Mietendeckel in Berlin: Kommt jetzt die große Auftragsflaute in der Immobilienwirtschaft?
Manja Schreiner, Cheflobbyistin des Berliner Baugewerbes, über die Perspektiven ihrer Branche und den Kampf gegen die Schwarzarbeit.
Frau Schreiner, angesichts einer Baustellenrazzia in drei Bundesländern haben Sie sich für die Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg kürzlich lobend geäußert. Durch Schwarzarbeit gingen dem Staat jedes Jahr Milliarden an Steuereinnahmen und Sozialversicherungsabgaben verloren, haben Sie gesagt. Schwarzarbeit sei das Krebsgeschwür der Bauwirtschaft. Geht es dem Mittelstand im Bau so schlecht, dass er kriminell werden muss?
Eine sehr provokante Frage. Wir von der Fachgemeinschaft Bau verstehen uns natürlich als Verband von ehrbaren Bauunternehmern. Tatsächlich ist es so, dass der klassische Mittelstand, der Arbeits- und Ausbildungsplätze schafft und Steuern abführt, das nicht nötig hat. Aber wir haben in ganz Deutschland einen enormen Bauboom und der lockt bei den Kapazitätsengpässen, die wir haben, auch andere, unseriöse Firmen an.
Das müssen Sie uns erklären. Warum muss man schwarzarbeiten, wenn man derzeit aufgrund der tollen Auftragslage gutes Geld verdienen kann? Es ist ja zu hören, dass es gelegentlich sogar schwierig sei Schwarzarbeiter zu finden, die jenseits der legalen Arbeit - sagen wir an Wochenenden oder nach Feierabend - für Bares antreten.
Die Reallöhne am Bau sind gestiegen. Die Mitarbeiter seriöser Bauunternehmen haben das gar nicht nötig. Wir reden darüber, dass Auftragsvergaben - wenn wir vom öffentlichen Auftraggeber ausgehen - nach wie vor in Berlin, in Brandenburg, ganz stark preisorientiert sind. Das Vergaberecht gibt aber nicht vor, dem billigsten Angebot den Zuschlag zu geben, sondern dem wirtschaftlichsten. Spielräume für Aspekte wie Qualität, Seriosität und Fachlichkeit, die das Vergaberecht gibt, werden teilweise gar nicht genutzt. Es wird enorm auf den Preis geschaut. Nun gibt es nicht so viele Möglichkeiten, am Preis herumzudrehen. Alle Bauunternehmen haben im Prinzip ähnliche Konditionen bei ihren Baustoffhändlern. So richtig sparen an Kosten kann man eben nur an den Lohnnebenkosten. Wenn man die nicht abführt, kann man erheblich günstiger anbieten als der Konkurrent. Und im Vergabeverfahren wird das Zustandekommen dieser niedrigen Preise oftmals nicht genug hinterfragt - das haben die unseriösen Firmen inzwischen auch gemerkt. Das heißt: Sie haben gelernt, dass sie mit diesem Verhalten durchkommen. Damit bringen sie den klassischen Mittelstand, der Steuern und Sozialabgaben leistet und auch die Arbeitssicherheits- und Umweltanforderungen einhält, enorm unter Druck.
Wir hören auch, dass Schwarzarbeiter für den Hausgebrauch in der Regel zwar die „Märchensteuer“ in Höhe von 19 Prozent als Schwarzarbeit zur Disposition stellen, nicht aber - was ja wirklich attraktiv wäre - ihre Arbeit gleich zur Hälfte der Kosten des Gewerkes anbieten. Der Eigentümer hat bei einer Modernisierung dann ja keine Rechnung in der Hand, die er absetzen könnte. Das rechnet sich für ihn also gar nicht. Sie vertreten als Gründungsmitglied der Initiative BERLIN.KANN.MEHR!, die die Kampagne „Mut Stadt Wut“ gegen einen Mietendeckel gestartet hat, aber die These, dass dieser zu mehr Schwarzarbeit führt. Warum?
Das Bedrohungsszenario ist nicht unbegründet, weil man sagen kann, dass der kleine Vermieter jetzt sehen muss, wie er seine Sanierung, seine Modernisierung noch bezahlbar leisten kann. Von der Bank werden die Kreditkonditionen geändert werden. Diese Signale gibt es ja schon aus der Geldwirtschaft. Für den kleinen Vermieter wird es also schwieriger, diese Modernisierung oder Sanierung zu refinanzieren. Er wird also gucken, dass er nur das Notwendigste modernisiert, und dass er Handwerker nimmt, die besonders günstig sind. An diesem Punkt fängt die Abwägung an: Heuere ich einen Handwerker an, dessen Rechnung ich steuerlich geltend machen kann oder verzichte ich darauf und nehme einen ganz günstigen? Dann brauche ich auch den Steuervorteil nicht mitzunehmen. Dieses Szenario ist durchaus realistisch. Darüber hinaus gibt es Firmen, die sich auch in der Schwarzarbeit „weiterentwickelt“ haben. Die haben mitunter ein etabliertes System mit falschen Rechnungen auf die Beine gestellt.
Im Baugewerbe in Berlin werden seit Jahren regelmäßig über die Hälfte der Beschäftigten als Hilfskräfte gemeldet und ein gutes Drittel der Betriebe melden die Beschäftigten nur mit Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung bei den Sozialkassen an. Welche Rolle spielen eigentlich Flüchtlinge als Bauhelfer in Berlin und in Brandenburg? Haben Sie dazu irgendwelche Erkenntnisse - wie sie bezahlt und behandelt werden?
Wir bilden aus und da versuchen wir viele Flüchtlinge in die Bauausbildung hineinzubekommen. Die werden ganz normal entlohnt.
Natürlich. Sie reden über den legalen und geregelten Bereich. Unsere Frage zielt auf den illegalen.
Wir beschäftigen ja zwei Angestellte bei uns in der Fachgemeinschaft, die sogenannten Baustellenläufer. Sie geben Indizien für Schwarzarbeit an den Zoll weiter. Sie decken, es stimmt ja, ganz viele Fälle auf. Da sind wir beim Thema: Sie können auf den Baustellen viele finden, die Flüchtlinge sind und die offensichtlich in prekären Verhältnissen leben, auf manchen Baustellen in den Bauwagen übernachten und abends dort sich ihr Essen warmmachen. Das ist leider nicht nur so wie im Fernsehkrimi, sondern das kommt so in der Realität auch vor. Das haben wir uns als Fachgemeinschaft natürlich auf die Fahnen geschrieben, dass das in unseren Firmen nicht vorkommen darf. Wir legen alle darauf Wert, dass wir saubere Unternehmen sind. Aber leider muss man sagen: es sind viele Unternehmen, die Flüchtlinge auf den Baustellen in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigen.
Wir haben über Schwarzarbeit gesprochen. Wie sieht es mit der Schattenwirtschaft aus, mit den Geringbeschäftigten?
Wenn ich mir die Symptome anschaue, und die Vielgestaltigkeit der Branche, was da zum Beispiel an die Sozialkasse Berlin gemeldet wird, das ist schon merkwürdig. Jedes Unternehmen ist ja verpflichtet, an die Sozialkasse Berlin zu melden, wie viele Mitarbeiter es hat und wie hoch die Lohnsumme ist. Daraus kann man Rückschlüsse ziehen: Wird der Mindestlohn gezahlt? Wenn es Ungereimtheiten gibt, hört man zum Teil abstruse Begründungen: Da ist dann von Geringbeschäftigten die Rede, die teilweise nur bis zum Mittag arbeiten und man weiß dann ganz genau: Ab mittags wird schwarz gearbeitet. Teilzeit auf dem Bau gibt es aber nicht, das ist unseriös.
Ist das ein wachsender Bereich?
Wenn man sich die Zahlen anguckt, dann schon. Der Bereich ist schon immer groß gewesen. Es gibt keine Teilzeitarbeit am Bau, es gibt nur wenige Ausnahmen. Die Facharbeiterquote liegt in den Betrieben mitunter bei unter 70 Prozent. Diese Betriebe arbeiten dann mit vielen Hilfsarbeitern. Da darf man hellhörig werden.
Uns ist kürzlich von der Initiative „Faires Wohnen“ dargestellt worden, dass viele Bauaufträge für 2020 zurückgestellt worden sein sollen. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung? Lässt sich das beziffern und mit Beispielen belegen? Oder bewegen wir uns auf einer Ebene aus Befürchtungen?
Es ist eine Mischung. Tatsächlich ist es so, dass es Auftragsstornierungen in größerem Umfang aktuell noch nicht gibt. Was aber gerade beginnt: Unsere Unternehmen haben je nach Größe ein halbes Jahr, vereinzelt bis zu einem Jahr Planungsvorlauf. Es kommt darauf an, wo sie tätig sind. Diese merken schon die Zurückhaltung der Auftraggeber. Ich habe mit einem Mitglied gesprochen, das fast ausschließlich für die Wohnungswirtschaft arbeitet und dieses Mitglied berichtete mir, dass 80 Prozent der ihm in Aussicht gestellten Projekte auf Eis gelegt sind. Das heißt nicht, dass ein Teil der Aufträge nicht noch ausgelöst wird. Bisher herrscht ja auch Ungewissheit. Sicherheitshalber wird vieles zurückgestellt. Und das wird auch im Gesetzgebungsverfahren noch anhalten. Die seriösen Berechnungen zu den Auswirkungen des Mietendeckels fangen erst an, wenn die Zahlen endgültig auf dem Tisch liegen. Wir müssen bei Prognosen auf die Szenarien setzen, die die Wohnungswirtschaft im Moment liefert. Die Wohnungsbaugesellschaften sagen, dass im Sanierungsbereich sechzig bis neunzig Prozent der Vorhaben fallen gelassen werden. Wenn man - um nicht den Teufel an die Wand zu malen - annimmt, dass nur fünfzig Prozent der Aufträge dann nicht realisiert werden, dann haben wir es mit einem Umsatzverlust von 25 Prozent zu tun. Das ist nur konservativ gerechnet.
Dann nehmen wir einmal an, dass die Unternehmen vielleicht nicht mehr so viel verdienen werden wie aktuell und weniger Aufträge bekommen. Aber auch zu anderen Zeiten ist ja auch weiterhin gebaut worden. Der Zentrale Immobilienausschuss ZIA behauptet ja, der Deckel werde sich auf die Neubauaktivitäten auswirken. Und Berlin würde als Investitionsstandort ganz nach unten rutschen. Müssen wir denn diesen Szenarien folgen?
Dass es mit dem Mietendeckel weniger Neubau geben wird, ist eine der Kernbotschaften der Kampagne „Mut Stadt Wut“ der branchenübergreifenden Initiative BERLIN.KANN.MEHR!, der wir uns anschließen. Im Prinzip sind wir davon abhängig, was uns die wohnungsbauenden Unternehmen an Aufträgen an die Hand geben. Ich habe bei der Schilderung der Auswirkungen ja sogar nur die Hälfte dessen genommen, was vermutlich nicht realisiert wird. Nun könnte man sagen: Es gibt genug andere Bauvorhaben in Berlin, im Gewerbebau und es gibt den Bau von Eigentumswohnungen. Es wird sicherlich eine Verlagerung stattfinden in diesen Baubereich - sofern dort ausreichende Genehmigungen ausgestellt werden. Wir werden versuchen, uns darauf einzustellen. Aber mit Blick auf den Sanierungsbereich ist zu sagen, dass es bei uns viele Firmen gibt, die sich komplett auf Sanierungen der Wohnungen spezialisiert haben. Sie sind mit ihrem gesamten Geschäftsmodell darauf eingestellt. Diese trifft ein Sanierungsstopp durch den Mietendeckel enorm. Ein Unternehmen, das divers aufgestellt ist und in eine andere Sparte switchen kann, ist dann in der Regel schon ein größeres. Die Bauwirtschaft ist aber hier in der Region kleinteilig aufgestellt. Wir haben in der Regel acht bis zehn Mitarbeiter pro Betrieb. Die können nicht einfach aus der klassischen Sanierung in den Neubau einsteigen.
Die Kleinteiligkeit der Branche wird also abnehmen und man wird eher auf die großen Unternehmen zurückgreifen müssen, die divers aufgestellt sind?
Das ist sicherlich auch ein Effekt, dass die kleineren Unternehmen Insolvenz anmelden müssen. Man bekommt ja acht Mitarbeiter nicht so schnell umgeschult. Außerdem braucht man ja ganz andere Gerätschaften, um plötzlich im Neubau tätig zu sein. Die kleinen Firmen, die eine kleine Liquiditätsdecke haben, werden damit aufgekauft werden oder aufgeben. Und dann wird natürlich ein Konzentrationsprozess stattfinden. Das ist wirklich ein denkbares Szenario. Über Zahlen will ich da nicht spekulieren. Wir müssen aber die durch den Mietendeckel vorgegebenen Rahmenbedingungen betrachten, um aufzuzeigen, was passieren wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir im Moment noch keine tatsächlichen Fallzahlen vorliegen haben. Trotzdem müssen wir uns jetzt melden und sagen, dass die Gefahr ganz groß ist. Das haben wir mit der Politik auch in ganz vielen Hintergrundgesprächen gemacht. Leider muss ich sagen, dass es nicht genug gefruchtet hat. Wir haben die Verbändeinitiative dafür zusammengezogen, um zu sagen: Ihr verlasst in diesem wichtigen wirtschaftlichen Bereich völlig die kleineren und mittleren Bauunternehmen in Berlin, die ein Binnenkonjunkturmotor sind. Der Bauwirtschaft ging es endlich wieder gut. Die durch den Mietendeckel vorgegebenen Rahmenbedingungen bringen das wieder ins Ungleichgewicht. Wenn Aufträge ausbleiben, wird das Konsequenzen haben.
Dem wäre zynisch zu entgegnen: Es ist schwierig, überhaupt Handwerker zu bekommen. Weil Sie viel zu wenig Nachwuchs, viel zu wenige Fachkräfte haben. So könnte der Mietendeckel dazu beitragen, dass Ihre Betriebe wieder in ein ruhigeres Fahrwasser kommen und ich als Kunde keine preislich überteuerten Kostenvoranschläge mehr bekomme - wenn ich überhaupt Kostenvoranschläge bekomme.
Ich kann nur für das klassische Bauhauptgewerbe reden. Es ist so, dass der Vorlauf nicht so riesengroß ist. Das Volumen ist wirklich in die Höhe gegangen und die Bauwirtschaft hinkt dem hinterher, einerseits wegen der fehlenden Fachkräfte. Andererseits, weil man nicht gleich die Gewerbeflächen für eine Vergrößerung hat. Deshalb ist aber ganz wichtig, dass man keine Fieberkurven hat, sondern eine kontinuierliche Investitionstätigkeit. Wenn man auf einmal ganz viel Bauvolumen auf den Markt wirft, kann man nicht erwarten, dass der Handwerker am nächsten Tag vor der Tür steht. Wir haben einen solchen Infrastrukturstau, der abgebaut werden muss: an Brücken, an Straßen, an öffentlichen Gebäuden, an Wohnungen. Es kommt alles auf einmal. Dadurch verknappen sich auch Rohstoffe. Die Bauunternehmen kommen durch fehlende Kapazitäten nicht so hinterher, wie früher. Die Zeiten mit weniger Bauaktivität waren für den Verbraucher, für den Besteller sehr komfortabel. Das war aber auch nicht normal. Man muss in der heutigen Situation in Kauf nehmen, dass man auf einen Unternehmer, einen Menschen auch mal warten muss.
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