Michael Müller und die Olympiabewerbung: Aus dem Hintergrund
Nett bis zur Unauffälligkeit. Einer, der auch gut nach Hannover passen würde: Dieses Image klebt an Berlins Bürgermeister Michael Müller. Und ist vielleicht sein Erfolgsgeheimnis – das er noch mehr braucht als eine erfolgreiche Olympiabewerbung seiner Stadt.
Michael Müller versucht einen Scherz. Und tatsächlich: Einige Zuhörer lachen. „Wenn ich schon über den Flughafen in Schönefeld spreche, dann kann ich auch über Olympia reden.“ Am Montagabend, in der Berliner Repräsentanz des Bosch-Konzerns; steht der Regierende Bürgermeister am Vortragspult. Die Initiative Hauptstadt Berlin hat ihn eingeladen, um über „Neue Visionen für unsere Stadt“ zu reden. Überall dieselbe Reaktion, wenn er über die beiden Themen spreche, sagt Müller. „Die Leute rollen mit den Augen und fragen, was soll das mit Olympia? Ihr könnt ja nicht mal einen Flughafen bauen.“
Vor Müller nicken die Köpfe. Heftig. Nach einem ermüdenden Vortrag über die Probleme und Chancen Berlins wird das Auditorium wieder lebendig. Müller auch. „Wir können es stemmen“, sagt er über Berlins Olympiabewerbung. „Das können wir uns auch finanziell leisten.“ Es gehe schließlich um eine großartige Sportveranstaltung in einer toleranten und demokratischen Metropole. Beifall. Und vielleicht setzt Müller deshalb noch eins drauf. Oder er kennt zu diesem Zeitpunkt schon das bis Dienstagnachmittag noch gut gehütete Geheimnis, wie die Berliner und Hamburger zur Olympiabewerbung ihrer Heimatstädte stehen. Jedenfalls lächelt der Regierungschef geheimnisvoll und sagt: „Falls wir bei der Umfrage eventuell überraschend gut abschneiden und uns beim IOC bewerben dürfen, dann hat Berlin alle Chancen, dass die Spiele 2024 oder 2028 in die Stadt kommen.“
Sieben Prozentpunkte mehr
Müllers Ahnung wird am Dienstag vom Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes offiziell bestätigt. In Berlin sprechen sich, im Auftrag des DOSB vom Institut Forsa befragt, 55 Prozent der Bevölkerung für die Olympiabewerbung aus, in Hamburg sind es 64 Prozent. Im September lag die Zustimmung in Berlin bei 48 Prozent. Ein Zuwachs von sieben Prozentpunkten. Kein dolles Ergebnis. Müller-mäßig eben. In ziemlich kleinen Schritten geht es voran. Aber der Hauptstadt bleibt so die Chance, die nationale Bewerbung gegen den Nachbarn aus dem Norden zu gewinnen. Die Zustimmung in der Bevölkerung ist zwar ein wichtiges Kriterium, aber Berlin kann noch auf andere Weise punkten: als professioneller Großveranstalter mit einer ausbaufähigen Infrastruktur für viele Millionen Gäste, als Hauptstadt und Touristenmetropole. Am kommenden Montag spricht der DOSB seine Empfehlung aus, welche Stadt den Zuschlag erhalten soll. Die offizielle Kür folgt am 21. März.
Sollte es Berlin sein, wäre das für Müller drei Monate nach der Wahl zum Regierenden Bürgermeister ein erster vorweisbarer Erfolg. Als er mit dem Einzug ins Rote Rathaus die Olympiabewerbung von seinem Vorgänger Klaus Wowereit übernahm, war überhaupt nicht absehbar, wie dieses Abenteuer ausgehen könnte. Mit der Abschiedstournee Wowereits war die Regierungsmaschinerie seit Spätsommer 2014 fast vollständig zum Erliegen gekommen. Als sich Müller im Januar, noch vor Sonnenaufgang, vor das Brandenburger Tor stellte, um mit einer knallbunten Lichtinstallation, ein paar Plakaten und Buttons olympische Wochen zu eröffnen, hielt sich die Begeisterung sehr in Grenzen.
Warum sich trotz der holperigen Olympia-Kampagne des rot-schwarzen Senats bei den Berlinern ein gewisser Sinneswandel vollzog, weiß keiner. Aber das Timing ist nicht schlecht, wie auch beim Großflughafen BER. Der wird zwar erst nach der Abgeordnetenhauswahl 2016 eröffnet, aber der Bau einschließlich Brandschutzanlage könnte in der heißen Wahlkampfphase fertig werden. Für die SPD und ihren Spitzenmann Müller wäre das ähnlich förderlich wie eine Olympiastadt Berlin, die mit dem Segen der Sportverbände und der Bundesregierung in die internationale Bewerbung ginge. Ob sich Berlin 2017 gegen Boston und andere Weltstädte durchsetzen könnte, wäre aber noch kein Wahlkampfthema, sondern ein Problem für die nächste Wahlperiode.
Würde die Linke ihr "Nein zu Olympia" opfern?
Müller will dann noch Regierender Bürgermeister sein, möglichst mit den Linken und Grünen als Koalitionspartner. In diesem Fall wäre es spannend zu wissen, ob vor allem die Linke bereit wäre, ihr striktes Nein zu Olympia für die Regierungsmacht zu opfern. 2006 stand noch ein Bekenntnis zu Olympischen Sommerspielen in Berlin im rot-roten Koalitionsvertrag. Aber das Ergebnis der Berliner Wahl im Herbst 2016 und alles, was danach kommt, wird wohl nicht von Olympia abhängen. Sondern davon, ob Müller den enormen Vertrauensvorschuss, den er seit dem Amtsantritt im Dezember 2014 genießt, über die Zeit retten kann.
Ein Vertrauen, das wohl daher rührt, dass Müller ist, wie er ist. Der nette Nachbar, die ehrliche Haut. Einer, der jeden Monat mit seinem Kabinett in einem anderen Bezirk tagen will, mitten im Kiez. Den Anfang macht nächste Woche Marzahn-Hellersdorf. Mit Müller ist ein Rundgang über die Internationale Tourismusbörse nicht so spaßig wie mit Wowereit. Er ist zugewandt und höflich, vielen Menschen reicht solche gepflegte Langeweile. Am kubanischen Stand schnuppert er genießerisch am Tabak, doch den Mojito lässt er stehen. In der Halle mit der Jurte lässt der Regierungschef sogar so etwas wie Abenteuerlust durchblicken und sagt: „In der Mongolei war ich noch nicht, aber es würde mich als Urlaubsland reizen.“
So hinterlässt er fast überall einen nicht unbedingt nachhaltigen, aber angenehmen Eindruck. Selbst die Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop hat einen recht guten persönlichen Draht zum Bürgermeister, auch wenn sie die sozialdemokratische Regierungspolitik nicht mag. Müller wirke irgendwie sympathisch und bodenständig, bestätigt der Linken-Landeschef Klaus Lederer. Der SPD-Mann pflege hingebungsvoll das Image eines Politikers, der für die Bürger „alles in Ordnung bringen will“.
"Der Glamour-Faktor ist weg." Wie Müller auftritt
Den Spitzenleuten der Grünen und Linken passt es ganz gut, dass Müller in der Regel umgänglich ist. Beide Oppositionsparteien wollen nach der Wahl 2016 mit der SPD regieren. Beim Koalitionspartner CDU geht der Trend in die andere Richtung. Führende Köpfe der Christdemokraten nehmen fast schon resigniert zur Kenntnis, dass es im linken SPD-Landesverband nur eine Minderheit gibt, die sich die rot-schwarze Regierung vorstellen kann. Und Schwarz-Grün als Alternative ist nicht nur rechnerisch, sondern auch politisch derzeit unwahrscheinlich.
Momentan spricht also vieles für Müller, obwohl er bisher keine nennenswerten Erfolge verbuchen kann. Die hohen Beliebtheitswerte, die Forsa kürzlich veröffentlichte, erreichte Wowereit selbst in guten Zeiten nicht. Im Roten Rathaus sagen sogar Mitarbeiter, die kein SPD-Parteibuch haben: „Der Herr Müller, der ist richtig nett.“ Nett bis zur Unauffälligkeit.
Wie auf der Berlinale, wo sich Müller im Bärenclub oder beim Dinner nach der Preisverleihung dem Smalltalk mit den Stars und Jurygrößen bis nach Mitternacht aussetzt. Im schwarzen Anzug, die linke Hand in der Hosentasche, Ehefrau Claudia an der rechten Seite. Wie so oft lächelt er schmal in die Kameras – und bleibt bei solchen Events eher eine Randfigur. Kein Promi unter Promis, um den sich Trauben von Menschen bilden, um seine Nähe zu genießen. „Der Glamour-Faktor ist weg und kommt auch nicht wieder“, sagt einer von denen, die den Showmaster Wowereit manchmal doch vermissen. Der schmale, leise Müller werde bei solchen Gelegenheiten, jedenfalls in größeren Runden, auch nicht von jedem erkannt.
Knalleffekte sind nicht seine Sache
Er ist einer, der nicht den Raum ausfüllt, sobald er ihn betritt. Eher rückt Müller ein bisschen zur Seite, wenn sich jemand dazugesellt. Die Knalleffekte sind nicht seine Sache. Als er im Januar das Sechs-Tage-Rennen startete, die Pistole in die Luft gereckt, mochte er dabei nicht lachen. Mit der Zeit kommt natürlich die Routine. Bei der Kür der Brandenburgischen Erntekönigin oder beim Auftakt der Grünen Woche zieht Müller, ein Glas Bier in der Hand, die Mundwinkel schon etwas höher und schaut vergnügt – auf seine Schuhe.
„So einer wie Herr Müller würde gut zu Hannover-Herrenhausen passen“, sagt ein Mann aus der Berliner Wirtschaft. Er will damit sagen, dass die Weltmetropole Berlin ein wenig kleinkariert verwaltet wird. Auch ein erfahrener Genosse, der Müller 2014 kräftig half, das innerparteiliche Rennen gegen die Widersacher Jan Stöß und Raed Saleh zu gewinnen, sagt milde: „Der Michael muss mutiger werden, er muss der Stadt Linien geben.“ Gewiss werde er an seinen Aufgaben wachsen. „Aber er ist nun mal, wie er ist.“
Dünnhäutig ist er, obwohl er im neuen Amt noch keine massive Kritik einstecken musste. Nachtragend ist er, alles komme in die Registrierkasse, wissen Vertraute. Ein Abgeordneter formuliert es so: „Ich kann gut mit ihm, aber wenn Müller einen Fehler macht und dabei erwischt wird, reagiert er angepisst.“ In solchen Fällen fragt der Regierende auch schon mal einen Journalisten, dessen Zeitung die Olympiawerbung des Senats böse kommentierte, ob der Hausmeister den Artikel geschrieben habe. Dann wird er sarkastisch – und der Mund ein Strich. Wowereit machte in schwierigen Situationen gern ein Teflon-Gesicht, alles perlte daran ab. Müller kann das nicht.
Ständig auf der Hut. Unabwägbarkeiten mag Müller nicht.
Unter Genossen, vor allem, wenn sie friedlich sind, fühlt sich der Parteisoldat am wohlsten. Wie vergangene Woche, als der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke den Kollegen zum Antrittsbesuch in Potsdam empfängt. Exakt auf der Mitte der Glienicker Brücke, die bis zum Mauerfall dem Austausch von Agenten diente. Es ist windig und kalt, der Gastgeber fröstelt. Pünktlich um 17 Uhr fährt Müller im Dienstwagen vor, und Parteifreund Woidke begrüßt ihn mit dem lockeren Spruch: „Wir stehen schon den ganzen Tag hier, auf die Berliner muss man immer warten.“
Als die Kamera des RBB-Fernsehens noch nicht läuft, verrät Woidke, dass ihm Michael Müller „ein bisschen mehr“ liege als dessen Vorgänger. „Weil er pragmatischer ist.“ Später folgt die offizielle Version: „Mit Klaus Wowereit war es auch eine schöne Zeit.“ Woidke grinst, und Müller findet, dass solche Besuche zwischen den Nachbarländern „sehr schön und sehr nett“ seien, dann verkrümeln sich beide zum internen Gespräch über die mittelfristige Zukunft der gemeinsamen Region.
In solchen vertraulichen Runden ist mit Müller gut zu reden. Er braucht geschützte Räume, in denen Konflikte ohne öffentliches Aufsehen geregelt werden. Berlins Regierungschef ist ständig auf der Hut, politische Unwägbarkeiten mag er nicht. In kleiner Runde sagt er öfter mal, dass man genau überlegen müsse, was man tue. Es könne schließlich auch mal ins Auge gehen. Das Ergebnis der Olympiabefragung dürfte er jetzt mit großer Erleichterung vernommen haben. Aber der Flughafen ist ein Thema, bei dem der misstrauische Müller äußerst wachsam bleibt.
Plötzlich ist das Lächeln verschwunden
Als an der Glienicker Brücke ein Reporter nachfragt, ob Berlin seine ablehnende Haltung zu einem strikten Nachtflugverbot in Schönefeld beibehalte, lässt Müller sein nettes Lächeln plötzlich verschwinden und hält sich in alle Richtungen flexibel. „Wir haben beim Lärmschutz schon viel gemacht.“ Man müsse aber auch die Wirtschaftlichkeit des Flughafens BER im Auge behalten, andererseits sei er „für alles zu haben, was den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenkommt“. In Berliner Wirtschaftskreisen gibt es leise Befürchtungen, dass Müller gegenüber Brandenburg noch einknicken könnte.
Den Regierenden Bürgermeister drückt der Airport am südöstlichen Stadtrand, der immer noch eine Bastelpackung ist, nicht weniger als seinen Amtsvorgänger. Erst werde fertig gebaut, danach erweitert. Alles andere werde er im Aufsichtsrat nicht zulassen. Aber Müller gönnt sich einen schönen Traum. Hätte man den Flughafen, wie vor 1995 geplant, in Sperenberg gebaut, wäre er längst in Betrieb, sagt Müller am Montag bei der Stiftung „Hauptstadt Berlin“. Und in Tegel oder Tempelhof wäre ein weiterer Airport offen geblieben. Da sage noch einer, der Mann habe keine Visionen.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.