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Neukölln im Herbst 1989, als die Ostdeutschen für 100 D-Mark an der Berliner Bank anstanden.
© Brigitti Hiemsch

Am 10. November - nach dem Mauerfall: „Die ersten standen seit 3 Uhr morgens vor der Bank“

Nach dem Fall der Mauer holten sich die Ostdeutschen im Westen Begrüßungsgeld ab. Eine Bankangestellte aus Berlin-Neukölln erinnert sich.

Brigitta Hiemsch kann sich noch gut erinnern an den Tag eins nach dem Mauerfall. Es war Freitag, der 10. November. Und Brigitta Hiemsch war damals Angestellte bei der Berliner Bank. Eine West-Berliner Institution, die noch den Mauerfall überlebte, aber längst Geschichte ist.

Heute ist Brigitta Hiemsch 77 Jahre alt und längst in Rente. In diesen Tagen holten sie die alten Fotos heraus – und die Erinnerungen. An diesem 10. November 1989 hatte sie viel zu tun. Sie arbeitete in der Filiale der Berliner Bank an der Karl-Marx-Straße in Neukölln, gleich in der Nähe des Bezirks-Rathauses.

Die Ost-Berliner und Ost-Deutschen standen Schlange, um sich das Begrüßungsgeld abzuholen: immerhin Hundert D-Mark. Für viele aus dem Osten war es das erste Westgeld, mit dem sie sich im bunten Westen der Stadt etwas kaufen konnten.

Brigitta Hiemsch fotografierte damals die langen Warteschlangen, den Trubel vor der Bankfiliale. An dieser Stelle veröffentlichen wir eine Auswahl. Sie zeigen nicht nur die Menschen, die sich ihr Begrüßungsgeld abholen wollten. Zu sehen ist auch ein Neukölln, das es so nicht mehr gibt.

Brigitta Hiemsch aus Neukölln. Sie fotografierte die Warteschlangen vor der Berliner Bank in Neukölln.
Brigitta Hiemsch aus Neukölln. Sie fotografierte die Warteschlangen vor der Berliner Bank in Neukölln.
© Alexander Fröhlich

„Die ersten standen seit der Nacht vor der Bank, haben sich um 3 Uhr morgens angestellt“, berichtet Brigitta Hiemsch. Es war kalt, Anwohner brachten den Wartenden heiße Getränke. Es war eine besondere Stimmung, erzählt Brigitta Hiemsch. Bis um die Ecke in die Erkstraße standen sie in der Schlange.

Warten auf hundert D-Mark vor der Berliner Bank.
Warten auf hundert D-Mark vor der Berliner Bank.
© Brigitta Hiemsch

Der Schriftsteller und Regisseur Thomas Brasch, der 1976 infolge der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann in den Westen ging, sagte nach dem Mauerfall: „Das Volk stand auf und ging zu Bilka. Zwei Phasen einer Revolution. Vormittags demonstrieren, nachmittags konsumieren.“

An der Karl-Marx-Straße entlang bis in die Erkstraße standen die Menschen.
An der Karl-Marx-Straße entlang bis in die Erkstraße standen die Menschen.
© Erkstraße

Einige können sich vielleicht noch erinnern: Bilka war ein Billigwarenhaus. Bilka ist längst Geschichte. Und auch das gehört zum Mauerfall: Die Ostdeutschen fühlten sich angezogen von der Warenwelt im Westen. Am Ende der friedlichen Revolution ging es auch um das Recht auf Konsum. Aus dem Ruf "Wir sind das Volk" wurde "Wir sind ein Volk".

Die Farben der späten 1980er-Jahre.
Die Farben der späten 1980er-Jahre.
© Brigitta Hiemsch

Nicht wenige ließen sich das Begrüßungsgeld doppelt auszahlen - ein Betrug. DDR-Bürger konnten sich mit dem Personalausweis die Hundert D-Mark abholen, aber auch mit ihrem Reisepass. Andere manipulierten ihre Ausweise, rissen die Seite mit dem Auszahlungsstempel heraus oder machten den Stempel unleserlich.

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Nach den ersten Berichten um die Betrugsmasche, bekamen einige ein schlechtes Gewissen. Auch in der Filiale von Brigitta Hiemsch kamen einige vorbei und brachten die Hundert D-Mark, die sie doppelt kassiert haben, zurück.

Am 29. Dezember 1989 wurde die Auszahlung des Begrüßungsgeldes eingestellt. Es folgte die erste freie Wahl der Volkskammer, die Währungsunion und am 3. Oktober 1990 schließlich die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Es werden in den nächsten Monaten noch einige Jubiläen gefeiert.

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