Streit um Regeln beim berühmten Flohmarkt: Budenzauber am Mauerpark
Struktur statt Wildwuchs, Professionalität statt Do-it-yourself: Der neue Betreiber des Mauerpark-Flohmarkts hat die Regeln geändert – nicht allen Händlern gefällt das. Ein Sonntag unter Krimskrams-Kapitalisten.
Es ist Sonntagmorgen, halb sieben, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen den Mauerpark treffen, erwacht der Markt zum Leben. Ein paar Jogger drehen ihre Runden, Autos beladen mit blauen Ikea-Tüten und Bananenkisten rollen die Bernauer Straße hoch. Drei junge Leute schieben Kleiderständer über den Schotter in Richtung Buden.
„Mit dem Geld, das wir heute verdienen, wollen wir nach Italien fahren“, sagt Imme und blinzelt, das zottelige rosa Haar hängt der Mittzwanzigerin ins Gesicht. Eine Flasche Bardolino am Meer gegen den ganzen alten Krempel eintauschen, der sich so ansammelt im Leben – diese romantische Flohmarkt-Idee hat Imme und ihre Freunde heute früh aus dem Bett gelockt. Aus dem Kofferradio singt Ian Curtis „I lost control again“. Isi und Luke singen mit und packen aus: Oben hängen die Crop-Shirts, auf den Tischen liegen dicke Winterpullis, alte Levi’s und bunte Leggings. Auf dem Ständer an der rechten Seite hängen die Sommerkleider, von Cos, H&M und Topshop, Schickes aus der vorletzten Saison.
Im Laufe des Tages werden heute etwa 40.000 Besucher, Flaschensammler, Künstler und Musiker in den Mauerpark kommen. Hier, wo vor 25 Jahren noch der Todesstreifen zwischen Wedding im Westen und Prenzlauer Berg im Osten verlief, feiern Berliner und Touristen heute jeden Sonntag ein Festival. Karaoke-Fans warten im voll besetzten Amphitheater auf den großen Auftritt, Kinder lernen auf den Riesenschaukeln das Fliegen, Erwachsene sitzen im Gras, trinken Bier und Limonade, grillen, bis das Ordnungsamt was merkt. Im Hintergrund spielen Musiker mit Reggae-Beats und Electro-Swing gegeneinander an.
Es gibt keinen Berlin-Reiseführer, der den Flohmarkt am Mauerpark nicht empfiehlt. Laut dem britischen Stadtmagazin „Time Out“ ist er unter den Top-3-Sehenswürdigkeiten in ganz Berlin.
Für viele Händler hängt die Existenz am Flohmarktverkauf
Imme, Luke und Isi sind private Händler, das kleinste Rädchen im System Mauerpark. Menschen wie Imme mit ihrer bunten Bluse und Nadel und Faden in der Brusttasche, Isi mit ihren selbst gedrehten Zigaretten und Luke mit seinen großen Piercings und dem fröhlichen Lachen, verleihen dem Flohmarkt seinen unbeschwerten Charme, den sympathisch unperfekten Selbermach-Charakter, die das Bild vom Mauerpark prägen – und damit auch das Bild von Berlin.
Imme und die anderen sind die freundliche Fassade eines knallharten Geschäfts, das sich jeden Sonntag auf dem Boden abspielt, auf dem Imme gerade steht und die letzte Bluse an ihre Bude hängt. Für viele Händler, die seit dem Morgengrauen auf dem Markt stehen, hängt die Existenz an diesem Gelände, ihre Stände sind ihr Lebensunterhalt. Auf den 10.000 Quadratmetern Flohmarkt-Gelände lässt sich im Kleinen beobachten, was im Großen auch die Märkte dieser Welt beschäftigt. Auch hier geht es um die Verteilung von Gütern, darum, ob mehr Freiheit oder mehr Regulierung besser für den Markt ist, und darum, dass manche ein größeres Stück vom Kuchen haben als andere. Aktuell geht die Entwicklung mehr in Richtung Regulierung. Seit einem halben Jahr hat der Flohmarkt am Mauerpark einen neuen Betreiber – und der hat neue Regeln mitgebracht.
Nicht allen Händlern gefällt das. Nicht weit von Immes Stand, den Schotterweg runter, beginnt der Tag auch für Engin Basar. Direkt vor seinem Zelt, einem großen weißen, stehen vier asiatische Mädchen mit einem Rollkoffer. Es ist eine kleine Fläche, kaum zwei mal zwei Meter groß, auf dem Rande seines Grundstücks. Quer darüber läuft eine Baumwurzel. Die Marktleitung hat die Mädchen dort hingeschickt, hier sollen sie ihren Tapezier-Tisch aufbauen dürfen.
„Stopp, hier könnt ihr nicht stehen“, ruft Basar. Eilig schiebt er ein paar Fahrräder seines Kollegen auf die freie Fläche. Die Mädchen gucken verständnislos. Sie sprechen kein Deutsch, nur gebrochen Englisch. Engin Basar stapft zu einem Marktleiter, der für die organisatorischen Abläufe auf dem Gelände zuständig ist. Auf dem Gelände sind ständig drei von ihnen unterwegs.
„Hey, was machen die hier?“, fragt Basar. „Die können hier nicht stehen, das ist mein Gelände!“ Ein Funkgerät rauscht. Der Marktleiter murmelt etwas hinein. Abschätzige Blicke. Wieder Rauschen. Dann nickt der Mann den Mädchen zu: „Come on, I have another place for you.“
Engin Basar, 41 Jahre alt, runder Bauch, braune Augen, blau gestreiftes Hemd, bleibt zurück, erleichtert, dass er seinen Platz verteidigen konnte. „Da hat er wieder seine Kampfhunde vorgeschickt“, sagt Basar und meint die Marktleiter und deren neuen Chef. Basars Platz, das sind 240 Quadratmeter, auf denen er in einem großen weißen Zelt ein Familienrestaurant führt: „Mamas Food Manufaktur“.
Geboren ist Basar am schwarzen Meer in der Türkei. „Wir sind so was wie die türkischen Ostfriesen“, sagt Basar lachend. Seit dem Grundschulalter lebt er mit seiner Familie in Berlin, seit neun Jahren steht er hier auf dem Markt. Anfangs haben sie nur Säfte verkauft, dann kamen die Obstsalate, später auch warme Speisen. Heute köcheln in schweren schwarzen Töpfen würzige Hackfleischbällchen, in einer Sauce aus Paprika und Tomaten. Nur Sardinen, die türkisch-ostfriesische Nationalspeise, verkaufen sie nicht – die Gesundheitsauflagen für Fisch sind besonders hoch.
Als Erste kommen die Schnäppchenjäger
Mehr als 400 Händler mieten auf dem Mauerpark-Flohmarkt jeden Sonntag ihre Stände, meist drei Meter breit und zweieinhalb Meter tief. Basar ist eine Ausnahme. Seit Oktober 2013 mietet er seine Fläche an der Bernauer Straße 63–64 direkt beim Eigentümer. Probleme habe es nie gegeben. Doch etwa zum selben Zeitpunkt, zu dem der neue Marktbetreiber Rainer Perske im September 2014 den Mietvertrag mit der Eigentümerin CA Immo unterschreibt, wird Basar gekündigt. Fristgerecht, aber nach nur zehn Monaten und ohne Begründung.
„Es gab keinen Grund, uns runterzuschmeißen“, sagt Basar. Basar ist sicher, dass er ungerecht behandelt wurde. In einer schwarzen Aktentasche trägt er die Briefe seines Anwalts: Einspruch gegen die Räumungsklage der CA Immo und eine Anzeige gegen Perske, der ihn öffentlich beleidigt habe. Laut Anwalt wurde die Anzeige bereits gestellt, Perske allerdings sagt, sie liege ihm noch nicht vor.
Basar kämpft, weil an seinem Geschäft Existenzen hängen, 25 Leute arbeiten für ihn. „Mamas Food Manufaktur“ ist ein Familienbetrieb. Auch sein Bruder, seine Cousins und seine eigene Mutter arbeiten auf dem Markt. „Ich fühle mich meinen Mitarbeitern gegenüber verantwortlich.“
Auch Markus Döring hat schon Ärger mit der neuen Marktleitung, bevor der Markt überhaupt richtig losgeht. Der Taschenhändler ist gerade auf dem Parkplatz angekommen, da klingelt sein Handy. Sein Stand-Nachbar ist dran:
„Mensch, Markus, wo steckst du? Die geben deinen Stand her.“
„Mach keine Witze“, sagt Döring.
„Komm schnell.“
Döring und sein Nachbar machen öfter mal Scherze. Aber diesmal ist es keiner. Es ist fünf Minuten nach 9 Uhr. Um 9 Uhr hätte er da sein sollen, so steht es in seinem Vertrag. Pech gehabt. Die Marktleitung hat seinen Stand weitervermietet an zwei junge Mädchen. Für Döring bedeutet das: Er bezahlt Miete, aber seine Ware auslegen darf er nicht. Andere Plätze gibt es längst nicht mehr.
Seit Jahren hat er keinen Sonntag mehr ausgelassen
„Ich habe den Herrn Perske am Anfang sehr begrüßt, weil er versprochen hat, Ordnung reinzubringen“, sagt Döring. Die Sicherheit, einen Vertrag zu bekommen, ist wichtig für ihn. Einen festen eigenen Laden könne er sich mit seinen Taschen nicht leisten. „Aber schon mit einem verlorenen Sonntag kann der Mai für mich gelaufen sein“, sagt Döring, der seit Jahren keinen Sonntag mehr ausgelassen hat. Wie viele Kreative auf dem Flohmarkt stockt Döring mit den Verkäufen sein Hartz-IV-Einkommen auf.
„Man merkt, dass wir Händler dem Herrn Perske egal sind“, sagt Döring. Er möchte nicht, dass sein echter Name in der Zeitung steht, aus Angst, dass er dann überhaupt nicht mehr auf dem Markt stehen darf.
Es ist jetzt kurz vor 10 Uhr, und kaum merklich, während die Händler damit beschäftigt sind, ihre Buden zu bestücken und ihre Plätze zu verteidigen, füllt sich der Markt. Als Erste kommen die Schnäppchenjäger, durchforsten die frisch aufgebaute Ware nach Schätzen. Einige sind Profis, die von einem Markt zum nächsten ziehen und ihre Beute dann im eigenen Trödelladen mit Gewinn weiterverkaufen. Andere sind Schnäppchenjäger aus Leidenschaft: Was für sie zählt, ist die Befriedigung, einen guten Deal gemacht zu haben.
Kurz vor dem Mittagsansturm steht der Mann, der nun für den berühmtesten Flohmarkt Berlins die Verantwortung trägt, am Eingang und blickt durch die Mittelgasse Richtung Gleimstraße. Rainer Perske sieht nicht aus wie ein klassischer Geschäftsmann: Er trägt eine schicke grüne Jacke, darunter ein schwarzes Hemd, blaue Jeans. Aber wenn es um das Geschäft mit dem Trödel geht, kennt er sich aus.
Das Flohmarktgelände am Mauerpark, das sind 10.000 Quadratmeter Schotter, Beton und zertretenes Gras, die sechs Tage in der Woche brachliegen. 10 000 Quadratmeter, auf denen jeden Sonntag bedruckte Taschen, Lampenschirme, Strohhüte, Bilderrahmen und Kerzenständer verkauft werden. Ein alter Emaille-Eimer kostet 15 Euro, Schallplatten gibt es ab zwei Euro, bedruckte Postkarten für 90 Cent.
Die Ware, die hier verkauft wird, ist noch die gleiche wie vor einen Jahr, als der Flohmarkt am Mauerpark noch eine andere Leitung hatte. „Aber wenn ich drüber nachdenke, habe ich schon einiges geändert“, sagt Perske schmunzelnd. Vier Toiletten-Container mit Warmwasserleitung gibt es jetzt, 25 zusätzliche Mülltonnen, die mehrmals täglich entleert werden, jeden Sonntag werden die Buden mit dem Stromnetz verbunden, damit auch in den Wintermonaten keiner im Dunkeln tappen muss. „Man soll die Änderungen eigentlich nicht sehen, nur spüren“, sagt Perske.
Besonders stolz ist er deshalb auch auf die Sichtachsen. Weil die Gänge jetzt breiter sind, mindestens vier, meist sogar fünf Meter, kann man jeden Gang hinunter gen Horizont blicken. Perske nennt es den „Manhattan-Effekt“. Dahinter steckt auch ein Sicherheitsgedanke. „Feuerwehr und Krankenwagen müssen problemlos durchkommen – und zwar überall“, das ist Perske wichtig.
Die breiten Gänge geben auch den Blick frei auf Engin Basars weißes Essenszelt. „Der gehört nicht zur Marktfläche, er geht aber nicht runter, jetzt wird er runtergeklagt“, sagt Perske im Vorbeigehen. „Altlasten“ seien das, mit denen er sich nun beschäftigen müsse. „Dabei will ich eigentlich nur in Ruhe mein Konzept machen.“
Früher war der Stöberfaktor höher
Übersicht, Sicherheit und Entspannung: So lauten die drei Säulen seines Konzepts. Ein eigens gedruckter Flyer zeigt, wie das aussieht. Hellblau auf dem Plan eingezeichnet ist das Kunsthandwerk. Hier stehen gewerbliche Händler wie Markus Döring. Dunkelblau: die Trödler. Lila markiert sind die privaten Stände, hier verkaufen auch Imme und Luke ihren Krempel. Dazwischen Toiletten, Notausgänge, Sanitäterräume. Grün eingezeichnet und im Herzen des Marktes gelegen ist der Internationale Food Court. „Die Kunden soll sich geleitet fühlen“, sagt Perske. Immer wissen, wo der nächste Ausgang ist, die nächste Toilette oder die nächste Bank. Struktur statt Wildwuchs, Professionalität statt Do-it-yourself.
Seine Kritiker sagen, Perske mache den Markt mit seinem Ordnungswahn kaputt. Früher habe der Markt einen höheren Stöberfaktor gehabt. Fahrräder, Pommesbuden, Videospiele und Porzellan standen wild nebeneinander. „Das war eine bunte Mischung“, erinnert sich ein Händler.
„Perske hat an alles gedacht,“ findet dagegen Alexander Puell, der sich seit zehn Jahren bei den Freunden des Mauerparks engagiert, einem Verein von Anwohnern aus Wedding und Prenzlauer Berg. Ordentlicher und sicherer sei der Markt mit Perske geworden. Auch das Gremium aus Bezirken, CA Immo und Bürgerwerkstatt, das entscheidet, wer den Flohmarkt am Mauerpark betreiben darf, hat Perske mit seinem Konzept überzeugt.
Die Frage, die sich mit der neuen Marktleitung stellt, ist: Wie viel Kontrolle und Regeln verträgt ein Flohmarkt? Wie viele Sicherheitsvorkehrungen, Warenkontrollen und Ordnungshüter kann es im Mauerpark geben, bis die Kerzenständer und Adiletten aus den Neunzigern nur noch wirken wie verstaubte Andenken in einem Kaufhaus unter freiem Himmel?
Perske kennt die Vorwürfe. „Ich will den Mauerpark-Charakter nicht kaputtmachen“, sagt er. Aber der Flohmarkt habe eine kritische Größe erreicht. Die schwierige Abwägung zwischen Feierspaß und Sicherheit kenne man von anderen Berliner Großveranstaltungen wie dem Myfest oder den Karneval der Kulturen. „Das ist genau die Stufe, wo es kritisch wird,“ sagt Perske. Deshalb müssten die Sicherheitsvorkehrungen sein. „Man muss nur an die Love Parade denken, da ist ja auch jahrelang nichts passiert, aber dann ein Mal richtig“, sagt Perske.
Angefangen hat die Erfolgsgeschichte des Mauerpark-Flohmarkts vor knapp elf Jahren ganz unbedarft. Zwei Freunde, Oliver Lüdecke und Lars Herting, entdeckten das Gelände 2004, der erste Flohmarkt fand im Juli statt. Eigentlich war deshalb im Juli 2014 ein großes Geburtstagsfest geplant. Doch dazu kam es nicht, vorher flatterte die Kündigung in den Briefkasten der Betreiber.
Der Markt sei über die Jahre organisch gewachsen und man habe großen Respekt vor der Leistung der ehemaligen Marktbetreiber, sagt die CA Immo. „Aber wir haben die Notwendigkeit gesehen, die Mietverhältnisse neu zu ordnen, auch aus Sicherheitsgründen“, sagt Firmensprecher Markus Diekow. Wie auch den Vertrag von Engin Basar hat die Firma ordentlich, aber ohne Angabe von Gründen gekündigt.
Für die CA Immo soll es nur noch einen Ansprechpartner geben. Auch deshalb weil das Marktgrundstück perspektivisch dem Land Berlin übergeben werden soll, wahrscheinlich noch in diesem Jahr, einige Händler reden von September. Ein städtebaulicher Vertrag zwischen Bezirken, Senat und der CA Immo sieht vor, aus dem gesamten Mauerpark-Gelände ein großes „parkverträgliches Areal" zu machen.
„Parkverträglich“ nennt Perske auch sein Konzept für den Mauerpark. Es ist ein Konzept, das sich für ihn gelohnt haben könnte. Denn wenn das Grundstück an das Land übergeben wird, will der Senat den Mietvertrag in einen Erbpacht- oder Langzeitvertrag umwandeln. „Wir vergeben das Grundstück mit allen Verpflichtungen“, sagt CA-Immo-Sprecher Diekow. Das heißt: Auch der Mietvertrag mit Perske läuft erst einmal weiter. Ob der Senat den Geländebetrieb mit der Übernahme dann neu ausschreiben wird, ist noch unklar. Klar ist, dass ein Vertrag für den oder die Betreiber einem Lottogewinn gleichkommt.
Manche Händler begrüßen die neuen Regeln
Perske jedenfalls plant nicht, wie einer plant, der demnächst mit der Kündigung rechnen muss. Im letzten halben Jahr habe er sich noch in der Orientierungsphase befunden. Jetzt könne es ans Finetuning gehen. Die Sache mit dem Müll etwa: „Das muss doch noch besser gehen.“ Er könne sich ein Pfandsystem vorstellen, mit einem Verein, der sich für die Verbesserung der Trinkwasserversorgung in Entwicklungsländern einsetzt. „Sozial und sauber, das könnte auch den Händlern gefallen“, sagt Perske.
„Seit Perske uns Verträge gegeben hat, bin ich viel entspannter“, sagt Samuel Bauza Lopez. Auch seine Existenz hängt am Mauerpark. Der Mallorquiner steht in der Mittagssonne vor seiner Bude und befestigt ein Banner mit Reißzwecken, „Twenty Hards“ steht darauf. Um ihn herum hängen T-Shirts, bedruckt mit Marienkäfern, der Oberbaumbrücke und Star-Wars-Karikaturen. Den Siebdruck hat Bauza Lopez sich selbst mithilfe von YouTube-Videos beigebracht. Zum ersten Mal seit zehn Jahren haben die Stammhändler auf dem Mauerpark-Flohmarkt Verträge bekommen: acht Wochen Kündigungsfrist, jeden Sonntag ein Platz garantiert, zumindest dann, wenn man nicht zu spät kommt. Früher mussten alle Händler jeden Sonntag aufs Neue für einen Platz anstehen, oft ist Bauza Lopez dann schon um 4 Uhr morgens hier gewesen. „Jetzt kann ich viel später aufstehen“, sagt der Händler und grinst.
„Und ich habe Sicherheit für den nächsten Monat.“ Die brauche man auch, wenn man auf dem Markt sein Geld verdient. In den guten Sommermonaten muss man für den Winter sparen. An seinem schlechtesten Tag hat Bauza Lopez ein einziges T-Shirt verkauft, an seinem besten 120. „Da bin ich nach Hause geflogen“, lacht der Händler.
Samstags verkauft er auch auf dem Hackeschen Markt. „Das kann man gar nicht vergleichen“, sagt Bauza Lopez. Der Mauerpark sei ein Rock ’n’ Roll-Festival, der Hackesche Markt eher ein Familienfest. Besonders gefällt ihm, dass der Mauerpark so international ist: „Es ist cool zu wissen, dass jetzt ein Typ mit meinem T-Shirt durch Kalifornien läuft.“
Im Büro bevorzugt der Marktbetreiber Neuware
Etwa 50 regelmäßige Flohmärkte gibt es derzeit in Berlin. Hinzu kommen unzählige kleinere Hinterhofmärkte und Guerilla-Stände. Viele dieser Märkte folgen der Idee: Der Krempel im Keller muss weg, vielleicht kann ich ein paar Euro machen. Die großen Märkte aber sind Wirtschaftsunternehmen mit Geschäftsführern. Wie Perske leiten die meisten Betreiber nicht nur einen Markt.
So leitet das Unternehmen „Die Marktplaner“ sieben Neuköllner Märkte und den Markt am Südstern. Die Märkte am Leopoldplatz in Wedding, am Spittelmarkt und der Bauernmarkt am Wittenbergplatz werden von der Marktverwaltung BBM – kurz für Berlin-Brandenburg Bauernmärkte – geführt. Und Perske leitet neben dem Mauerpark noch die Wochenmärkte am Antonplatz (Weißensee), Arkonaplatz (Prenzlauer Berg), Elcknerplatz (Köpenick) sowie den Neuköllner Schillermarkt. Er tut dies von seinem Büro aus, in einem Hinterhof in der Adalbertstraße, mitten in Kreuzberg. Dass in diesem Büro Flohmärkte geleitet werden, sieht man beim Besuch einige Tage zuvor nicht: Einbauküche statt Vintage-Geschirr, Regale aus Sperrholzplatten statt Großmutters Glasvitrine. Angebrochene Cola-Flaschen,1,5 Liter, erinnern an die letzte Sitzung zum Mauerpark. Er habe mit seinen Marktleitern über ein paar grundsätzliche Dinge reden müssen, sagt Perske. Sieben von insgesamt 17 festen Mitarbeitern seiner Firma kümmern sich um den Mauerpark-Flohmarkt. In der Adalbertstraße werden die Entscheidungen getroffen, für die an den Markttagen selbst keine Zeit bleibt.
Er hat keine Zeit, seine Zigarette anzuzünden
Am Flohmarktsonntag läuft Perske mit schnellen Schritten über den Markt, er blickt suchend in die Menge. In den Händen hält er stets eine Zigarette, R1, die hellblauen. Zeit, sie anzuzünden, hat er nicht. Immer grüßt ihn jemand. Ständig fällt Perske etwas auf, das so nicht im Konzept steht. „Der Ständer kann hier nicht so überstehen, das hab ich dir letzte Woche schon gesagt!“, ruft er einem Klamottenhändler zu. Vor einem Möbelstand bleibt Perske kurz stehen, sein Blick bleibt an einem Stapel mit Weinkisten hängen. „Wein schenkt Freude“ steht darauf. Perske greift zwei mit jeder Hand und stellt sie einen guten Meter weiter Richtung Händler. „Ordnung muss sein“ – sonst seien die Gänge hier nächste Woche nur noch drei Meter breit.
Perske geht weiter, eine Sicherheitskraft meldet sich über Funk:
„Rainer, da stehen welche im Parkverbot und hauen nicht ab.“
„Wissen die, dass sie falsch stehen?“
„Ja, hab ich denen jetzt schon zwei Mal gesagt.“
„Dann sofort den Abschleppdienst rufen. Ende.“
Es ist kurz vor 14 Uhr, viele Besucher drängen sich jetzt im Food Court an den mehr als 20 Essensständen: Japanische Pfannkuchen, Currywurst mit Pommes, frittiertes Eis. Eine gute Mischung ist Perske wichtig. Händler, die Backwaren verkaufen, suche er momentan noch. „Vielleicht so was wie Scones, diese süßen Brötchen“, sagt Perske. „Aber Essen aus England? Das wäre riskant!“ Perske lacht.
Da tippt ihn ein junger Mann mit blauer Jacke und langen Haaren an. Er ist Händler und will unbedingt auf dem Mauerpark stehen. Ob Perske da nicht mal was machen könne. Seit Wochen käme er jeden Sonntag und versuche einen Platz zu ergattern. „Ich nehme das sehr ernst,“ sagt Perske. Aber im Moment könne er da nichts machen. Der junge Mann bleibt hartnäckig. Wann die neue Vertragsrunde anfange, will er wissen. Jetzt wird Perske ungeduldig. „Der Mauerpark ist doch nicht der einzige“, sagt Perske. „Versuch’s doch mal auf den anderen.“ Und muss schnell weiter.
Kritische Worte der Händler nimmt Perske nicht so schwer. „Wir Betreiber sind immer auch der Buhmann“, sagt er. Es sei doch klar, dass am Anfang nicht alles perfekt ist. Dass es morgens beim Parken noch chaotisch zugeht? Dass er manchmal Leute nach Hause schicken muss? Dass manche Regeln noch nicht für alle gelten? Alles Fragen des Finetunings, sagt Perske.
Am Nachmittag auf der Wiese neben dem Flohmarkt bekommen die Besucher von Preiserhöhungen und Streitereien um Fluchtwege nichts mit. Jo Ormiston liegt lächelnd im Gras, Sonnenbrille auf der Nase. Ihre schwarzen Doc-Martens-Stiefel hat sie ausgezogen. Es ist ein warmer Tag für die Engländerin.
In London sind die Märkte teurer, sagt eine Touristin
„Der Mauerpark ist großartig“, sagt die 26-jährige Grafikdesignerin aus London. Neben ihr liegen ihre frisch ergatterten Einkäufe: eine Elefantenfigur aus Kupfer und eine handbemalte Obstschale. Zusammen hat sie dafür 15 Euro ausgegeben. „Ich wünschte, die Märkte in London wären so günstig“, sagt Ormiston. „Wenn ich in Berlin wohnen würde, wäre ich sicher jeden Sonntag hier, es gibt so viel zu sehen.“
Ein paar Meter weiter sitzt Jonas, 25 Jahre aus Berlin, mit seiner Tante und seiner Cousine auf einer Picknickdecke. Sie trinken Cola und sehen erschöpft aus. „Ich bin nur hier, weil meine Familie zu Besuch ist“, sagt Jonas, der seit sechs Jahren in Berlin Philosophie studiert. Er guckt gequält. „Meine Cousinen haben von Freunden vom Mauerpark gehört und wollten unbedingt mal hier hin.“ Er selbst findet den Trubel eher anstrengend. Das letzte Mal war Jonas vor fünf Jahren hier. Damals wollte er eine Whiskeykaraffe kaufen, ein Geburtstagsgeschenk für seinen Vater. „Die haben 30 Euro dafür verlangt“, sagt Jonas. „Da hätte ich ja gleich eine neue kaufen können.“
Dass der Mauerpark-Flohmarkt nicht nur vergleichsweise teuer, sondern auch bei Touristen beliebt ist, mag manche Einheimische eher abschrecken – für die Händler macht ihn das besonders attraktiv. Denn wer in Urlaubslaune ist, dem sitzt die Geldbörse oft etwas lockerer.
Toiletten mit Warmwasseranschluss, Müllentsorgung, Securitykräfte – all das kostet Geld. Um sich das neue Sicherheitspaket für den Mauerpark leisten zu können, hat Perske auch die Standpreise erhöht. Früher haben private und gewerbliche Händler noch zehn Euro für den laufenden Meter bezahlt. Die neuen Preise stehen im Internet: Private Händler zahlen 20 Euro inklusive Bude, gewerbliche 30 Euro inklusive Bude, Gastronomen 220 Euro. Strom können die Händler für fünf Euro am Tag dazubuchen.
Gestiegen sind vor allem die Preise für die Gastronomie: Bei Perske bezahlen die Fressbuden, wie er sie manchmal nennt, das Siebenfache pro laufenden Meter. Gegessen wird immer, lautet Perskes Begründung.
„Der Mauerpark ist eine Goldgrube“, sagt eine Händlerin, die früher auch hier verkauft hat. Ein Möbelverkäufer, der schon lange dabei ist, sagt: „Perske könnte auch locker 50 Euro pro laufenden Meter nehmen und die Leute würden noch Schlange stehen.“
Auch ein Getränkeverkäufer gibt zu, dass er mit den neuen Mietpreisen kein Problem hat. Wie viel er verdient, will er zwar nicht sagen, aber er verrät doch: „An einem schönen Tag verkaufe ich etwa vier Getränke die Minute.“ Im Kühlschrank hinter ihm stehen Radler, Limo und Flaschenbier.
Manche bezeichnen den Markt als "Goldgrube"
Da ist es einfach, sich auszurechnen, warum die Händler trotzdem noch bei Perske mieten wollen: Ein Bier kostet hier 2,50 Euro, die Limonaden zwei Euro. Bei vier verkauften Getränken pro Minute macht das mindestens 480 Euro in der Stunde. Rechnet man mit acht Stunden Verkauf an einem Sonntag, pendelt sich der Umsatz eines Getränkeverkäufers also bei knapp 4000 Euro ein. Auch abzüglich Personal- und Materialkosten und den 220 Euro Standgebühren ist das ein ordentlicher Tagesgewinn.
Wie viel ein einzelner Tag auf dem Mauerpark für Händler und Marktbetreiber wert ist, wurde auch in der Phase des Betreiberwechsels deutlich. Drei Wochen hatte Perske im vergangenen Herbst, um sein Konzept umzusetzen. Drei Wochen, um Händlerdaten zu erfassen, neue Verträge abzuschließen, Stromkabel zu legen. Drei Wochen Zeit, um Dinge zu regeln, hätten auch bedeutet, den Markt für drei Sonntage zu schließen. Aber der Mauerpark sollte nicht ruhen. Also haben die Händler und Perske in einer Marathonsitzung Daten erfasst, Verträge unterschrieben, Gespräche geführt.
„Wir haben uns damals gegen eine Schließung entschieden, weil die Händler doch stark an den Marktterminen hängen“, sagt Perske. Dass auch ihm selbst sonst Tausende von Euro an Standgebühren entgangen wären, sagt er nicht.
Sechs Uhr abends, offiziell schließt der Flohmarkt jetzt. Die Abendsonne taucht den Mauerpark in warmes Licht. Menschen sitzen im Gras, trinken Bier und Limonade, um sie herum hat sich ein Meer aus leeren Dosen, Packpapier und mit Ketchup beschmierte Pommes-Schalen gebildet. Später am Abend wird ein Müllwagen die ersten Spuren des Mauerpark-Festivals beseitigen.
Auch Luke, Isi und Imme packen die übrig gebliebenen Sachen zurück in die blauen Taschen. Das Radio spielt immer noch, aber keiner singt mehr mit. „Die Luft ist raus“, sagt Luke. Die Levi’s gingen gut weg. Die vielen alten Pullis hat heute keiner gekauft. Zu heiß wahrscheinlich.
Luke und Isi beugen sich über die grüne Geldkassette und zählen Scheine und Münzen. Zusammen haben sie heute 187 Euro verdient, minus 30 Euro Standgebühr, minus 37 für japanische Pfannkuchen und Bier. Bleiben 120 Euro. „Nicht gerade genug, um damit in den Urlaub zu fahren“, sagt Imme lachend. Aber nächsten Sonntag wollen sie damit schön beim Italiener essen gehen.
Dieser Beitrag ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.
Luisa Jacobs