Streit um „Rigaer 94“ in Berlin: Grünen-Spitzenkandidatin stellt sich gegen Parteifreund Florian Schmidt
Bürgermeisterkandidatin Bettina Jarasch fordert eine Lösung für die „Rigaer 94“. Die Lage am Autonomen-Haus scheint verworrener denn je.
Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen zur Abgeordnetenhauswahl, nimmt ihre Parteifreunde in Friedrichshain-Kreuzberg in der Brandschutzaffäre um das teilbesetzte Haus in der Rigaer Straße 94 in die Pflicht.
„Der Brandschutz muss gewährleistet werden“, erklärte Jarasch am Montag via Twitter. Sie erwarte und gehe davon aus, dass das Bezirksamt das mit Eigentümer und Innensenator Andreas Geisel (SPD) „ermöglicht und gewährleistet“.
Damit setzt sich Jarasch deutlich von ihren Parteikollegen in Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) ab. Die rot-rot-grüne Koalition hat es seit Beginn ihrer Regierungszeit Ende 2016 nicht vermocht, den Konflikt um die Rigaer Straße 94, Hotspot der gewaltbereiten linksextremistischen Szene, zu befrieden.
Vielmehr hielt die Grünen-geführte Spitze des Bezirksamts sogar ihre schützende Hand über das Haus der Autonomen – trotz akuter Brandschutzmängel.
In ihrem Tweet erwähnte Jarasch auch ihren Parteifreund Florian Schmidt, den Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Doch der will erst einmal warten, bis das Verwaltungsgericht entscheidet. Damit widersetzt er sich vorerst Innensenator Geisel. Warum? Die Lage ist inzwischen sehr unübersichtlich.
Es geht um Lebensgefahr bei Notfällen in dem Haus, aber auch Gefahren für die Nachbarhäuser, wenn es brennt, die Retter aber nicht in die Rigaer 94 hineinkommen. Doch ganz so eilig scheinen es die Beteiligten nun doch nicht zu haben.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Rückblick: Schmidt und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, die für die Grünen ins Abgeordnetenhaus strebt, haben über Jahre die Bauaufsicht des Bezirksamts daran gehindert, Hinweisen auf Brandschutzmängeln nachzugehen – obwohl es um Leib und Leben geht und die Bauaufsicht bei Gefahr zum Einschreiten gesetzlich gezwungen ist. Nachweislich wurde die Innenverwaltung über Faktenlage getäuscht.
Geisel hatte im März 2020 über die Bezirksaufsicht der Innenverwaltung ein Verfahren gegen das Bezirksamt eingeleitet. Nach einer Razzia im Juli gab die Polizei – wie seit 2016 mehrfach geschehen – Hinweise auf Brandschutzmängel.
Das Haus ist verbarrikadiert, Rettungskräfte kommen nicht rein, am Haus sind zahlreiche illegale Umbauten vorgenommen worden: eine dritte Zwischentür im Hofeingang, Wanddurchbrüche, eine Falltür, verriegelte oder undichte Brandschutztüren, Dutzende Autoreifen im Innenhof, die bestens brennen.
Schmidt – durch die Bezirksaufsicht unter Druck – ließ über einen Autonomenanwalt ein Brandschutzgutachten erstellen. Dies entsprach jedoch nicht den Anforderungen der Bauaufsicht. Zudem sind darin ebenfalls Brandschutzprobleme aufgelistet. Dem Baustadtrat blieb nichts anderes übrig, als die Bauaufsicht doch noch gewähren zu lassen.
Daher schickte Schmidt Mitte Dezember an den Eigentümer des Hauses, die Firma Lafone Investments Limited in Großbritannien, eine Anordnung. Sie sollte zunächst bis Ende Dezember einen staatlich anerkannten Gutachter ins Haus schicken und Mängel alsbald beheben. Andernfalls droht die Bauaufsicht mit einem Bußgeld in Höhe von einer halben Million Euro. Die Frist ist wegen der Feiertage aufgehoben worden, jetzt lautet die Anordnung: schnellstmöglich.
[Tür-Klau im Berliner Besetzerkiez? Das Geheimnis um die Haustür in der Rigaer Straße 94. Exklusiv bei Tagesspiegel Plus, jetzt 30 Tage kostenlos testen.]
Die Anordnung ist als „unaufschiebbare Notstandsmaßnahme“ erteilt worden, denn „die sofortige Vollziehung ist im öffentlichen Interesse“, weil es um die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“, Leben und Gesundheit gehe. Und darum, dass die Feuerwehr Brände in dem Haus überhaupt löschen kann.
Die Anwälte des Eigentümers stellten bei der Polizei ein Schutzersuchen. Dass derlei Schutz nötig ist, darüber besteht Einigkeit. Doch die Polizei lehnte das Ersuchen trotz der vom Bezirksamt festgestellten Gefahr ab.
Die Polizei zieht sich darauf zurück, dass sie keine privaten Rechte ohne Gerichtstitel durchsetzen könne. Und die Behörde nimmt Bezug darauf, dass in mehreren Prozessen den Gerichten der Nachweis fehlte, dass die Anwälte den Eigentümer rechtmäßig vertreten.
Geisel sichert Schmidt und Herrmann Polizeischutz zu
So sieht es auch Innensenator Geisel, obwohl es bei den Prozessen um einen zivilrechtlichen Streit zwischen Bewohnern und Eigentümern ging. Jetzt geht es aber um Gefahrenabwehr und eine amtliche Anordnung des Bezirksamts an den Eigentümer. Geisel forderte jedenfalls am Freitag im Rahmen des Verfahrens der Bezirksaufsicht Schmidt und Herrmann auf, mit einer sogenannten Ersatzvornahme selbst einzuschreiten.
Die Bezirksspitze soll nun selbst einen Gutachter ins Haus schicken, Mängel feststellen und diese beseitigen. Geisel sicherte dem Bezirk vorsorglich gleich Polizeischutz zu. Dabei lehnen Schmidt und Herrmann solche Großeinsätze der Polizei in dem Autonomen-Haus ab.
Der Innensenator setzte Schmidt eine Frist bis 5. Februar, um auf seine Aufforderung zu antworten. Erst dann, so sagte Geisel am Montag im Innenausschuss, könne er weitere Schritte in Betracht ziehen. Am Ende könnte der Senat den Bezirk anweisen, mit einer sogenannten Ersatzvornahme den Brandschutz in der Rigaer 94 zu prüfen und Mängel auf Kosten des Eigentümers zu beseitigen. Dafür sei aber ein Beschluss des rot-rot-grünen Senats nötig – also mit den Stimmen der Senatoren von Linken und Grünen. Politisch erscheint das aber kaum wahrscheinlich.
Eigentümer zieht gegen die Polizei vors Verwaltungsgricht
Und Schmidt will erst einmal abwarten. In einer von ihm via Twitter am Montagabend verbreiteten Erklärung des Bezirksamts heißt es: Das Ergebnis eines Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht „wird der Bezirk jetzt abwarten“. Erst danach werde er zeitnah „über das weitere Vorgehen entscheiden“.
Tatsächlich wollen die Anwälte des Eigentümers per Eilverfahren gegen den Bescheid der Polizei, keinen Schutz zu gewähren, vorgehen. Dabei dürfte es auch um den bislang von Zivilgerichten nicht anerkannten Nachweise gehen, dass die Anwälte den Eigentümer vertreten.
Der Eigentümer, ein Berliner, hat aus Angst vor den Linksextremen ein Firmenkonstrukt in Großbritannien gewählt, um seine Identität zu schützen. Für den Nachweis, dass die bislang von den Anwälten vorgelegten Vertretungsnachweise reichen, haben diese auch ein Gutachten erstellen lassen – von einem der namhaftesten Experten für britisches Unternehmensrecht in Deutschland.
Um es kurz zu fassen: Es geht um die Frage, ob sich die Berliner Gerichte und Behörden ausreichend mit dem EU-Recht und dem britischen Recht auskennen. Nein – meint der Gutachter.
Für das Verwaltungsgericht ebenfalls von Belang: Muss der Eigentümer im Brandschutzverfahren bei unmittelbarer Gefahr, wie von der Bauaufsicht amtlich festgestellt, einen Beschluss eines Zivilgerichts erwirken? So wie es die Polizei behauptet? Selbst in der Sicherheitsbehörde gibt es Zweifel an der Ablehnung des Schutzersuchens, das offenbar politisch gewollt und mit Polizeipräsidentin Slowik abgestimmt war.
Das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Berlin verpflichtet die Polizei dazu, „Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren“. Sie muss „im Rahmen dieser Aufgabe auch die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen“. Und diese Gefahren bestehen, amtlich vom Bezirksamt bestätigt.
Florian Schmidt, Monika Herrmann, die Bauaufsicht und die Rigaer 94
- Im Februar 2016 informierte die Polizei erstmals Bezirksbürgermeisterin über Brandschutzmängel.
- Eine Mitarbeiterin der Bauaufsicht durfte nicht zu einem Treffen mit Polizei und Feuerwehr
- Mehrfach untersagte der Baustadtrat der Bauaufsicht, ein ordnungsbehördliches Verfahren zu eröffnen.
- Ein Beamter protestierte dagegen förmlich, weil er nach dem Gesetz ein Einschreiten für nötig hält
- Innensenator Geisel prüfte seit März 2020, ob das Bezirksamt seiner Pflicht zur Gefahrenabwehr nachgekommen ist.
- Im Herbst 2020 widersprach die oberste Landes-Bauaufsicht den Hinhaltemanövern von Herrmann und Schmidt.
- Die ganze Story: Chronik eines Rechtsbruchs – so schützte Florian Schmidt die Autonomen in der Rigaer 94.
- Schmidt gibt nach und verpflichtet Eigentümer: Doch Geisel will den Bezirk losschicken.
Die Polizeiführung jedoch meint ebenso wie Geisel, dass ein anderer Passus des Gesetzes hier gilt. Nämlich: „Der Schutz privater Rechte obliegt der Polizei nach diesem Gesetz nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde.“
Das Verwaltungsgericht ist ein Risiko für Rot-Rot-Grün
Dabei haben Eigentümer von Mietshäusern ohnehin einfachen Zutritt zu sogenannten Verkehrsflächen wie Treppenhäuser, Hausflure, Kellerräume, Dachboden und Hof. Zudem hat das Bezirksamt zu Eingreifen wegen festgestellter Gefahren aufgefordert. Es geht also um ein öffentliches Interesse und sogenannte Schutzgüter – und nicht um private Rechte.
Ebenso offen ist, wie das Verwaltungsgericht dann mit den Vertretungsnachweisen der Anwälte umgeht. Es ist nicht daran gebunden, was die Zivilgerichte entschieden haben. Zudem prüfen Verwaltungsrichter tiefer - sie haben einen sogenannten Amtsermittlungsgrundsatz. Die Zivilgerichte entscheiden nur, was die Gegner jeweils vortragen - so war es auch bei den Zweifeln an der Vertretungsvollmacht der Eigentümeranwälte, die der Anwalt der Autonomen geäußert hat.
Für die politisch Verantwortlichen liegen hier die Risiken: Sollten die Verwaltungsrichter die Polizei zum Schutz für den Eigentümer verdonnern und obendrein den Vertretungsnachweis als ausreichend erachten, sind mehrere Seiten blamiert: Innensenator Geisel, die Polizei und die rot-rot-grüne Koalition.