Landesparteitag in Berlin: Die Linke will die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen
Beim Parteitag am Wochenende steht ein Leitantrag zur solidarischen Stadtpolitik im Fokus. Auch Problemstellen in der eigenen Agenda sollen besprochen werden.
Die Genossen wurden zum Rapport bestellt. Berliner Linkspolitiker erinnern sich daran, dass sie zu Beginn der zweiten Auflage von Rot-Rot in 2006 die damalige Fraktionsspitze im Bundestag, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, regelmäßig über die Auswüchse der Berliner Realpolitik informieren mussten. Einmal soll Lafontaine dabei seine Kekse gegessen und Zeitung gelesen haben.
Die Berliner Genossen wurden ignoriert oder bekamen regelmäßig von den Genossen verbal Prügel, weil Rot-Rot 2001 bis 2011 sich zu Zeiten des harten Konsolidierungskurses in Berlin schlecht mit einer Politik der sozialen Wohltaten in Verbindung bringen ließ. Heute wird der pragmatische Kurs der Berliner Linken intern nicht mehr kritisiert. Die Mitgliederzahlen steigen wieder, von 7 480 vor vier Jahren auf 7 988. Die Umfragewerte in Berlin liegen stabil zwischen 18 und 19 Prozent. Nur reicht das auf Dauer?
Rot-Rot-Grün hält laut Meinungsforschungsinstitut Civey seit März 2017 die Mehrheit. Die SPD hat nicht mehr die führende Rolle. Bis Oktober lagen die Linken vor den Grünen, die durch den Bundestrend zurzeit die Spitzenposition einnehmen. Der Wohnungsbau steht bei den Linken an erster Stelle, gefolgt von den Themen Schule, Verkehr und Polizei. Strategisch hält die Linke die für sie wichtigen Schlüsselressorts Soziales mit Senatorin Elke Breitenbach und Stadtentwicklung mit Katrin Lompscher. Klaus Lederer kommt als Kultursenator bei der urbanen Basis-Kulturszene gut an. Lederer ist seit längerem Berlins beliebtester Politiker.
Der "Markenkern" kommt nicht voran
Dass der Wohnungsbau nicht vorankommt, wird von langjährigen Genossen kritisiert. „Das ist unser Markenkern“, sagt ein Spitzenmann. Die parteitreue Senatorin will man nicht kritisieren, sondern verweist auf die Bau-Investoren, die statt sozialem Wohnungsbau nur Rendite im Kopf haben und auf die ungenügende Gesetzeslage, die weitgehend Bundesrecht ist. Dass Lompscher die Kooperationsvereinbarung mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften abgeschlossen hat, wonach 60 Prozent der jährlich zur Wiedervermietung kommenden Wohnungen an WBS-Berechtigte vermietet werden und die Bestandsmieten um nicht mehr als zwei Prozent jährlich steigen dürfen, erwähnen Parteifreunde lobend. Auch ihr Plan, den umstrittenen Investor Trockland durch die im Senat beschlossene Neugestaltung der Grundstücke am Checkpoint Charlie in Grenzen zu weisen, kommt in der Partei gut an.
Das Thema Wohnungsbau bleibt aber virulent. Die Ausweisung von Milieuschutzgebieten, das schwant den Genossen auch, schützt dauerhaft nicht vor Gentrifizierung. Was die Rechte von Mietern betrifft, sei Lompscher „engagiert“, sagen Genossen mehr bemüht als überzeugt. Denn die Klientel der Linken sind Junge und Rentner, Studenten, Azubis, Geringverdiener oder Arbeitslose. Sie spüren den wachsenden Druck auf dem Wohnungsmarkt besonders schmerzhaft.
Unglückliche Kommunikation beim Thema Obdachlosigkeit
Als unglücklich empfanden Linke das Agieren von Sozialsenatorin Breitenbach im Umgang mit Obdachlosen, die keine der angebotenen Unterkünfte aufsuchen wollen. Die Kommunikation sei schief gelaufen. Der Eindruck sei entstanden, man habe keine Ausweichquartiere vorbereitet. Die gab es tatsächlich nicht. Es folgte ein Streit zwischen Breitenbach und BVG- Aufsichtsratschefin und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, die zunächst die Position der BVG vertrat, keine Bahnhöfe nachts zu öffnen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) „überzeugte“ die BVG, die Bahnhöfe Moritzplatz und Lichtenberg nachts zu öffnen.
Die soziale Frage stellt die Linke in den Mittelpunkt ihrer Politik. Sie plädiert für eine solidarische Stadtpolitik, für eine „Stadt für alle, unabhängig vom Geldbeutel“, wie sie im Leitantrag des Landesvorstands formuliert ist, den die Partei auf ihrem Parteitag am kommenden Sonnabend verabschieden will. „Wir müssen die soziale Frage zur Entscheidungsfrage für alle machen, die prekär leben, und Ungerechtigkeiten bekämpfen“, sagt die Berliner Parteichefin Katina Schubert. Deshalb werden soziale Bewegungen, Mieterinitiativen oder Volksbegehren unterstützt. Aber die Partei muss auch liefern.
Erhöhung des Landesmindestlohns als Forderung
In dem Leitantrag werden Errungenschaften wie das verbilligte Sozial- und Schülerticket, die Wohnungsbauförderung oder eine bessere Bezahlung im öffentlichen Dienst aufgeführt. Die Partei fordert, den Landes- und den Vergabemindestlohn auf 12,63 Euro zu erhöhen, wenn die öffentliche Hand als Auftrag- oder Arbeitgeber fungiert. Das ist der Betrag, um eine Rente unter der Grundsicherung zu vermeiden. Die Linke legt sich aber nicht fest, in welchen Schritten diese Erhöhung umgesetzt werden soll.
Zurzeit gilt in Berlin ein Mindestentgelt von neun Euro brutto je Stunde. Wirtschaftssenatorin Pop hatte vor einem halben Jahr eine Erhöhung auf 10,20 Euro vorgeschlagen. Im Januar soll ein Referentenentwurf vorliegen, noch im Dezember soll es laut einer Sprecherin eine Anhörung der Verbände geben. Die SPD hatte auf ihrem Parteitag beschlossen, den Mindestlohn auf Landesebene im nächsten Jahr auf 11 Euro und ab dem Wahljahr 2021 auf 12,63 Euro zu erhöhen.
Der Kampf um die linke Mitte
Der Landesverband der Linken tritt geschlossen auf, Flügelkämpfe wie bei den Berliner Grünen kennt die Partei nicht. Aber sie hat Probleme, Mitte-Links-Projekte wie in Berlin oder Thüringen auszubauen. Das liegt vor allem an der Schwäche der SPD. Im Kampf um die führende Kraft der linken Mitte, wie ihn die Grünen postuliert haben, gibt es in der Wählerschaft wenig Überschneidungen. Grüne Wähler haben überdurchschnittlich hohe Einkommen und sind deutlich älter: Der Anteil der unter 35-Jährigen ist seit Gründung der Grünen von 80 auf zehn Prozent gesunken. Das Alter der linken Wähler ist in allen Stufen relativ ausgeglichen.
Aber wie man die politisch Unzufriedenen von den Linken überzeugt und eine gesellschaftliche Stimmung für eine fortschrittliche Politik aufbaut, dafür gibt es bei den Berliner Linken keine klare Strategie. Über virtuelle Plattformen wie die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ um Sahra Wagenknecht werde das nicht funktionieren, sagt Schubert. Alexander King, Bezirksvorsitzender in Tempelhof-Schöneberg und Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag, sieht das Bündeln der Unzufriedenen dagegen als Aufgabe der Sammlungsbewegung. Er kritisiert, dass die Landesspitze keine Kooperation suche.
Der Wunsch nach offeneren Auseinandersetzungen
Auch Wagenknecht forderte in der „Welt am Sonntag“, die Parteiführung im Bund möge offener mit der Sammlungsbewegung umgehen: „Alle sollten ein Interesse haben, dass es stärkeren Druck gibt, zu einer Politik des sozialen Ausgleichs zurückzukehren.“ 167 000 Menschen hätten sich inzwischen als Unterstützer der Bewegung eingetragen. Zahlen, wie viele Berliner Genossen darunter sind, gibt es nicht. Geschätzt werden 1000 bis 1500.
Ein Grummeln an der Basis ist im Landesverband schon zu hören, wenn es um die Debattenkultur der Parteiführung geht. Inhaltliche Fragen erörtere der Vorstand zu wenig parteiintern. Mancher Fachpolitiker beklagt sich, zu wenig einbezogen zu werden. Die Stimmung unter den disziplinierten Genossen wird sich absehbar aber nicht gegen ihre Parteiführung richten. Der Wunsch nach offeneren Auseinandersetzungen aber ist evident. Schon möglich, dass die Berliner Spitzenleute von ihren Genossen irgendwann doch zum Rapport bestellt werden.
Sabine Beikler