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2008 sprach Obama an der Siegessäule. Damals war er noch Senator - trotzdem begeisterte er Hunderttausende.
© dpa

Rede an der Siegessäule 2008: Der Tag, an dem Barack Obama nach Deutschland kam

200.000 Menschen kamen vor neun Jahren zur Siegessäule in Berlin, um den Senator Barack Obama sprechen zu hören - dann wurde er Präsident. Hier ein Text zu diesem historischen Tag aus unserem Archiv.

Der Himmel über Berlin setzt wieder einmal Zeichen - längst bevor Barack Obama noch die Symbolkraft der Luftbrücke beschwören wird. Um 18 Uhr 08 nämlich fliegt eine Linienmaschine aus der Richtung Brandenburger Tor durch den Luftraum der Hauptstadt direkt über die Obama-Fanmeile und die große Menge an der Siegessäule.

Das wirkt schon erstaunlich angesichts der peniblen Sicherheitskontrollen am Boden. Genau eine Stunde später verschiebt sich dann der zwischen Tiergarten und Potsdamer Platz dauerschwebende Polizeihubschrauber im Seitflug nach Süden, das ist das Zeichen, woher der ersehnte Gast endlich kommen wird. Seine Wagenkolonne nähert sich von Norden, nicht vom Schloss Bellevue her, wo an der Nordseite des Großen Stern die Weltpresse und in einem abgesperrten Korridor zwischen Fernsehtribüne und Rednerpult die Berliner Landespolitik, angeführt vom Regierenden Bürgermeister und dem Innensenator Körting wartet.

Von deren dicht bewachtem Laufstall führt auch eine Treppe zum hölzernen Rednerpult, das zwei Palmwedel und ein Lorbeer in Plastikkübeln schmücken. Obama aber betritt die riesige Bühne rund um die Säule von oben - allein, ohne Tross erscheint er um 19 Uhr 15 hinter der Siegessäule schon auf dem erhöhten Rondell und geht winkend die etwa 30 Meter allein zum Rednerpult. Und die Menge spürt sofort: Der so schlanke, federnde Mann füllt auch den offenen Raum. Ein Star-Solist, dem auch Klaus Wowereit oder der amerikanische Ex-Botschafter John Kornblum wie die hunderttausend Fans ihre Digitalkameras entgegenhalten. Nach 35 Minuten scheint schon alles vorbei. Beifall, ein kurzes Winken, ein winziges Zögern, dann verlässt der Präsidentschaftskandidat das Podium über die Treppe zum Wowereit-Körting-Korridor. Man glaubt ihn entschwunden.

Mitten in der Menge

Da aber drängt die jubelnde Menge immer stärker gegen die Absperrgitter - und Obama wendet sich ab von den Offiziellen und geht strahlend die ganze erste Reihe der hier vorne fast durchweg jungen Zuschauer entlang: Schüttelt die Hände der berlinernden Schüler, der Studenten aus der Schweiz, der vielen Landsleute und einer Schar begeisterter Afrikaner, die ihn schon bei der Erwähnung seines kenianischen Vaters mit Zwischenrufen offenbar so herzlich trafen, dass Obama seine Rede vor der Welt und den Hunterttausend spontan lachend für einige Sekunden unterbrochen hatte. Mitten in der Menge steht ein Mann mit silbernen Haaren und weißem T-Shirt und einer roten Baseballmütze, die er seit Tagen nur noch zum Schlafen absetzt. Er hat einen Bierbecher in der einen Hand, in der anderen eine Zigarette. Und es breitet sich ein Gefühl in ihm aus wie Wärmewellen.

Er kann Obama nicht gut sehen, es werden vielleicht 50 Meter zwischen ihnen sein, vielleicht weniger, und doch ein Universum. Aber um all das geht es jetzt nicht. Schon am Nachmittag, gegen 17 Uhr, als der abgeriegelte Kosmos rund um die Berliner Siegessäule langsam anfing zu vibrieren, hatte dieses Gefühl begonnen. Da begann Michael Steltzer zu begreifen, wofür alles gut war, die langen Tage und kurzen Nächte. So viele Menschen, "um einen Politiker reden zu hören. Das geht nur, wenn er wirklich Substanz hat." Steltzer muss das wohl sagen, aber es klingt so, als meinte er es auch.

Barack Obama kommt nach Berlin. Das war die karge Meldung, die dazu führte, dass auf einmal die Weltpolitik über Michael Steltzer hereinbrach. Dass er Teil einer gewaltigen, gut geölten Maschine geworden ist. Steltzer, eben noch ein Mann von 60 Jahren mit einem Laden für Drachen und Jonglierbedarf in Berlin-Schöneberg, war plötzlich der Europa-Pressesprecher Obamas, der Mann, der den Berlin-Besuch organisiert. Zumindest hielt ihn ein Teil der Welt dafür. Denn wer im Internet die Telefonnummer der Berliner Abteilung der "Democrats Abroad" wählte, der Auslandsorganisation der US-Demokraten, landete in Steltzers kleinem Laden. Arabische Fernsehsender oder Zeitungen aus Moskau riefen an, und Steltzer gab Interviews, so viele, dass er ziemlich bald aufgehört hat, sie zu zählen. "Obama macht uns wieder stolz auf unser Land." Solche Sätze hat Steltzer dann gesagt.

Und dass der neue US-Präsident eine Menge zu tun haben wird, zu Hause und in der Welt. Er hat natürlich keinen Zweifel daran gelassen, dass dieser Präsident nur einer sein kann. Obama. Es scheint, dass dessen Stab mit Steltzers Arbeit zufrieden war, er hat sich ein Bild gemacht. Wo Steltzer in dieser Woche war, war auch eine junge Frau mit einem auffallend weißen Lächeln nicht weit, dezent im Hintergrund, möglichst unauffällig aufmerksam. Sie ist eine der Abgesandten, die aus den Staaten angereist sind, mit einem Ziel: eine perfekte Kulisse zu schaffen, möglichst jeden Zufall auszuschalten, der das große glänzende Bild stören könnte, das von diesem Besuch in die Welt getragen werden soll.

Er ist bis zum Bersten mit Bedeutung aufgeladen, lange bevor um zehn Uhr morgens die frisch designte "Obama One", eine Boeing 757 mit dem Obama-Slogan "Change we can believe in" auf dem Rumpf, auf dem Rollfeld des Flughafens Berlin-Tegel landet und Obama erstmals einen Fuß auf deutschen Boden setzt.

Warten auf einen historischen Satz

Bush steht für Krieg im Irak, für Folter in Abu Ghraib, für Rechtlosigkeit in Guantánamo und neuerdings auch für eine darbende Wirtschaft und die Bankenkrise. In Obama sehen die Europäer das Gegenteil, sie erwarten nichts weniger als Wunder von diesem großen schlacksigen Mann. Eine Kursumkehr der bisherigen US-Politik. Und am besten soll er an diesem Donnerstag gleich damit beginnen. Was wird er zum Nahen Osten, dem Irak, was zu Afghanistan sagen und was zu den Erwartungen an die Europäer? Und wird er, für Berlin, einen Satz hinterlassen, der über den Tag hinausreicht, der in den Büchern weiterleben könnte? Einen Satz wie John F. Kennedys "Ich bin ein Berliner", wie Jimmy Carters "Was immer sei, Berlin bleibt frei", Ronald Reagans "Tear down this wall" oder Bill Clintons sinnleichtes "Alles ist möglich"? Obama, das steht lange vor seinem Auftritt fest, braucht Bilder, die ihn in der Rolle des Außenpolitikers gut aussehen lassen. Und er bekommt die Bilder, die seine Berater nach Hause senden wollen, um sein außenpolitisches Profil zu schärfen: als der Kandidat, der Amerikas ramponierten Ruf am ehesten wiederherstellen kann.

100.000 Menschen - mehr noch, als zu seinen bestbesuchten Auftritten in den USA; in Portland, Oregon, waren es im Mai 75 000. Mehrfach unterbrechen sie seine Rede mit Beifall, einmal sogar mit "O-ba-ma"-Sprechchören. Die Begeisterung überrascht die Moderatoren, die seine Rede in den USA kommentieren, nicht. Sie kennen das aus den USA. Das Grundmuster jeder Obama-Rede ist ein globales Erfolgsmodell. Er erzählt seine Lebensgeschichte als Botschaft der Hoffnung, angereichert um lokale Zutaten. Er sehe ein bisschen anders aus als die US-Politiker, die vor ihm in Berlin gesprochen haben, kokettiert er mit seiner Hautfarbe.

Der schwarze Vater hat als Kind noch in Kenia Ziegen gehütet - bis die USA ihm die Chance zu einer erstklassigen Ausbildung gaben. Auch in Berlin haben es die Menschen von den Hungerzeiten der Berlinblockade zu einem Leben in Wohlstand und Freiheit gebracht - weil Amerika sich auf seine Ideale besann und die westlichen Grundwerte verteidigte. Deshalb ist schließlich auch die Mauer gefallen - weil der Westen zusammenstand. Und dann öffneten sich die Gefängnisse von Kaptstadt bis Kiew. Ein genau kalkuliertes Erfolgsrezept. Seit Wochen kümmerte sich ein Stab kümmert um alles. Es ist kein Zufall, dass vor der Bühne an der Siegessäule fast keine Plakate und Transparente mit Sprüchen zu sehen sind. Obamas Strategen wollen es so. Transparente mit Bush- oder McCain-Schmähungen würden daheim in den Staaten nicht ankommen, antiamerikanische Sprüche auch nicht.

Ein Teil der alten Kandelaber am großen Stern fehlt, Bauarbeiter haben sie abmontiert, damit die Fernsehkameras freie Sicht auf den Kandidaten haben. Auch Renate Immel, eine Frau mit ausgeprägten Lachgrübchen, die ihr Gesicht deutlich jünger erscheinen lassen als das einer 67-Jährigen, ist an diesem Tag nicht hinter jener Glasscheibe zu finden, wo sie ansonsten Eintrittskarten für die Siegessäule verkauft. Seit acht Jahren ist sie zuverlässiger Bestandteil dieses Platzes. Sie musste lernen, dass sie ein Sicherheitsrisiko ist.

Sie versteht ja, sagt sie, dass die Siegessäule nicht geöffnet haben kann, wenn außenrum zigtausende Menschen einem sehr gut bewachten Menschen beim Reden zuhören wollen. Sie hat lange überlegt, ob sie eine von diesen Zigtausend sein will, sie ist ja schon neugierig auf diesen Mann, der manchmal gefeiert wird wie ein neuer Messias. Ja, ja, doch, dieser Mann hätte sie interessiert. Sie ist auf dem Laufenden, sie kennt die bisherigen Stationen seiner Reise und weiß, was er in seinen Reden dort so gesagt hat. Sie hat sich trotzdem dagegen entschieden, an diesen Ort zu kommen, an dem ihr viel liegt, weil er für so viel Geschichte steht und weil sie diesen Blick von ganz oben auf die Stadt noch sehr immer genießt. "Solche Massenaufläufe sind einfach nicht meins", hat sie sich gesagt, und Interesse hin oder her, "Obama ist ja bisher noch ein Kandidat. Er soll erst mal Präsident werden."

Also hat sie am Vorabend einen letzten Gang hoch aufs Plateau gemacht, wie immer, wenn sie Dienst hat, und hat dann den Schlüssel abgegeben. Die Säule gehört jetzt vorübergehend den Sicherheitsleuten, und sie sitzt zu Hause in Lichtenberg, 20 Minuten mit Bus und Bahnen von hier, vor dem Fernseher, um sich ein Bild davon zu machen, wie sich der Kandidat so schlägt. Um kurz vor elf Uhr sieht sie ihn zum ersten Mal: Eine Autokolonne von fast 20 Wagen rauscht Richtung Kanzleramt. Hunderte Schaulustige säumen den Weg. Obama grüßt kurz in die Menge, dann verschwindet er im Kanzleramt.

Angela Merkel sagt "Welcome"

Drinnen führt ihn Angela Merkel vor die Fotografen und zeigt beim Händeschütteln mit breitestem Lächeln, dass sie sich freut. Die Politikerin, die sich so gut mit George W. Bush versteht, demonstriert bestes Einvernehmen mit dem Mann, der Bush ablösen will und den sie zuvor noch nie getroffen hat: "Welcome. Ich freue mich auf eine gute Diskussion", sagt sie. Erst fasst er sie zwei Mal am Oberarm, dann tätschelt sie gleich mehrfach zurück. Auch der Gast strahlt und trägt ihr offenbar nicht nach, dass Merkel ihm eine Rede vor dem Brandenburger Tor durch ihren öffentlichen Widerstand verwehrt hatte. Das Gespräch dauert rund eine Stunde, und Regierungssprecher Ulrich Wilhelm nennt es später ein "sehr offenes und in die Tiefe gehendes Gespräch in sehr guter Atmosphäre". Vor allem außenpolitische Themen wie Iran, Afghanistan, Pakistan, den Nahost-Friedensprozess und den Nato-Gipfel 2009 sprechen Merkel und ihr Gast an. Etwa 20 Minuten weniger als für die Kanzlerin hat Obama für den Außenminister reserviert.

Zum Ausgleich übertragen die Fernsehstationen dann allerdings nicht nur Bilder, wie Frank-Walter Steinmeier den Gast mit offenen Armen im Hof des Auswärtigen Amtes empfängt, sondern auch, wie er ihn danach wieder verabschiedet. Obama hat über die Eindrücke seiner Reise nach Afghanistan, in den Irak sowie in den Nahen Osten berichtet. Der Minister kann jedenfalls mit dem Gefühl in sein Büro zurückkehren, dass sein Gast seinen eigenen außenpolitischen Ansätzen nahe steht. "Ich habe auch bei diesem Gespräch noch mal festgestellt, dass unsere Philosophie der Außenpolitik, Kooperation statt Konfrontation, auch Ziel seiner außenpolitischen Vorstellungen ist", sagt Steinmeier hinterher.

Nächster Termin schließlich mit dem Regierenden Bürgermeister im Hotel Adlon. Und da läuft für Klaus Wowereit alles nach Plan. Aus dem großen Auftritt mit Barack Obama vor dem Brandenburger Tor wurde zwar nichts, doch Wowereit sagt nach dem Treffen, der amerikanische Politiker wolle bald nach Berlin zurückkommen.

Man habe sich über Berlin unterhalten, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Stadt, die Integrationsprobleme. Obama sei sehr interessiert und sehr gut informiert - und er, Wowereit, habe den Eindruck gehabt, dass Obama durchaus zu einem spontanen Stadtspaziergang bereit gewesen wäre, hätten nicht Sicherheitserwägungen dagegen gesprochen. Für Steltzer und seine Democrats Abroad wird es kein Treffen mit Obama geben. Steltzer akzeptiert es, "entscheidend ist, dass er gewählt wird", sagt er. Und damit hat er ab dem nächsten Morgen wieder zu tun.

An diesem Abend feiern sie, im Max und Moritz, einer Kreuzberger Kneipe mit Wandpaneelen, viel dunklem Holz und wattschwachen Funzeln. Aber nicht lang, Steltzer muss früh wieder raus. Am Freitagmorgen trifft er sich mit Wahlkämpfern, einer Reihe anderer Gruppen, die unabhängig voneinander arbeiten, die für Obama möglichst viele Stimmen in Europa sammeln wollen. Etwa 120 000 Amerikaner leben in Deutschland, gut 20 000 in Berlin und Brandenburg. Einen guten Teil davon hat Obama an diesem Donnerstag angezogen und an die Tische gespült, an denen Steltzer und seine Leute Wähler registriert haben. Und jetzt geht es weiter. Es fängt ja gerade erst richtig an.

(Mitarbeit: Werner van Bebber, Christoph von Marschall und Hans Monath)

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