Hamburg oder Berlin: Das sind die Strippenzieher hinter der Olympia-Bewerbung
Hamburg liegt vorn, Berlin holt auf. Kilian Trotier und Marc Widmann von der ZEIT aus Hamburg sowie Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt zeichnen die Wege der beiden Bewerbungen nach - und die Tricks, mit denen die Spiele gewonnen werden sollen.
Die Entscheidung wird auf neutralem Gebiet verkündet, im Konferenzraum „Gold“ des Sporthotels Lindner gleich neben dem Stadion in Frankfurt am Main. Auf grasgrünen Stühlen werden die Reporter am kommenden Montag warten und das Foto einer kunstvoll verrenkten Sportgymnastin an der Wand bestaunen. Bis gegen 19 Uhr das hohe Gericht sein Urteil verkünden wird, zwei Frauen und sieben Männer, das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Der Präsident Alfons Hörmann wird eintreten, sich auf einem grasgrünen Stuhl niederlassen und endlich den Sieger küren: Hamburg – oder Berlin. Es kann nur eine deutsche Bewerberstadt für die Spiele 2024 und 2028 geben. Der Auftritt ist das Ende eines langen Castings. Über Monate hinweg haben sich beide Städte bemüht, die Jury zu bezirzen, eine jede auf ihre Art. Die Hamburger hatten den besseren Start. Dann holten die Berliner auf, kamen ran. Um nun, kurz vor der Ziellinie, doch wieder knapp hinten zu liegen in einem Rennen, das womöglich erst im Fotofinish entschieden wird.
In jeder Stadt entwickelt sich im Lauf einer Bewerbung eine eigene Dynamik. Denn in jeder Stadt haben Bürger, Politiker, Funktionäre ihre persönliche Agenda. Deshalb gibt es einen Hamburger Weg zu Olympia und einen Berliner. Die einen versuchen es mit Penetranz und dem beharrlichen Wiederholen von Zahlen, die anderen mit Lautstärke und Abendessen im Kerzenschein. Wer wissen will, warum die Bewerbungen so unterschiedlich sind, der muss an ihre Anfänge zurückgehen. Zu einer kühnen Idee des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.
Am Anfang standen zwei kühne Ideen
Und zu einer kühnen Idee eines älteren Herrn in der Hamburger Handelskammer: Sein Büro liegt im dritten Stock der Handelskammer, vor dem Fenster schimmert das grüne Dach des gegenüberliegenden Rathauses. An den Wänden hängen Pläne des Hafengeländes, auf dem das Olympiastadion entstehen soll. Es ist das Büro von Reinhard Wolf. Er wollte eigentlich schon in Rente sein, im April 2014 hätte er verabschiedet werden sollen. Doch der 63-Jährige ist noch da: wegen Olympia. Er ist verrückt nach den Spielen, hat immer an sie geglaubt, auch als die meisten Hamburger eine Bewerbung für undenkbar hielten. Denn Hamburg und Olympia, das war viele Jahre lang eine Beziehung wie Hamburg und die Elbphilharmonie: Besser nicht dran erinnern.
Hamburg bewarb sich für Olympia 2012, Berlin für 2000
Hamburg wollte die Spiele 2012 und scheiterte schon in der deutschen Vorauswahl – an Leipzig. Die Pläne verschwanden in der Schublade. Niemand sprach mehr darüber. Außer Wolf. Er hatte die Bewerbung damals mitgeplant. Er sagt: „Wir als Handelskammer haben erkannt, welche emotionale Kraft im Sport liegt.“ Und welche wirtschaftliche Kraft.
Während alle anderen ihre Unterlagen heimlich schredderten, richtete die Handelskammer eine Sportabteilung ein. In der Zeit, in der niemand etwas von Olympia wissen wollte, lauerte Wolf mit einem kleinen Stab auf die nächste Chance.
Vor eineinhalb Jahren witterte er sie. Im Sommer 2013, als die Planung für das nächste Jahr ansteht, sitzt er mit seinen Mitarbeitern zusammen. Sie haben alle Punkte abgearbeitet. Wolf sagte: „Eine Sache fehlt noch.“ Sie schauen ihn an. „Wir müssen uns gedanklich mit dem Thema Olympia auseinandersetzen.“ Wolf nimmt den Punkt Olympiabewerbung in die Budgetplanung für 2014 auf, unter drei Bedingungen: Thomas Bach wird IOC-Präsident. Die Spiele 2020 gehen nicht nach Europa. Die Bayern entscheiden sich in ihrem Volksentscheid gegen die Olympischen Winterspiele. Alles drei tritt ein. Wolfs Stunde ist gekommen.
Klaus Wowereit brachte Olympia zurück ins Berliner Bewusstsein
In Berlin liegt da auch schon längst ein Mann auf der Lauer. Am 31. Januar 2000 hat der Fraktionschef der SPD in gedrechselten Worten ein Tabu gebrochen: „Eine gemeinsame Olympiabewerbung der Bundesländer Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern“ würde mittelfristig die Chancen für Sommerspiele „nachhaltig erhöhen“, sagte er in einem Radiointerview. Der Regierende Bürgermeister hieß damals Eberhard Diepgen – und der hatte in einer früheren Lebensphase die 1993 katastrophal gescheiterte Bewerbung für die Spiele 2000 zu verantworten. Seitdem war kein Politiker von Rang mehr bereit, ernsthaft über Olympia in Berlin zu sprechen. Aber jetzt tat es einer: Klaus Wowereit. Ein halbes Jahr später wurde er Bürgermeister.
Seitdem galt eine Bewerbung wenigstens nicht mehr als ausgeschlossen. Von den Spielen im Jahr 2012 war die Rede, dann von 2016, aber die deutschen Sportverbände verspürten nach den Peinlichkeiten der 2000er-Bewerbung (Sex-Dossiers über IOC-Mitglieder, Angriffe auf Funktionäre) keine Neigung, es noch einmal mit der Hauptstadt zu versuchen – zumal Berlin von der Sarrazin’schen Kürzungspolitik schwer angeschlagen war. Bis zum Jahr 2014. Hamburgs Bewerbung kursiert schon, da sagt Wowereit: „Die Voraussetzungen für Olympische Spiele hat Berlin, die Sportstätten sind da.“ Das Rennen ist eröffnet.
In Hamburg lässt die Handelskammer eine Umfrage anfertigen. Fast 60 Prozent sind für die Spiele – und das wenige Wochen nach dem desaströsen Referendum in Bayern im November 2013. Wolf überzeugt seinen Chef, den Präses der Handelskammer Fritz Horst Melsheimer, eine Olympiabewerbung in seiner großen Rede bei der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns“ zu fordern. „Also, Herr Bürgermeister – ich nehme Sie beim Wort, packen Sie es an!“, sagt der. Der Applaus ist zögerlich. Noch.
In Hamburg ist Olympia ein Projekt der Handelskammer
Olympia in Hamburg, das ist anfangs ein Projekt der Handelskammer, dieser mächtigen Institution, die in einem ähnlich wuchtigen Gebäude residiert wie das Rathaus. Beide Paläste verbindet ein Tunnel, doch angeblich besitzt nur eine Seite die Schlüssel: die Herren der Handelskammer. Manche bezeichnen sie als die wahren Regenten der Stadt.
Wolf schreibt mit seinem kleinen Team eine Machbarkeitsstudie. Ein Papier mit Zahlen, Kalkulationen. Und einem Fazit: Es lohnt sich. Er schickt es an Politiker und Sportfunktionäre, doch die sind zu Beginn wenig entflammt. Wolf versucht sie zu überzeugen, indem er wieder und wieder erzählt, welch einmalige Chance das sei: für die Stadtentwicklung, für die internationale Bekanntheit, für den Tourismus, für den Sport. Er habe auch das Verhältnis von Nutzen und Kosten berechnet, sagt Wolf. Der Faktor liege bei 3,42. Für jeden Euro, der für die Spiele ausgegeben werde, kämen 3,42 Euro rein.
So beginnt die Hamburger Bewerbung: kühl durchdacht, straff kalkuliert.
Wolf hat die Zahlen. Jetzt braucht er Hilfe. Von oberster Stelle. Die kommt, wie er sagt, „auf wundersame Weise“. Bürgermeister Olaf Scholz bekommt Wolfs Konzept, liest es übers Wochenende und sagt: Das machen wir so. „Damit war klar, das läuft“, sagt Wolf.
In Hamburg läuft das so: Wenn sich Scholz und die Handelskammer einigen, ist ein Projekt kaum noch aufzuhalten Beide sehen die Spiele in erster Linie als Chance. Manch einflussreicher Berliner sieht sie vor allem als Risiko.
Wowereits Nachfolger Müller hadert mit seinem Olympia-Erbe
Es ist sieben Uhr morgens, Bürgermeister Michael Müller steht an diesem 23. Januar ziemlich allein auf dem Pariser Platz, seine Hand schwebt über einem roten Knopf. Es ist der offizielle Beginn der Kampagne „Wir wollen die Spiele“, ausgerichtet darauf, ein bisschen Leidenschaft in der müden Stadt zu wecken. Hinter dem neuen Regierenden Bürgermeister wird gleich das Brandenburger Tor in bunten Farben erstrahlen – ein paar Sekunden Bilder fürs Fernsehen, ein paar Fotos, so soll es sein, das muss reichen.
Müllers Idee war das alles nicht, schon gar nicht sein Wunsch. Er hat Olympia zusammen mit allerlei anderen Baustellen von seinem Vorgänger geerbt, und er weiß genau, was das für seine Karriere bedeutet: mehr Risiko als Chance. Die Niederlage der Volksabstimmung über den Wohnungsbau am alten Flughafen Tempelhof steckt ihm noch im Anzug, und ein abermaliges Scheitern, diesmal wegen Olympia, wäre fatal – im kommenden Jahr wird in Berlin gewählt. Als Olympiaverlierer mag da niemand antreten.
Selbst ein Sieg über Hamburg würde Müller einschränken: Eine Koalition mit der Linken, politisch durchaus eine Option, wäre wegen Olympia kaum möglich. Denn die Linke steht nahezu geschlossen gegen die Spiele; allein Gregor Gysi ist dafür, um die Bilder von 1936 durch neue zu ersetzen, wie er sagt.
In Berlins SPD sind sie zwar nicht durchweg begeistert von Olympia, aber schon irgendwie dafür. Müller zögerte lange, zeigte Zweifel, sagte „ja, aber“, war für eine Bewerbung im Konjunktiv. Doch jetzt gibt es kein Zurück mehr, ein bisschen bewerben geht nicht. Müller drückt auf den roten Knopf.
Hamburg startete die Kampagne, Berlin verabschiedete erst noch Wowi
Berlin ist spät aus den Blöcken gekommen, und das vor allem wegen des Machtwechsels im Roten Rathaus. Während Hamburgs Kampagne schon lief, lag der politische Betrieb in Berlin wegen der Abschiedstournee Wowereits vom 26. August bis 11. Dezember weitgehend flach. Andererseits: Ohne dessen Rücktritt wäre Berlins Bewerbung aussichtslos gewesen – DOSB- Präsident Alfons Hörmann hätte sich eher für Kyritz an der Knatter entschieden, als Wowereits Hochmut („Deutschlands Bewerbung hat nur eine Chance mit Berlin“) noch länger zu ertragen.
Doch jetzt, mit Müller an der Spitze, ist das Rennen wieder offen. Ein Marathonlauf wird ja nicht auf den ersten hundert Metern entschieden.
In Hamburg sind sie schneller losgelaufen, vor allem rennen hier fast alle in eine Richtung. Die Stadt baut eine Projektgruppe auf, stellt Mitarbeiter frei. Michael Neumann, der Innensenator, macht Olympia zu seinem Projekt. Woche für Woche hält er die immer gleichen Vorträge, schwärmt vom Sprung über die Elbe, der endlich Wirklichkeit werden kann. Um Sport geht es eher am Rande.
Hamburgs bildet ein Triumvirat aus Neumann, Wolf und Otto
Wolf und Neumann sind das Kernteam. Zu ihnen stößt bald ein vermögender Unternehmer: Alexander Otto wird oberster Olympiabotschafter, vor allem wird er oberster Spendensammler. Er spricht befreundete Unternehmer an. Mehr als 900.000 Euro sammelt er von 35 Firmen und Privatpersonen ein. „Die meisten haben sofort zugesagt“, sagt Otto. Er nennt sich Lokalpatriot und schwärmt von den Spielen wie ein kleiner Junge.
Schon als Kind habe er sie im Fernsehen gesehen, „die ganze Welt schaut dann auf einen Ort“. Für Hamburger Lokalpatrioten gibt es kein schöneres Gefühl, als wenn die ganze Welt auf ihren Ort schaut. Und es gibt viele Lokalpatrioten in Hamburg. Viele vermögende Lokalpatrioten.
In Hamburg haben sie nun: einen Antreiber in der Handelskammer, Unterstützer im Senat und einen reichen Spendensammler. Was fehlt, sind Emotionen. Mit Geld allein lässt sich die Bevölkerung nicht ködern, auch nicht in Hamburg.
Berlin ringt um die Finanzierung der Kampagne
In Berlin leuchtet auf dem Brandenburger Tor inzwischen das Motto: „Wir wollen die Spiele“. Es steht dort in großen Lettern, und es bleibt dort, sogar ein paar Tage länger als geplant. Die Fraktion der Piraten will gleich wissen, was der Spaß kostet – es sind 40.263 Euro. Ein paar Tage später stellt der Lenkungskreis beim Senat fest, dass leider ziemlich genau diese Summe für eine geplante Anzeigenkampagne fehlt. Klaus Böger, Präsident des Landessportbunds, zieht verärgert los, um Geld von privaten Sponsoren zu sammeln – eine schwierige Disziplin in Berlin, aber er schafft es: 50.000 Euro kommen zusammen.
Woher? Das bleibt im Dunkeln, wie auch sonst um Finanzierung und Planung der Werbung ein Geheimnis gemacht wird. Im Parlament nennt der Bürgermeister die Summe von einer Million für diese erste Phase, wie sie sich aufteilt: unklar. Sicher ist nur: So viel Geld wie in Hamburg schießt die Wirtschaft nicht vor.
Ungewöhnliche Marketing-Versuche
Dabei ist die Berliner Wirtschaft unbedingt für Olympia, sie würde ja profitieren – und das will sie zeigen, wenn auch mit bescheidenen Mitteln. Nach was aussehen soll es trotzdem. So lässt die Fluggesellschaft Air Berlin das offizielle Werbelogo auf einen Airbus A 320 kleben – prompt interveniert der DOSB: Das Wort „Olympia“ darf nur von offiziellen Werbepartnern kommerziell genutzt werden. Erschrocken entfernen auch die Berliner Bäderbetriebe das gefährliche Wort aus ihrer E-Mail-Signatur, obwohl sie es gar nicht müssten: Landesbetrieben ist die Verwendung der geschützten Marke gestattet. So trainiert Berlin für Olympia.
Und manchmal isst Berlin auch für Olympia: Justizsenator Thomas Heilmann lässt in der Gefängnisbäckerei Pfannkuchen backen, die olympischen Ringe in den Puderzucker graviert, und trägt sie dorthin, wo der Widerstand – und die Aufmerksamkeit – bei einer solchen Aktion am größten ist: nach Kreuzberg.
Heilmann, nach seiner Werberkarriere bei Scholz & Friends auf der Suche nach neuen Herausforderungen, hat Olympia als Chance entdeckt, auch für sich. Bei einer Podiumsdiskussion in Zehlendorf (Olympiazustimmung im Saal: etwa 80 Prozent) beschreibt der Senator vage, aber leidenschaftlich, wie Berlin mit Olympia Ideen für die Stadt der Zukunft entwickeln kann. Ja, das wäre eine Aufgabe, die ihn reizte.
Berlin sagt: "Wir wollen die Spiele", Hamburg hat Geld und Zahlen
Unter den Zuhörern an diesem Abend in einer Zehlendorfer Schule ist einer, der die Bewerbung Berlins entschiedener vorangetrieben hat als die gesamte Senatskanzlei: Kaweh Niroomand, Manager des Teams BR Volleys, Sprecher der Berliner Profisportvereine und vermögender IT-Unternehmer. Überall ist er dabei, wenn es wichtig wird in Sachen Olympia, er wirbt, er charmiert – und er explodiert auch schon mal, wie jetzt hier in Zehlendorf. Als eine Olympiagegnerin gerade ein IOC-Unterwerfungsszenario entwirft, springt er auf, fährt ihr laut ins Wort, steht einschüchternd da. Kein Zweifel: Bei nur wenigen wirkt der Berliner Slogan „Wir wollen die Spiele“ so überzeugend wie bei Niroomand – er will die Spiele, er will sie unbedingt.
„Typisch Berlin“, sagt dagegen ein hoher Sportfunktionär ein paar Tage später bei einem vertraulichen Gespräch im kleinen Kreis, dieses „wir wollen“ im Slogan und im Auftritt sei Ausdruck der alten Berliner Überheblichkeit: Wenn wir wollen, haben die anderen zu müssen – und zu zahlen. Ein Berliner Senator erklärt das in einem Hintergrundkreis noch einmal in aller Unschuld zum Konzept: Erstens, an Berlin komme der DOSB ja gar nicht vorbei, Hamburg habe doch international sowieso keine Chance, und zweitens sei das ja dann eine nationale Bewerbung, da müsse der Bund eben für die Kosten mit aufkommen. Auch wegen solcher Sprüche tendieren sie in der Bundesregierung wohl eher zu Hamburg, wo alles etwas solider erscheint.
Hamburger Olympia-Begeisterung vom Werbefachmann
Doch können die Hamburger, außer Zahlen zu analysieren, auch Emotionen erzeugen? Als Frederik Braun Ende des vergangenen Jahres zum ersten Mal von der Olympiabewerbung hört, spaziert er mit seiner Frau durch seinen Stadtteil Volksdorf und fragt die Nachbarn: Für oder gegen Olympia? Die meisten sind dafür. Aber kaum einer weiß überhaupt von der Bewerbung. „Das geht doch gar nicht!“, sagt Braun.
Er hat mit seinem Bruder Gerrit das Miniaturwunderland aufgebaut, die halbe Welt im Miniformat, mehr als eine Million Touristen bestaunen sie im Jahr. Jetzt wollen die Zwillinge noch mehr Attraktion für die Stadt: Sie wollen Olympische Spiele. Zuerst drehen sie ein Video. „Wir wollen diese verdammten Spiele haben“, rufen sie darin. Das Video wurde tausendfach angesehen und geteilt.
Auf einmal sind da zwei Männer, die brennen. Keine Bürokraten. Keine Politiker. Zwei Hamburger, die völlig olympiaverrückt sind. Und zwei Hamburger, die Events kreieren können.
Mini-Olympiastadion und Sonderbriefmarke
Sie bauen ein Olympiastadion im Miniaturformat, mit 75.000 Plätzen, und stellen es in die Europapassage. Jeder, der will, kann einen Minizuschauer auf die Tribüne setzen. Frederik und Gerrit Braun stehen tagelang daneben und sprechen jeden an, der vorbeikommt. Sie entwerfen Olympiabriefmarken mit dem Feuer- und-Flamme-Logo und übernehmen die Druckkosten für die ersten 20.000 Stück.
Und sie organisieren an einem Freitagabend Ende Februar das spektakulärste Ereignis, das Hamburg für Olympia zu bieten hat: das Alsterfeuer. Eine Fackelparade im Zentrum der Stadt, das ist die Idee. Dass Fackeln ein historisch belastetes Symbol sind, stört sie nicht. Es stört auch sonst keinen in Hamburg.
Die Brüder melden privat eine Demonstration an. Frederik Braun lädt auf Facebook alle ein, er schreibt nächtelang Nachrichten an jeden, der sich für das Event anmeldet, dass er noch allen Freunden Bescheid geben möge. Es kommen 20.000 Menschen. Aus den Lautsprechern dröhnt „Hamburg, meine Perle“. Ein Feuerwerk kracht in den schwarzen Himmel. Es gibt einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. „Ich hatte den ganzen Abend Pipi in den Augen“, sagt Braun.
An diesem Abend haben die Hamburger nicht nur Geld und Zahlen, jetzt haben sie auch ein vorzeigbares Bild. Und sind damit wieder auf gleicher Höhe mit Berlin.
Henkel fehlt, wo Neumann zur Stelle ist
Brandenburger Tor, ein Tag zuvor. Die Sonne strahlt, beste Bedingungen für ein schönes Foto, das Eindruck machen soll. 600 Schüler wurden nur für diesen Termin vor das Tor gekarrt. Sie stellen sich in Kreisen auf, tragen blaue, schwarze, rote, gelbe und grüne Schilder. Sie bilden fünf Ringe, das Symbol der Spiele. Die Fotografen machen ihre Bilder. Dann tritt der Regierende Bürgermeister auf, überreicht dem DOSB-Vizepräsidenten Stephan Abel 100.000 Unterschriften. Es ist ein Zeichen dafür, dass Berlin eine Sportstadt ist und der Sport geschlossen für die Bewerbung kämpft.
Aber wo ist der Sportsenator bei diesem Ereignis? Er fehlt.
Frank Henkel hat ohnehin eine eher unscheinbare Rolle gespielt in den vergangenen Wochen, zwar durchaus engagiert, aber eben nicht so präsent wie sein Hamburger Kollege Neumann. Dabei ist die Olympiazustimmung in seiner CDU – Henkel ist seit ein paar Jahren Landeschef – deutlich spürbar. Henkels relative Zurückhaltung ist nicht nur in Berlin aufgefallen, sondern ebenso in Frankfurt am Main, beim DOSB. Dort wird allerdings auch registriert, dass die Berliner Kampagne zuletzt deutlich an Fahrt aufgenommen hat, dass die Berliner nach behäbigem Start aufgeholt haben – und dass der Senat am Ende seinen stärksten Trumpf gezogen hat: das Olympiastadion.
Geschickter Schritt des Senats: Einladung des DOSB ins Olympiastadion
Viele Sportfunktionäre halten das Berliner Olympiagelände für das schönste der Welt. So ist es ein geschickter Zug des Senats, dort nicht nur eine der wöchentlichen Sitzungen abzuhalten, sondern dazu gleich noch den DOSB einzuladen. Brav wie in einer vorbildlich gelehrigen Klasse tragen die Senatoren nacheinander vor, was in ihren Ressorts für Olympia getan wird – ein gelungener Auftritt, auch von Henkel. Selbstverständlich ist das nicht. Es gab Situationen, da wussten Berliner Sportpolitiker nicht einmal, wie hoch der Bewerbungsetat Hamburgs ist. Und auch der einheitliche Auftritt sticht diesmal heraus – in der Berliner Politik ist ansonsten die Möglichkeit des Scheiterns immer im Kopf, und damit auch das Selbstrettungsszenario: Ein anderer muss dann schuldiger gewesen sein.
Die Hamburger haben die Aktion im Olympiastadion leicht pikiert registriert. Je enger das Rennen wird, desto empfindlicher die Akteure. Dann kommt es vor, dass die Hamburger in Frankfurt anrufen und darum bitten, man möge gleichermaßen mit beiden Städten reden. Sie laden den DOSB dann ihrerseits ein in den Phönixsaal des Rathauses und anschließend zu einem Mittagessen ins Gästehaus an der Außenalster mit der netten Adresse: Schöne Aussicht 26.
Wettkampf zwischen Berlin und Hamburg erfreut auch die DOSB-Jury
Was die Berliner Wirtschaftsverbände im Schlussspurt wiederum kontern mit einem exklusiven Dinner für die Sportfunktionäre – bei Kerzenschein und Wolfsbarsch im Bodemuseum. Vorsichtshalber fragte man vorher beim DOSB nach, ob das genehm sei. Es war. Nur groß an die Glocke hängen wollte man das vorher nicht, aus Angst, der Abend könnte gestört werden. Eine unnötige Sorge: Auch die Berliner Olympiagegner trainieren noch, zu ihren Veranstaltungen kommen kaum mehr als ein paar Dutzend Aktivisten, und vor dem Bodemuseum hatte die Polizei, rigoros auftretend, keine Mühe, für Ruhe zu sorgen.
Die Jury des DOSB verfolgt den Wettkampf mit wachsender Freude, bisweilen sogar amüsiert. Es gebe zwei sehr gute Bewerber, erzählen die Sportfunktionäre seit einigen Wochen.
So wird es wohl eine lebhafte Diskussion geben am Montag um 15 Uhr, wenn sich das Präsidium zurückzieht zur Beratung. Vier Stunden haben sie Zeit. Dann müssen sie raus, auf die grasgrünen Stühle, und einen Sieger küren, den die Mitglieder noch abnicken müssen. Sie werden entscheiden, wer antritt im nächsten Wettkampf gegen Boston, Rom und vermutlich auch Paris, Melbourne und Dubai.
Berlin oder Hamburg - wer hat Olympia eher verdient? In einer gemeinsamen Sonderausgabe von ZEIT und Tagesspiegel haben wir zwei sportliche Gespräche mit den Bürgermeistern der beiden Städte geführt. Das Interview mit dem Hamburger Olaf Scholz finden Sie hier. Die komplette Sonderbeilage "Kampf der Städte" finden Sie im E-Paper vom 12. März 2015.