Behörden-Pingpong um Autonome in Friedrichshain: Berliner Innensenator verpflichtet Bezirk zu Brandschutz in Rigaer 94
Die Bezirksführung in Friedrichshain-Kreuzberg deckte seit Jahren Brandschutzmängel in der Rigaer 94. Nun schreitet die Innenverwaltung ein. Und die Eigentümer?
In der Brandschutzaffäre um das teilbesetzte Haus in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain setzt Innensenator Andreas Geisel (SPD) das Grünen-geführte Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg unter Zugzwang.
Zugleich wird der Eigentümer ausgebootet, Mängel selbst zu beheben – obwohl ihn das Bezirksamt erstmals dazu verpflichtet hat. Ein klarer Fall von Behörden-Pingpong mit Brandschutz, bei dem es um Menschenleben und um Rettungswege geht.
Die Bezirksaufsicht der Innenverwaltung verpflichtete am Freitag das Bezirksamt dazu, „selbst umgehend für eine vollständige Aufklärung der bauordnungs- und brandschutzrechtlichen Situation“ zu sorgen und „bauordnungs- und brandschutzwidrige Zustände“ beseitigen zu lassen.
Das sagte ein Sprecher der Innenverwaltung. Und weiter: „Die notwendige polizeiliche Unterstützung für die Maßnahmen haben wir dem Bezirk zugesagt.“
Damit zieht die Innenverwaltung Konsequenzen aus ihrem im März 2020 eingeleiteten Verfahren gegen das Bezirksamt. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann und Baustadtrat Florian Schmidt (beide Grüne) sind nun in der Bredouille: Sie haben größere Polizeieinsätze in dem Hotspot gewaltbereiter Linksextremisten stets abgelehnt.
Zugleich haben sie über mehrere Jahre die Bauaufsicht des Bezirks daran gehindert, Hinweisen der Polizei auf Brandschutzmängel nachzugehen und ein Verfahren zu eröffnen - obwohl die Bauaufsicht dazu per Gesetz verpflichtet ist.
Seit 2016 waren Herrmann und Schmidt mögliche Brandschutzmängel bekannt. Nachweislich hat die Bezirksspitze die Innenverwaltung sogar getäuscht und Hinweise auf Brandschutzmängel heruntergespielt.
Florian Schmidt, Monika Herrmann, die Bauaufsicht und die Rigaer 94
- Im Februar 2016 informierte die Polizei erstmals Bezirksbürgermeisterin über Brandschutzmängel.
- Eine Mitarbeiterin der Bauaufsicht durfte nicht zu einem Treffen mit Polizei und Feuerwehr
- Mehrfach untersagte der Baustadtrat der Bauaufsicht, ein ordnungsbehördliches Verfahren zu eröffnen.
- Ein Beamter protestierte dagegen förmlich, weil er nach dem Gesetz ein Einschreiten für nötig hält
- Innensenator Geisel prüfte seit März 2020, ob das Bezirksamt seiner Pflicht zur Gefahrenabwehr nachgekommen ist.
- Im Herbst 2020 widersprach die oberste Landes-Bauaufsicht den Hinhaltemanövern von Herrmann und Schmidt.
- Die ganze Story: Chronik eines Rechtsbruchs – so schützte Florian Schmidt die Autonomen in der Rigaer 94.
Nun hat die Innenverwaltung genug. Mehrfach sei das Bezirksamt aufgefordert worden, die „Einhaltung der Brandschutzvorgaben sicherzustellen“. Doch das sei „durch das Bezirksamt nicht umgesetzt“ worden, eine einvernehmliche Lösung habe nicht zum Erfolg geführt.
Deshalb sei jetzt die Anordnung erteilt worden, heißt es aus der Innenverwaltung von Senator Geisel. Es spreche viel dafür, dass „erhebliche Mängel“ bestehen – mit „unmittelbaren Gefahren“ für Bewohner und Rettungskräfte.
Die Polizei dokumentierte zahlreiche Mängel
Bis zuletzt hatte Baustadtrat Schmidt versucht, die Rigaer 94 vor den Behörden zu schützen. Im Juli hatte die Polizei Wohnungen im Haus durchsucht. Es ging um Ermittlungen wegen Körperverletzung, Urkundenfälschung und Sozialleistungsbetrug.
In einem 19-seitigen Schreiben an Herrmann dokumentierte die Polizei danach zahlreiche Mängel: eine dritte Zwischentür im Hofeingang, Wanddurchbrüche, eine Falltür, eine zugemauerte und eine mit Gitter abgesicherte Tür, dutzende Autoreifen im Innenhof, die bestens brennen.
Auch der Hausverwalter, der bei der Durchsuchung dabei war, fand angezapfte Stromleitungen und unzulässige Einbauten. Auch er dokumentierte die Falltür.
Die Bauaufsicht wollte – wie es ihre Pflicht ist und nicht zum ersten Mal seit 2016 – ein Verfahren eröffnen. Doch die Spitze des Bezirksamts sah „keine Umstände“, die „ein Eingreifen zwingend zur Folge hätten“.
Baustadtrat Schmidt korrespondierte derweil mit dem Anwalt der Autonomen. Der durfte selbst den Brandschutz prüfen lassen. Es wird vermutet, dass Schmidt ein Eingreifen der Innenbehörde verhindern und die Bauaufsicht im Zaum halten wollte.
Selbst der Prüfer des Autonomen-Anwalts sieht Mängel
Doch die „brandschutztechnische Beurteilung“, im November ausgestellt von einem Architekturbüro auf sechs Seiten, reichte der Bauaufsicht nicht. Die Maßstäbe an ein Gutachten staatlich anerkannter Prüfer erfüllte die Auflistung nicht.
Dabei listet selbst das vom Autonomen-Anwalt bestellte Gutachten Mängel auf, die – wie es darin heißt – vom Eigentümer behoben werden müssten: veraltete Feuerlöscher, zugestellte Technikräume, eine marode Brandschutztür, Mängel an allen Wohnungstüren und eine verriegelte Brandschutztür zum Dachgeschoss.
Am Ende konnte selbst Schmidt die lange unterdrückten und ihm seit langem bekannten Fakten nicht ignorieren, wollte er sich nicht strafbar machen.
Bezirksamt droht Eigentümer Bußgeld von 500.000 Euro an
Nach Jahren der Blockade durfte die Bauaufsicht doch einschreiten. Mitte Dezember schickte die Behörde eine Anordnung an den Eigentümer, die Firma Lafone Investments Limited in Großbritannien.
Die muss bis Ende Januar einen staatlich anerkannten Gutachter ins Haus schicken und Mängel alsbald beheben, wie es das Gesetz vorsieht. Andernfalls droht die Bauaufsicht mit einem Bußgeld in Höhe von einer halben Million Euro.
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Weil die Rigaer Straße 94 kein gewöhnliches Haus ist, mit Gegenwehr und Gewalt zu rechnen ist, der Hausverwalter im Juli schon angegriffen wurde, schickten die Anwälte der Polizei ein Schutzersuchen. Doch die lehnte ab, auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik war persönlich involviert.
Die Polizei zieht sich darauf zurück, dass sie keine privaten Rechte ohne Gerichtstitel durchsetzen könne. Dabei geht es, so heißt es im Bescheid des Bezirksamtes, um „die öffentliche Sicherheit und Ordnung“, damit „Leben und Gesundheit nicht gefährdet werden“.
Bezirksamt verhängt „unaufschiebbare Notstandsmaßnahme“
Die Anordnung ist als „unaufschiebbare Notstandsmaßnahme“ erteilt worden, denn „die sofortige Vollziehung ist im öffentlichen Interesse“. Doch die Polizei, deren gesetzliche Aufgaben die Gefahrenabwehr ist, weigert sich. Weil in mehreren Prozessen den Gerichten der Nachweis fehlte, dass die Anwälte den Eigentümer rechtmäßig vertreten.
Darauf zieht sich auch Innensenator Geisel zurück. Um die Gefahren müsse sich daher der Bezirk selbst kümmern, heißt es aus Geisels Innenverwaltung. Das sei „deutlich schneller und effizienter umsetzbar“, als den Eigentümer zu bemühen.
Eine staatliche Stelle, nämlich der Bezirk, verpflichtet den Eigentümer nun also dazu, Gefahren zu beseitigen, wie es das Gesetz vorsieht.
Eine Behörde sieht Gefahr, die andere will nicht helfen, die Gefahr abzustellen
Doch andere staatliche Stellen, nämlich Polizei und Innenverwaltung, verweigern dem Eigentümer den nötigen Schutz, der Anordnung und den gesetzlichen Pflichten nachzukommen, obwohl mit Gewalt und Gegenwehr zu rechnen ist.
Stattdessen soll nun jene Bezirksverwaltung, deren politische Führung seit Jahren die Bauaufsicht dabei behindert hat, ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen, auf Anweisung der Innenverwaltung Recht durchsetzen.
Dabei handelt es sich um privates Eigentum. Die im Grundbuch eingetragene Firma müsste nach den Vorschriften zunächst selbst die Mängel beseitigen. Erst wenn sie dem trotz Bescheid der Bauaufsicht nicht nachkommt, kann das Bezirksamt selbst Hand anlegen.
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„Wir wollen Behördenauflagen nachkommen, es geht nicht um zivilrechtliche Ansprüche“, sagt Eigentümeranwalt Alexander von Aretin. Was zwingend nötig wäre, solle offenbar verhindert werden.
Berlins CDU-Fraktionschef Burkard Dregger fragt sich: „Soll der Bezirk jetzt am Eigentum eines Fremden herumwerkeln? Es wird mit Tricks versucht, nicht handeln zu müssen.“
Der Eigentümer, ein Berliner, versteckt sich aus begründeter Angst vor den Linksextremen hinter dem Firmenkonstrukt. Seine Anwälte wollen nachweisen, dass ihr Vertretungsnachweis ausreicht.
Dazu liegt nun ein Gutachten von einem der namhaftesten Experten für britisches Unternehmensrecht in Deutschland vor. Es wird weitere Prozesse geben. Auch für Innensenator Geisel ist der Fall noch nicht vorbei.