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Berlin, Stadt der Brachen. Hier nahe der Rummelsburger Bucht 2017. Noch immer stehen in Berlin massenweise Baulücken leer.
© Kai-Uwe Heinrich

Neubau in der Hauptstadt: „Berlin verwaltet seine Baulücken miserabel“

Die Senatsverwaltung hat keinen Überblick über Brachen und Baulücken in der Stadt. So kann man schlecht Wohnungen bauen. Wie kann das sein?

Die für Berlins Stadtentwicklung, den Wohnungsneubau sowie die Büro- und Gewerbeflächenentwicklung wichtigste Senatsverwaltung hat keinen genauen Überblick über Brachen und Baulücken in Berlin, die in Zeiten des Flächenmangels bebaut werden könnten. Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) antwortete auf der Veranstaltung „Wohnen versus Gewerbe – Kampf um Entwicklungsflächen?!“ am 19. November in Berlin in der alten Reemtsma Fabrik in Wilmersdorf auf die Frage, ob sie alle verfügbaren Brachen in Berlin kenne: „Das kann ich klar verneinen.“

Ob der Fassungslosigkeit des Publikums aus Projektentwicklern, Maklern und Rechtsanwälten sowie Vertretern immobilienwirtschaftlicher Verbände schob sie erklärend nach: „Es sind nicht alle Flächen des Landes „geclustert“ – das ist auch ein Problem der Berliner Verwaltung.“ Kann das sein? In der deutschen Hauptstadt wird allerorten der Mangel an Flächen für Wohnungen, Büros, Gewerbeflächen und Logistikstandorten beklagt und dieser Mangel wird nicht einmal verwaltet?

Sebastian Czaja: Keine Wohnbau-Offensive ohne Übersicht

„Keine andere Stadt Europas verfügt über so zahlreiche Baulücken wie Berlin – und keine andere Stadt verwaltet sie zugleich so miserabel“, sagt auf Anfrage Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender der Freien Demokraten im Abgeordnetenhaus: „Die systematische Erfassung von Baulücken, deren Eigentumsverhältnisse sowie die Qualität der Freiflächen ist zentrale Voraussetzung für eine Wohnbau-Offensive. Während sich Verwaltung, Bürger und Bauherren in Frankfurt/Oder bereits durch ein nutzerfreundliches Kataster klicken können, diskutiert man in Berlin lieber noch darüber. Als Freie Demokraten haben wir bereits zu Beginn der Wahlperiode ein Baulückenkataster ins Parlament eingebracht, um die Potentiale unserer Stadt endlich überhaupt einmal zu kennen.“

Jan-Marco Luczak, Mietrechtsexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und für den Bezirk Tempelhof-Schöneberg im Parlament sagt auf Anfrage: „Die Bereitstellung von Bauland ist das entscheidende Nadelöhr. Wenn wir die Probleme der steigenden Mieten in den Griff bekommen wollen, müssen wir mehr, schneller und kostengünstiger Bauen. Das können wir nur, wenn wir wissen, wo freie Flächen zur Verfügung stehen. Dass Frau Lompscher nicht bekannt ist, wo diese Flächen in Berlin sind, erschreckt mich. Der rot-rot-grüne Senat hat also noch nicht einmal die Grundlagen dafür geschaffen, seine eigenen Ziele erreichen zu können. Damit gehen die Pläne des Senats und seiner Nicht-Bausenatorin wieder einmal ins Leere.“

Grüne: "Kataster sollte schnell stadtweit geprüft werden"

Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus bestätigen den erstaunlichen Befund, der Lompschers Aussage zugrunde liegt. „Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Einrichtung eines öffentlichen Liegenschaftskatasters zu prüfen“, sagt Katrin Schmidberger, Sprecherin ihrer Partei für Wohnen, Mieten und Tourismus. Welche Flächenpotenziale zum Beispiel durch die Umnutzung von Verkehrsflächen aktiviert und für neuen Wohnraum oder den Gemeinbedarf genutzt werden können, „sollte schnell stadtweit geprüft werden“, findet sie.

Schmidberger verweist – wie auch viele der vom Tagesspiegel im Rahmen einer umfassenden Recherche befragten Baustadträte der Bezirke auf das Wohnbauflächen-Informationssystem (WoFIS). Das ist ein verwaltungsinternes Instrument, das verfügbare Potenzialflächen erfasst, wenn sie Platz für mindestens fünfzig Wohneinheiten bieten. Für die Ausweisung von Gewerbe- und Bürostandorten sowie Logistikstandorten ist WoFIS allerdings nicht gemacht. „Im Regelfall handelt es sich um Potentialflächen, die faktisch für Wohnungsneubau in Betracht kommen – z.B. gemäß Flächennutzungsplan oder Bebauungsplan – das Vorliegen entsprechenden Planungsrechts ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für eine Erfassung im WoFIS“, heißt es in einer Antwort des Staatssekretärs in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf eine entsprechende Anfrage der FDP im Abgeordnetenhaus im Sommer 2017.

Baustadtrat von Mitte: "Unentdeckte Flächen können wir ausschließen"

Für Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe hat es damit aber nicht sein Bewenden. Der SPD-Politiker verlässt sich nicht auf dieses System. „Wir haben ein perfektes georeferenziertes digitales Datensystem, genannt ISIS“, teilt er mit. „Wir wissen auf den Quadratmeter genau, was wir besitzen. Was wir ausschließen können, sind ungenutzte und unentdeckte Flächen.“ Das kann nicht jeder Bezirk von sich sagen.

„Der Bezirk Pankow führt hier kein eigenes Kataster“, lässt Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) seine Koordinatorin in der Abteilung Stadtentwicklung und Bürgerdienste auf die Tagesspiegel-Anfrage antworten. Mehr noch: „Ein eigenes bezirkliches Kataster ist nicht geplant.“ Man setze auf WoFIS. Ein eigenes Kataster wäre „Doppelarbeit“.

Spandau: "Im Internet kann auch so vieles in Erfahrung gebracht werden"

Lars Struve geht in Spandau noch einen Schritt weiter. „Der Aufbau eines Liegenschaftskatasters für freie und bebaubare Bau- und Gewerbegrundstücke ist weder inhaltlich erforderlich noch personell-organisatorisch leistbar“, antwortet der Referent klipp und klar für das Bezirksamt von Berlin Spandau, Abteilung Bauen, Planen und Gesundheit. Er verweist auf das Internet, wo vieles „in Erfahrung gebracht werden“ könne. Für alle landeseigenen Grundstücke besitze die durch das Land Berlin eingesetzte BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH eine qualifizierte Übersicht.

Und eine Aufstellung eines Liegenschaftskatasters für nicht öffentliche Grundstücke existiere bereits bei der Wirtschaftsförderung des Landes Berlin – allerdings nur nach entsprechender Registrierung von Privatpersonen, die ein Interesse an der Vermarktung ihrer freien Grundstücksflächen besitzen. Bestimmte erforderliche Informationen stünden eben einfach „nicht zur Verfügung und könnten – wenn überhaupt – nur mit einem nicht zu vertretenden Personalaufwand eruiert werden“. Also lässt man es lieber.

Neukölln: Verkehrsflächen könnten für Wohnungsbau eingezogen werden

Wie Spandau und Pankow verneint auch Neukölln Fragen nach einem Kataster verfügbarer und bebaubarer Brachen im Bezirk. In WoFIS seien „alle verfügbaren und bebaubaren Flächen gelistet, die grundsätzlich als Wohnungsbaustandorte infrage kommen und eine Mindestgröße erreichen – Flächen ab zirka 20 Wohneinheiten“. Unabhängig davon habe man anhand des WoFIS „aber auch aus sonstiger Ortskenntnis einen guten Überblick über die möglichen Baupotenziale auf unbebauten Grundstücken“, sagt Christopher Dathe aus dem Büro des Bezirksstadtrates für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste: „Es gibt fast keine Brachen mehr, wo wir also nicht wissen, was geplant ist und keine Nutzung besteht. In anderen flächenmäßig größeren und weniger dicht bebauten Bezirken mag die Lage anders sein.“

Die Frage danach, ob sich durch Änderungen der Flächennutzungspläne in Neukölln nicht mehr benötigte Verkehrsflächen für den Wohnungsbau aktivieren ließen, bejaht Dathe: „Derzeit gibt es in zwei Fällen Überlegungen, Verkehrsflächen zugunsten von Wohnungsneubau einzuziehen“, bestätigt er: „Hierzu wäre in einem Fall die Änderung des bestehenden Planungsrechts erforderlich.“ Grundsätzlich sei aber zu sagen, dass die Überplanung von Verkehrsflächen in der Regel mit besonderem Aufwand verbunden seien, da unter den Straßen üblicherweise Leitungen und sonstige technische Infrastruktur existieren, die nicht einfach überbaut werden könnten. Die Möglichkeit einer Verlegung, müsse in jedem Einzelfall räumlich und technisch geklärt werden. Ein hoher Kostenfaktor sei zu erwarten. Aber: „Wenn es aber möglich ist, sollten diese Chancen auch genutzt werden.“

SPD-Landesvorstand: "Land muss mehr Verantwortung übernehmen"

Sara Lühmann, Pressesprecherin der Bezirksbürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg, sieht das für ihren Bezirk alles nicht. Der sei der am dichtesten bebaute Bezirk von Berlin. „Nennenswerte Brachflächen, die nicht erfasst wurden, sind hier nicht mehr vorhanden“, gibt Lühmann zu Protokoll: „Auch Verkehrsflächen, die bei Rückbau zu nennenswerten Wohnbauflächen umgewandelt werden könnten, gibt es nicht.“

Nach Einschätzung von Volker Härtig, Vorsitzender Fachausschuss VIII „Soziale Stadt“ beim SPD-Landesvorstand Berlin, kennen die Bezirke ihre Brachen unterschiedlich: „Reinickendorf hat noch große Flächenreserven, aber auch dort will man nicht so richtig. Am Pankower Stadtrand gibt es riesige Brachflächen, die seit Jahren nicht mehr untersucht wurden“, sagt er auf Anfrage. Pankow wolle aber nicht zu sehr wachsen – obgleich der Bezirk Potentiale für 30 000 bis vielleicht 50 000 Wohnungen habe. Die Verwaltung sei schon jetzt stark ausgelastet bis überfordert. „Was zeigt, dass das Land viel mehr Verantwortung übernehmen muss“, sagt Härtig.

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