Von den Nazis zur DDR-Diktatur: Wie die „Gruppe Ulbricht“ in Berlin die Macht übernahm
Noch während der letzten Gefechte im Mai 1945 landete die Gruppe Ulbricht in Berlin, um den Sozialismus aufzubauen. Demokratisch sollte er nur aussehen.
Im Führerbunker: Hitler tot. Auf den Straßen: zertrümmerte Ruinen, aus denen noch der Rauch des Krieges aufsteigt. Im Mai 1945 steht Berlin vor einer Stunde Null – nur in einem kleinen Haus in Bruchmühle am östlichen Stadtrand, das sich der politische Stab der einrückenden Roten Armee gesichert hat, ist man der Zeit voraus.
Dort sitzt Walter Ulbricht, ein deutscher Kommunist, der vor den Nazis nach Moskau geflohen war und nach zwölf Jahren Exil kadergeschmiedet ins besetzte Berlin eingeflogen wurde, mit neun Getreuen an einem ovalen Nussbaumtisch und sagt mit seiner nach einer Kehlkopfoperation fistelnden Stimme: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“
Die „Gruppe Ulbricht“ macht sich bereit zur Machtübernahme in dem Land, das durch den Nationalsozialismus zerfallen ist und neu zusammengesetzt wird, schon bald in zwei Teile. Die Gruppe Ulbricht wird eine der durchsetzungsstärksten Initiativen des Neuanfangs – auf Kosten vieler Menschen und der neu erwachenden Demokratie baut sie mit Hilfe der sowjetischen Alliierten rücksichtslos die DDR auf.
Zementiert wird die Teilung ein gutes Jahrzehnt später, als Ulbricht als Partei- und Staatschef den noch berühmter gewordenen Satz fistelt, der sich als Lüge herausstellt: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“
Im Nachkriegs-Berlin stand zunächst kein Stein auf dem anderen. Deshalb baute die Gruppe der Kommunisten zuerst die Verwaltung auf – demokratisch aussehend, aber sowjetisch geprägt –, noch bevor die Westalliierten in ihre Sektoren einrückten.
Zuständig dafür war Wolfgang Leonhard, ein Mitglied der Gruppe, der während des Krieges ebenfalls im Moskauer „Hotel Lux“ zum Kaderkommunisten ausgebildet worden war und in Berlin beim Neuaufbau half, bis er 1949 vor den internen Säuberungen der Partei in den Westen floh und mit dem Erlebnisbuch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ Weltruhm erlangte.
Bei einer Geschichtsreise auf den Spuren der Gruppe Ulbricht, bei dem ihn der Tagesspiegel 2005 begleitet hatte, berichtete der inzwischen verstorbene Leonhard von seinem ersten Einsatz in Berlin noch vor dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai 1945.
Bei einem Glas Wodka zum Bürgermeister von Wilmersdorf ernannt
Von Bruchmühle wurde er nach Wilmersdorf gefahren, um dort eine Verwaltung nach Ulbrichtscher Vorgabe aufzubauen. „Ich griff mir den ersten Mann, den ich vor der Kommandantur mit einer Krawatte herumstehen sah und fragte ihn über das bürgerliche Milieu aus, dann ließ ich mich von ihm zu einem Mann mit Verwaltungserfahrung bringen.“
Das war der frühere Oberregierungsrat Bruno Willenbücher, ehemals Mitglied der Deutschen Volkspartei. Dieser setzte sich noch schnell einen Zylinder auf, bevor er vom sowjetischen Bezirkskommandanten bei einem Glas Wodka zum Bürgermeister ernannt wurde. All das dauerte nur wenige Stunden.
Zum stellvertretenden Bürgermeister wurde – wie in nahezu allen Berliner Bezirken – ein Kommunist berufen, auch die Dezernenten für Bildung und für Personal waren Kommunisten, ebenso die Zuständigen für die Polizei. Auf den ersten Blick sah alles demokratisch aus.
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Nach gleichem Muster lief die Auswahl des ersten Berliner Oberbürgermeisters ab. Der 68-jährige Arthur Werner, ein parteiloser Bauingenieur und vor dem Krieg Leiter einer Technikschule, hatte einfach „den besten Zylinder von Berlin und war immer gut gekleidet, aber von politischen Entscheidungen hatte er keine Ahnung“, wie Ulbricht später freimütig spottete. Dennoch, das nackte Überleben der Stadt musste organisiert werden: Es brauchte Nahrungsmittel und Wasser, wieder in Betrieb genommene Fabriken und Verkehrswege. Mit Unterstützung der Sowjets erzielte die Gruppe Ulbricht schnelle Erfolge.
Fünf Tage nach Kriegsende fuhren erste Busse
Schon fünf Tage nach Kriegsende fuhren erste Busse auf von Trümmern geräumten Straßenabschnitten, kurz danach U- und Straßenbahnen. Im Juni 1945 gab es wieder provisorischen Unterricht für Kinder. Mit der „Täglichen Rundschau“ erschien die erste Zeitung, der von der Militäradministration zugelassene Berliner Rundfunk – der zunächst aus Tegel im späteren französischen Sektor sendete – wurde installiert. Berlin bekam inmitten der Trümmer des Krieges so etwas wie ein Leben zurück.
Als die Westalliierten im Juli 1945 in die Stadt einzogen, war vieles schon im Sinne der Gruppe Ulbricht vorbereitet. Schnell kam es daher zu Spannungen zwischen den Besatzungsmächten, die sich schließlich im Kalten Krieg im geteilten Berlin kristallisieren sollten.
Auch das politische Fundament für die Nachkriegsordnung wurde schnell gegossen. Die sowjetische Militäradministration erlaubte im Juni die Neubildung oder Wiedergründung antifaschistischer Parteien unter ihrer Kontrolle. Umgehend veröffentlichte die unter den Nazis verbotene KPD einen Gründungsaufruf „zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands“.
Zuerst verkündete ihn Ulbricht im „Restaurant Rose“ im Lichtenberger Ortsteil Friedrichsfelde. Zu dem Treffpunkt, heute ein Imbiss, kamen oft bis zu 100 Gleichgesinnte. Ein Treffen blieb dem späteren Renegaten Wolfgang Leonhard nachdrücklich in Erinnerung, dabei ging es um die Vergewaltigungen von zehntausenden Berlinerinnen durch Sowjetsoldaten.
Ulbricht und seine Partei verloren schnell an Zustimmung
Genossen forderten von Ulbricht, sich von den Verbrechen zu distanzieren und Abtreibungen zu erlauben. Antifaschistische Ärzte boten ihre Hilfe an. Aber Ulbricht habe in den Saal gerufen: „Jeder, der sich jetzt beschwert, hätte sich nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion beschweren sollen.“ Auch wenn später heimlich Abtreibungskliniken gegründet wurden – sie hießen „Zentren für Zwangsverkehr“ –, so wuchs die Skepsis vor den Sowjets.
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Während vor allem die Amerikaner Wirtschaftshilfe für den Westen versprachen, ließ Stalin als Kriegsreparationen Maschinen aus den Fabriken abtransportieren. Die von Ulbricht mit kalter Kaderpolitik geführte KPD verlor an Zustimmung selbst im sowjetischen Sektor. Die wiedergegründete SPD mit dem charismatischen Kurt Schumacher gewann dagegen schnell Unterstützung, woraufhin sie von Ulbrichts KPD zu einer Vereinigung gedrängt wurde.
In den Westsektoren widersetzten sich die Sozialdemokraten mit großer Mehrheit bei einer Urabstimmung; und so besiegelten KPD-Chef Wilhelm Pieck und der Sozialdemokrat Otto Grotewohl im April 1946 die Gründung der sowjetischen Sektor zwangsvereinigten SED mit einem symbolischen Händedruck im Admiralspalast an der Friedrichstraße.
Die Stadt spaltete sich wie das Land und die ganze Welt – und der Vorsitzende der Gruppe Ulbricht wurde Staats- und Parteichef in der DDR. Die musste, bald eingemauert, auch nicht mehr demokratisch aussehen.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es irrtümlicherweise, Walter Ulbricht und Otto Grotewohl hätten sich bei der SED-Gründung symbolisch die Hände gereicht. Das stimmt nicht, wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.