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Die Not zur Tugend. Der aktuelle Leerstand kann dafür genutzt werden, die Sanierungen zu beschleunigen.
© Kitty Kleist-Heinrich
Update

Berlins Bauwirtschaft setzt auf öffentliche Aufträge: Darum könnte die Coronakrise dem Schulbau helfen

„Haut die Aufträge raus“, fordert die Fachgemeinschaft Bau und schwärmt: Jetzt ist die perfekte Phase, denn in den Schulen stört der Baulärm niemanden mehr.

Zumindest für einen Bereich könnte die Coronakrise auch Vorteile bringen – den Schulbau. Aus etlichen Bezirken kam am Montag das Signal, dass die fast leeren Schulen das Bauen erleichtern, weil weniger Rücksicht genommen werden muss: „Baufreiheit“ lautet das Zauberwort. Zudem bieten Baufirmen ihre Dienste an, denen andere Aufträge – wegen des Mietendeckels oder infolge der Coronakrise – weggebrochen sind.

Die Fachgemeinschaft Bau appelliert daher an das Land und die Bezirke, die Gelegenheit zu nutzen und rasch zu reagieren.

Ein entsprechendes Schreiben sei gerade in Arbeit und solle am Dienstag die Ämter erreichen, lautete am Montag die Ankündigung auf Anfrage des Tagesspiegel.

„Haut die Aufträge raus“, lautet die Forderung von Hauptgeschäftsführerin Manja Schreiner, nachdem entsprechende Signale von Mitgliedsunternehmen der Fachgemeinschaft in Bezug auf wegbrechende Aufträge sie erreichten: Alles, was „in der Pipeline“ sei, solle rasch als Auftrag vergeben werden. Solange die Schulen geschlossen seien, herrsche „die perfekte Phase“, um Bauvorhaben voranzutreiben, betont Schreiner.

"Baufreiheit" lautet das Zauberwort

In etlichen Bezirken dürfte dieser Appell auf offene Ohren stoßen. „Wir versuchen, die Baufreiheit zu nutzen“, kündigte der Spandauer Bürgermeister und Bildungsstadtrat Helmut Kleebank (SPD) am Montag an. Das betreffe etwa die großen Sanierungsfälle an der Paul-Moor-Schule und an der Schule am Staakener Kleeblatt. Ebenso sieht das Oliver Schworck, der SPD-Bildungsstadtrat von Tempelhof-Schöneberg. Auch er vermutet, „dass man die Baumaßnahmen intensivieren kann“ – und zwar nicht nur wegen der Baufreiheit, sondern zusätzlich, weil sich Firmen gemeldet hätten, die mehr Kapazitäten hätten als bisher.

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„Es scheint mehr Ressourcen zu geben“, beobachtet Stadtrat Schworck und bestätigt damit das, was die Fachgemeinschaft Bau berichtet. Er fände es „schade, wenn wir die gewisse Baufreiheit jetzt nicht nutzen würden“.

Nur vier Kinder in der Notbetreuung

Dass fast alle Schulen nahezu leer sind, ist offenkundig. Mehrere Bildungsstadträte gaben bei einem Rundruf des Tagesspiegels an, dass es sogar Schulen mit nur einem einzigen notbetreuten Schüler gebe. Zwar rechneten sie damit, dass es mehr werden könnten, weil die Bedingungen für die Notbetreuung seit Montag gelockert wurden. Das zeichnete sich auch schon in etlichen Kitas ab. Es gab aber auch Schulen, die am Montag sogar weniger Schüler hatten als vergangene Woche: „Bei uns waren elf Kinder angemeldet, aber es kamen nur vier“, berichtete etwa eine Grundschulleiterin, die für ihre Kinder nicht nur eine Förderung von 7.30 bis 14 Uhr organisiert hat, sondern sogar noch eine Früh- und Spätbetreuung durch den Hortträger.

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In Marzahn-Hellersdorf sind zurzeit nur 400 Kinder an 30 Grundschulen und Förderzentren in der Notbetreuung. Bildungsstadtrat Gordon Lemm (SPD) erwartet daher ebenfalls mehr Baufreiheit. Dennoch rechnet er nicht mit einer Beschleunigung der Schulsanierungen und Neubauten, weil es zusätzliche Hemmnisse infolge der Coronakrise gebe.

Als Beispiel nennt er Verzögerungen bei den Partizipationsverfahren, die bei großen Vorhaben vorgeschrieben seien: Sie müssten wegen der Ausgangsbeschränkungen ausfallen. Allerdings gibt es längst Bemühungen, die Partizipation mittels Videokonferenzen oder Telefonschaltungen sicherzustellen.

Vom Homeoffice auf die Vergabeplattform

Das berichtet nicht nur Lemm, sondern auch Torsten Kühne (CDU), der Bildungsstadtrat von Pankow. „Die Devise lautet: Möglichst alles wie geplant weiterbauen“, betont Kühne. Die Baufreiheit sei „ein großer Vorteil“. Im Einzelfall hätten Baufirmen jetzt sogar mehr Kapazitäten als vorher, bestätigt der Pankower Stadtrat die Signale der Fachgemeinschaft Bau. Von Vorteil sei jetzt, dass jeder Verwaltungsmitarbeiter auf die Vergabeplattform des Landes Berlin zugreifen könne. Somit müsse das Homeoffice keine Ausschreibungen behindern.

Auch der Bildungsstadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU) berichtet: "Bislang laufen die Baustellen weiter". "Mehr" gehe noch nicht, weil ja zunächst auch beauftragt werden müsse. Aber, sagt Spallek, "wir prüfen, ob kleinteilige Maßnahmen kurzfristig in Auftrag gegen werden können".

Erste Probleme bei Zulieferern

Zugute kommt der Schulbauoffensive, dass die Baubranche bisher kaum Einschränkungen unterliegt. Dies bedeutet, dass die Firmen weiterbauen können. Bildungs-Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) wies allerdings auf Anfrage darauf hin, dass Probleme "bei Zulieferern und Subunternehmen aus dem Ausland auftreten". Auch die Bildungsstadträtin von Treptow-Köpenick, Cornelia Flader, berichtet aus ihrem Bezirk, dass auf den Schulbaustellen "teilweise etwas weniger Arbeitskräfte" im Einsatz seien. Nach Rücksprache mit dem Facility Management habe sie aber erfahren, dass zurzeit noch "auf allen Baustellen" gearbeitet werde: "Ich freue mich über diese Nachricht", so Flader.

"Haut die Aufträge raus", fordert Manja Schreiner, die Hauptgeschäftsführerin Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg.
"Haut die Aufträge raus", fordert Manja Schreiner, die Hauptgeschäftsführerin Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg.
© Kai-Uwe Heinrich

Zwar wünschen sich Senat, Schulen und Bildungsstadträte jetzt, dass die knappe Zeit genutzt wird, um möglichst schnell zu bauen. Allerdings sind es nicht selten aufwändige Ausschreibungsbedingungen und lange Fristen, die einer Beschleunigung im Wege stehen. Daher appelliert die Fachgemeinschaft Bau an die Ämter, mehr freihändige Vergaben zu veranlassen: "Die Vergabeverfahren würden dadurch gerade angesichts dünner Personaldecken in den Ämtern wesentlich vereinfacht und Fristen verkürzt", erwartet Schreiner.

Die FDP: "Schulbauoffensive als Konjunkturmotor"

"Wenn sich in einer Krisensituation Chancen auftun, sollte man sie nutzen", forderte am Dienstag Sebastian Czaja, der Vorsitzende und wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Durch gelockerte Ausschreibungsregeln und einem innovativen Umgang mit Partizipationsprozessen, könne Schulbau und -sanierung "jetzt ein echter Konjunkturmotor für das Berliner Handwerk werden". Bezirke und Senatsverwaltung müssten dafür, "entgegen ihrer Gewohnheiten, an einem Strang ziehen".

Groß Reinemachen in der Krise

Der Bildungsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Andy Hehmke (SPD), verweist im übrigen noch auf einen weiteren positiven Nebeneffekt der Schulschließungen: Da die Reinigungsbetriebe jetzt weniger mit der obligatorischen Tagesreinigung zu tun hätten, hätten sie plötzlich Kapazitäten für Sonderreinigungen oder spezielle Wünsche der Schulen: "Wir wollen nicht, dass sich die Betriebe von Personal trennen", betont Hehmke.

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