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Auf dem Weg nach unten. Die Berliner Polizei schiebt seit Jahren einen Überstundenberg vor sich her.
© Paul Zinken/dpa

Sicherheit in Berlin: Daran mangelt es der Berliner Polizei

Seit Jahren leidet Berlins Polizei unter personeller Unterbesetzung und hohem Dienstalter. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Eine Analyse.

Mal wieder hat die Polizei alle Hände voll zu tun, auch wenn die Sternfahrt der Radler in Berlin eine friedliche Angelegenheit ist. Die Straßen müssen abgesperrt und gesichert werden, die Gefahr des Terrors ist allgegenwärtig. Es ist ein Großeinsatz, für die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt fast schon Routine, täglich sind tausende Beamte rund um die Uhr einsatzbereit. Jeden Tag werden Überstunden geschoben, weil die Aufgaben wachsen und Personal fehlt.

Die Bezahlung ist mäßig, manche Polizisten halten sich finanziell mit einem Zweitjob über Wasser. Die Stimmung unter den Kollegen ist mies, da hilft es auch nicht, dass in Brandenburg oder Hamburg die Lage kaum besser ist. Besonders bedenklich erscheint: Das Vertrauen vieler Polizeibeamter in den öffentlichen Arbeitgeber geht schrittweise verloren. Sie sollen Staat und Bürger schützen, aber werden überfordert und fühlen sich nicht wertgeschätzt. Das kann auf Dauer nur nach hinten los gehen.

Zumal das Versprechen im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, „die Polizei systematisch zu stärken“, ein halbes Jahr nach Antritt der neuen Regierung einer näheren Überprüfung nicht standhält. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Bis zum Ende dieses Jahres rechnet die Innenverwaltung des Senats nach eigenen Angaben mit 16.830 Vollzeitstellen im polizeilichen Vollzugsdienst. Dazu gehören die Schutzpolizei, die Kripo und der Gewerbeaußendienst. Das bedeutet: Auf tausend Berliner kommen aktuell 4,5 Vollzugsbeamte – und diese Quote wird sich nach der geltenden Personalplanung des Senats für die Berliner Polizei bis Ende 2019 nicht verbessern.

Nicht 500, sondern 1500 neue Stellen wären nötig

In den harten Jahren der Sparpolitik, die vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und dem Finanzsenator Thilo Sarrazin (beide SPD) ab 2002 bis 2009 vorangetrieben wurde, kamen auf tausend Einwohner noch mindestens 4,8 Vollzeitstellen im Vollzugsdienst. Erst in der Endphase von Rot-Rot und der anschließenden Koalition von SPD und CDU wurde die Berliner Polizei systematisch abgespeckt. Dass die Christdemokraten mit Frank Henkel den Innensenator stellten, änderte daran nichts. Jetzt sieht es so aus, als wollten SPD, Linke und Grüne den personellen Notstand der Polizei auch nicht beheben.

Zwar ist geplant, den Polizeivollzug in den nächsten beiden Jahren um 535 Vollzeitstellen aufzustocken. Das ist mit den jungen Beamten machbar, die in Berlin nach der Ausbildung voraussichtlich zur Verfügung stehen. Darüber hinaus müssten polizeiliche Dienstkräfte aber von außerhalb rekrutiert werden. Doch wer will schon nach Berlin, bei der unterdurchschnittlichen Bezahlung und den wenig attraktiven Arbeitsplätzen? Vorsichtshalber lässt sich Innensenator Andreas Geisel (SPD) nicht in die Karten schauen.

„Die Zahl der für den neuen Haushalt 2018/19 angemeldeten Stellen für die Polizei kann wegen des laufenden Aufstellungsverfahrens noch nicht benannt werden“, teilte seine Innenbehörde auf Anfrage des Tagesspiegel mit. Der Haushaltsentwurf wird vom Senat erst Mitte Juli vorgelegt. Schon im Nachtragshaushalt 2017 hatte Rot-Rot-Grün, gerade frisch im Amt, ein Zeichen gesetzt und kein Geld für zusätzliche Stellen bei der Berliner Polizei zur Verfügung gestellt.

Bleibt es bei den Zahlen, die bisher bekannt sind, wird der unterbesetzte Vollzugsdienst nur an die wachsende Bevölkerung angepasst. Die Personalmisere bleibt bestehen. Um wieder das Niveau zu erreichen, das bis vor zehn Jahren Standard war, müssten bis Ende 2019 nicht rund 500, sondern mindestens 1500 neue Stellen im Vollzugsdienst geschaffen werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert langfristig sogar 3000 zusätzliche Vollzugsbeamte in Berlin.

Der Polizeidienst ist überaltert

Zumal viele Stellen nur auf dem Papier existieren. Ende April waren nach Angaben der Innenverwaltung 382 Stellen im Polizeidienst nicht besetzt. Davon 60 im Vollzugsdienst, die meisten Stellen in der Verwaltung. Die Innenbehörde macht dafür die Sparpolitik der vergangenen Jahre in der gesamten Berliner Verwaltung verantwortlich, die erst „im Frühjahr 2017 offiziell aufgehoben“ worden sei. Außerdem sind regelmäßig einige hundert Beamte zeitlich befristet beurlaubt und der Krankenstand ist hoch, vor allem bei den älteren Polizisten. Bei den Beamten unter 30 Jahren liegt die Krankenquote nur bei 5 Prozent, bei den 50- bis 60-Jährigen aber bei über 15 Prozent. Polizeibeamte über 60 Jahre sind durchschnittlich mindestens einen Tag in der Woche krank.

Damit gehören die Berliner Polizisten zu den anfälligsten Berufsgruppen in einem ohnehin kränkelnden öffentlichen Dienst. Neben der Arbeitsbelastung und bröckelnder Motivation spielt eben auch der hohe Altersdurchschnitt von 46 Jahren eine Rolle – in einem Beruf, der körperlich und psychisch hohen Einsatz erfordert. Pro Kopf schieben jene Polizeibeamte, die im Einsatz auf der Straße sind, 150 Überstunden vor sich her. Ein Berg von Mehrarbeit, der seit vielen Jahren nicht abgebaut wird.

Der überalterte Polizeidienst in Berlin bringt noch ein weiteres Problem mit sich: In diesem Jahr gehen voraussichtlich 480 Beamte aus dem Vollzugsdienst in Pension, im Jahr 2020 sind es schon 660 Polizisten. Rechnet man die Verwaltungsmitarbeiter in der Polizeibehörde hinzu, sind es fast tausend Ruheständler, die ersetzt werden müssen. Dafür reichen die Ausbildungskapazitäten in Berlin aber nicht aus, von einer Verbesserung der Personalsituation ganz zu schweigen. Und wie gesagt – mit Zuwachs von außen ist nicht zu rechnen. Im Gegenteil, immer mehr Polizisten schauen sich nach attraktiveren Stellen im Bund oder anderen Ländern um.

Zwar hat der Senat eine Angleichung der Gehälter an das Bundesniveau zugesagt, aber den Betroffenen geht das zu langsam. Nur 2,5 Prozent mehr Gehalt ab August wird von der GdP als „schlechter Witz“ kritisiert. Die Gewerkschaft ermuntert die Kollegen sogar, für eine „verfassungsgemäße Besoldung“ vor Gericht zu ziehen.

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