße 94 zu kümmern, die beispielsweise durch Baumängel oder nicht eingehaltene Brandschutzvorschriften bestehen.“ Und weiter heißt es: Soweit zur „Durchsetzung rechtmäßiger Zustände polizeiliche Unterstützung erforderlich ist, wird dem Bezirk diese Unterstützung gewährt“. Sollte der Bezirk gegen Rechtsvorschriften verstoßen und „gebotene Maßnahmen der Gefahrenabwehr“ unterlassen, „kommen Bezirksaufsichtsmaßnahmen in Betracht“.
Polizei warnte: Zutritt für Rettungskräfte kaum möglich
Alles begann mit einem Schreiben der Polizei Berlin an Schmidts Parteifreundin und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Michael Krömer, damals Leiter der Direktion 5, berichtet ihr in seinem zweiseitigen Brief vom 5. Februar 2016 über die Erkenntnisse der Polizei über die Rigaer 94 – nämlich, dass dort „offenkundig die Brandschutzvorschriften verletzt werden“. Die Türen seien umgebaut worden, sodass „der Zutritt für ad hoc einzusetzende Rettungskräfte erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird“.
Hinzu kamen Elektroschrott und Müll auf dem Innenhof, der Zutritt zum Hinterhaus für Rettungskräfte erscheine ausgeschlossen, im Seitenflügel fehlten Treppengeländer, „teilweise sind mehrere Treppenstufen zurückgebaut und nicht mehr vorhanden“. Wände seien durchbrochen, im Hinterhof lägen Stromleitungen offen herum. „Damit sind die für das Gebäude vorgesehenen, zwingend erforderlichen Rettungswege unbenutzbar“, schrieb der Polizist der Bezirksbürgermeisterin. Krömer bat Herrmann, „die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahrenlage zu veranlassen“.
Geschehen ist seither nichts. Bezirksbürgermeisterin Herrmann wies eine Mitarbeiterin der Bauaufsicht „in einem Acht-Augen-Gespräch“ sogar an, dass sie „der Einladung der Polizei zu einem Gespräch über die festgestellten Mängel (...) nicht folgen soll“.
Auch der damalige Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) hatte seine Mitarbeiter mündlich angewiesen, stillzuhalten. Er stehe mit dem Anwalt der Bewohner in Kontakt, diese wollten die Baumängel selbst beseitigen. Panhoff sagte seinen Mitarbeitern mehrfach, dass einige Mängel behoben seien. So gibt es ein Gutachten, in Auftrag gegeben vom Anwalt der Bewohner. Der Sachverständige sah kein Problem in den Wanddurchbrüchen: Dadurch werde „ein zweiter (baulicher) Rettungsweg erreichbar“. Für den Brandschutz werde das Sicherheitsniveau sogar angehoben.
Führender Mitarbeiter: „Untätig zu bleiben ist nicht verantwortbar“
Im Frühjahr 2017 fragte die Hausverwaltung der Rigaer Straße 94 bei der Polizei an, wieder ging es um den Brandschutz. Ein Beamter antwortete knapp, die Polizei habe das Bezirksamt ein Jahr zuvor über die Brandschutzmängel informiert. „Ein Antwortschreiben habe ich nicht erhalten“, notierte der Beamte. Was das Bezirksamt unternommen habe, sei ihm nicht bekannt. Der Hausverwalter möge sich doch dorthin wenden.
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Schließlich erkundigte sich der Anwalt des im Grundbuch eingetragenen Eigentümers am 25. Mai 2017 beim Bezirksamt. Die Mitarbeiter der Bauaufsicht prüften den Fall und schrieben Baustadtrat Schmidt im Juni 2017, es fehle die Dokumentation, ob folgende Mängel beseitigt wurden: „Gewährleistung des Zugangs“ für Rettungskräfte, „Absturzsicherung und Treppenstufen der Treppe im Seitenflügel“. Ansonsten müsse ein Verfahren eingeleitet und der Eigentümer aufgefordert werden, die Mängel zu beseitigen.
Sogar eine „Anordnung zur Duldung der Mängelbeseitigung an die Bewohner“ zogen die Mitarbeiter in Betracht. Und sie forderten von Schmidt eine Weisung, „die der Bauaufsicht ein Einschreiten dienstlich untersagt“, denn „andernfalls muss die Bauaufsicht (...) ihrer Pflicht nachkommen“.
Vorsorglich schrieb ein führender Mitarbeiter an Schmidt: „Untätig zu bleiben ist für die Bauaufsicht nicht verantwortbar, wenn brandschutztechnische Mängel bekannt sind“. Weil die Rigaer 94 vom Verfassungsschutz als „zentrale Institution der gewaltbereiten autonomen Szene Berlins“ eingestuft wird, traf die Bauaufsicht ebenfalls Vorsorge. Da es in der Vergangenheit zu „Gewaltanwendung gegenüber Beamten, Sachbeschädigungen und Bedrohungen“ gekommen sei, würden in allen Schreiben Mitarbeiter nicht namentlich genannt.
Monika Herrmann: „Die Politik übernimmt die Verantwortung“
Auch Bezirksbürgermeisterin Herrmann war involviert. Eine Mitarbeiterin notierte im Juli 2017, was Herrmann vorschlug: „Die Politik übernimmt die Verantwortung.“ Sie gehe davon aus, dass durch den Anwalt der Bewohner die Mängelbeseitigung nachgewiesen sei. Ein Mitarbeiter der Bauaufsicht notierte: „Schon wieder so eine Sch.... Nebelkerze, um sich nicht entscheiden zu müssen.“ Maßgeblich für das Verfahren sei es, den Eigentümer der Rigaer Straße anzuhören. Auch Schmidt notierte, Herrmann bevorzuge es, „dass sich die Bauaufsicht mit dem Anwalt der Mieter zusammensetzt“.
So lief es offenbar immer. Die im Frühjahr 2017 über die Bezirksbürgermeisterin selbst eingereichten Nachweise waren „Fotos ohne Datum mit Teilansichten des beräumten Hofs“ oder von der „instandgesetzten Treppe“, wobei „der Handlauf (...) nicht wieder hergestellt“ wurde. Nichts, was einem Beamten, der für den Brandschutz verantwortlich ist, als Beleg reichen kann. Denn, schrieb ein Mitarbeiter der Bezirksbürgermeisterin: Niemand sonst als der Eigentümer „kann zur Mängelbeseitigung verpflichtet werden“.
Notiz: „Nicht versendet aufgrund Anweisung Dez. Schmidt“
Die Bauaufsicht hatte bereits ein Anhörungsschreiben an den Anwalt des Eigentümers des Hauses verfasst. Ein Mitarbeiter notierte handschriftlich: „Nicht versendet aufgrund Anweisung Dez. Schmidt vom 21.7.2017.“ Der Baustadtrat selbst schrieb: Die „geplante Anhörung der Eigentümer der Rigaer Straße 94 ist nicht abzuschicken ohne meine ausdrückliche Freigabe“.
Ein führender Mitarbeiter der Bauaufsicht zog daraus die Konsequenzen. Im August 2017 verfasste er eine Remonstration. Es handelt sich um einen formalen Akt: Beamte müssen Befehle und Anweisungen verweigern, wenn sie die für rechtswidrig halten. Es ist eine Folge der Nazizeit, kein Beamter soll sich jemals wieder darauf berufen können, dass er nur Befehle befolgt habe. Beamte, so schrieb der Mitarbeiter der Bauaufsicht, haben „für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung“. Bedenken müssten sie sofort geltend machen.
Der Beamte notierte: Schmidts Anweisung würde „zu einem fachlich falschen Verwaltungshandeln führen, aus dem heraus dem Land Berlin ein Schaden entstehen kann“. Auch eineinhalb Jahre nach dem ersten Schreiben der Polizei sei „die vollständige Beseitigung der Brandschutzmängel derzeit nicht verlässlich nachgewiesen“. Deshalb müsse nach geltendem Recht vom Eigentümer der Immobilie ein Nachweis verlangt werden.
Zwei Wochen später legte eine andere Mitarbeiterin der Bauaufsicht nach, auch weil es für die Kneipe „Kadterschmiede“ keine baurechtliche Erlaubnis gibt. Es sei „zwingend erforderlich ein Verwaltungsverfahren zur Gefahrenabwehr gegen den Grundstückseigentümer einzuleiten“. Erneut schaltete sich Bezirksbürgermeisterin Herrmann ein und fragte bei der Bauaufsicht nach. Deren Mitarbeiterin schrieb zurück, sie „kann nur wiederholen“: Der Auftrag der Bauaufsicht als Ordnungsbehörde sei „im Gesetz klar definiert und alternativlos“.
Bitte um Amtshilfe „zur Inaugenscheinnahme einer Falltür“
Einige Monate später der nächste Fall. Die Polizei durchsuchte am 15. November 2018 die Rigaer 94 und bat um Amtshilfe „zur Inaugenscheinnahme einer Falltür“. Der Beamte schreibt noch am selben Tag an den Baustadtrat. Es habe „bauliche Veränderungen in den Treppenhäusern“ vorgefunden, die „brandschutzmäßige Mängel darstellen“. Mängel, die seit Anfang 2016 bekannt sind.
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Doch der Beamte darf nichts tun. In einem Vermerk notierte er am 17. Dezember 2018, die Bauaufsicht sei erneut angewiesen worden, „nicht von Amts wegen gegen bauliche Missstände vorzugehen. Dies ist eine politische Entscheidung des Bezirks“. Schmidt selbst ordnete an: Seine früheren Anweisungen zur Rigaer 94 „bleiben in Kraft“, angeblich um die Mitarbeiter nicht in Gefahr zu bringen und um zu deeskalieren. Die Bewohner der Rigaer 94 seien nicht akut gefährdet, sie hätten keine Mängel angezeigt. Die Sache dreht sich im Kreis.
Aber da ist noch die Sache mit der Falltür, die 2018 gefunden wurde. Schmidt kümmerte sich persönlich darum und fragte im Mai 2020 beim Anwalt der Bewohner nach. Der hatte im November 2018 dem zuständigen Polizeiabschnitt Fotos von der Tür – ohne Falltür – geschickt: „Sehr geehrter Abschnitt, anbei wie gestern besprochen Fotos von der freien Tür.“
Bezirksamt: Schmidt will „Störung des öffentlichen Friedens vermeiden“
Das Bezirksamt selbst spricht auf Anfrage von einer Ermessensentscheidung. Schmidts Ziel sei es, „eine Störung des öffentlichen Friedens im Nordkiez von Friedrichshain zu vermeiden“. Es gehe um die Frage, ob „die gewaltsam erzwungene Beseitigung untergeordneter baulicher Mängel“ angemessen sei. „Bisher haben die ,Störer‘ nach Kenntnis des Bezirksamtes größere Mängel selbst beseitigt, sobald sie zu deren Beseitigung aufgefordert wurden.“
Nach einer Hausdurchsuchung im Juli, bei der wieder eine Falltür gefunden wurde, hat die Polizei das Bezirksamt in der vergangenen Woche einmal mehr über „brandschutztechnische Mängel“ informiert. Es werde nun „erneut eine abgewogene Ermessensentscheidung treffen“. Und während die Innenverwaltung dringenden Bedarf zur Gefahrenabwehr sieht, heißt es aus Friedrichshain-Kreuzberg: „Das Bezirksamt ist (...) zu einer anderen Auffassung gelangt.“