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Parklandschaft statt Todesstreifen. Nach der Wende wurden Pappeln und Eichen gepflanzt. Von der Mauer ist im Mauerpark aber nichts mehr zu sehen. Die Flutlichtmasten des Jahn-Sportparks wachen wie schlanke Riesen über das Gelände.
© Kitty Kleist-Heinrich

Mauerpark: Jede Woche Woodstock

Krähen, Kinder, Kiffer und natürlich Karaoke: Eine Liebeserklärung an den Mauerpark.

Ach Mauerpark, ick liebe dir. Obwohl du oft so hässlich bist. Obwohl in dir heute, Sonntag, sicher noch der Müll von gestern Abend liegt. Und obwohl da heute Abend sicher noch viel mehr Müll liegen wird und du wieder überfüllt sein wirst, ich mag dich, Mauerpark. Und bin damit nicht allein, Tausende mögen dich und strömen herbei, zum Flohmarkt, zum Mauerpark-Karaoke oder um einfach auf der Wiese zu liegen. Mauerpark, mir gefällt der sonntägliche Ausnahmezustand, der Volksauflauf, mir gefällt, dass jede Woche Woodstock ist, mir gefällt die sich an sich selbst berauschende Menge, die auf der Wiese tanzt, sich filmt und fotografiert und das gleich postet. Und ja, mir gefällt, dass sie aus der ganzen Welt kommen, sagt mir das nicht, ich lebe in einer attraktiven Stadt?

Mauerpark, mir gefallen die paar Stufen aus roh behauenen Granitblöcken, die von der Bernauer Straße auf das ehemalige Güterbahnhofsgelände führen, es geht hinauf wie auf das Podest eines griechischen Tempels, dahinter liegt ein locker gepflanzter Hain; ach Mauerpark, mir gefällt, dass die Mauer hier nicht mehr steht, kein einziger Meter, was manche Besucher verwirrt. Sie fragen nach ihr oder halten das Stück Hinterlandmauer oben auf dem Stadionhügel für Mauer. Dabei ist die Topografie der Teilung noch immer gut zu erkennen: Park ist der Mauerpark nur im ehemaligen Osten, hier wurde auf dem früheren Todesstreifen Parklandschaft angelegt, der Landschaftsarchitekt heißt Gustav Lange, er hat einen wunderbaren Park gebaut, in dem wenige Pappeln und Pyramideneichen stehen. Rechts verläuft die alte, kopfsteingepflasterte Schwedter Straße, daneben der gewaltige Wall, der zu DDR-Zeiten zum Bau des Jahn-Stadions aus Bombenschutt aufgeschüttet wurde, im Winter sind halsbrecherische Schlittenfahrten möglich.

Mauerpark, mir gefallen deine großen Schaukeln oben auf dem Hügel, auf diesen Schaukeln lässt sich über die tristhübsche Hüttenlandschaft und das Brennstofflager hinweg Richtung früherer freier Westen schaukeln, in den Himmel über Berlin hinein. Und mir gefällt die Hinterlandmauer zum Stadion, die Farbe, hier darf gesprüht werden, pappt in daumendicken Schichten wie Blätterteig auf dem Beton.

Mauerpark, wochentags gefällst du mir noch besser, wochentags bist du so leer; Mauerpark, ich liebe dein den Sommer über blau-violett blühendes Gestrüpp, das den Boden des Stadionhangs bedeckt, nein, leider kein Lavendel, sieht von fern nur so aus, schön wär’s; es ist eine Salbei-Art. Und Mauerpark, ich liebe die Abende, ein oder zwei im Jahr, wenn die Junikäfer schlüpfen und herumfliegen, tausende brummen herum und paaren sich. Und die Parkbesucher tun es ihnen gleich, im Dunkeln, unter den nichtleuchtenden Flutlichtmasten, die wie zwei schlanke Riesen über das Gelände wachen.

Mir gefallen die Findlinge, auf denen die Kinder klettern und mir gefällt, was Mütter und Väter da so alles mit ihren Kindern anstellen müssen, Frisbee spielen, kicken, Schlagballwurf üben, Drachen steigen lassen; mir gefallen die Kinderwagenkohorten auf dem Kopfsteinpflaster der alten Schwedter Straße, auf dem sich nicht so gut Radfahren lässt.

Mauerpark, mir gefallen auch deine Entrepreneure, die Flaschensammler, die Kuchenmädchen die sonntags Selbstgebackenes verkaufen, die Minidrachenverkäufer und der Seifenblasenmann mit seinen Riesenseifenblasen, der Hula-Hoop- Promoter mit seinen Vortänzerinnen; mir gefallen auch die wechselnden Musiker, die hinter ihren aufgeklappten Koffern Folk oder Anti-Folk spielen; Mauerpark, manchmal liebe ich sogar deine Trommler, die da die halbe oder die ganze Nacht durchtrommeln und herrlich nerven, so ist sie halt die große Stadt.

Mauerpark, mir gefällt, dass dein Amphitheater, das jahrelang eher unbeachtet im Hang ruhte, seit 2009 Ort des mittlerweile weltberühmten Mauerpark-Karaoke ist. Tausende sitzen sonntags da, hören zu und schauen. Von der Wiese betrachtet sieht das aus als niste da eine gigantische Vogelkolonie auf einem Felsen, ein Berlin-Werbefilm könnte kein besseres Bild finden. Veranstalter Joe Hatchiban sollte vom Senat bezahlt werden.

Mir gefällt, dass der Mauerpark eine internationale Öffentlichkeit herstellt, von der Europa-Politiker träumen, hier trifft sich die Jugend der Welt, und, so sieht es aus, da bleibt eben ein wenig Müll zurück. Und ein paar angekokelte Einweg-Grills, ja, Grilldunst, kann Sonntag abends wie eine Nebelwolke über der Wiese liegen, obgleich Grillen im Mauerpark eigentlich verboten ist, aber Mauerpark, ach, ich liebe deine fetten Krähen, die von den Grillresten leben. Sie haben sich so schwergefressen , sie können kaum noch fliegen.

Ja, mir gefällt das Wimmelbild Mauerpark und wie hier Berlin gespielt wird, und es macht nichts, dass die meisten, die hier Berlin spielen, vielleicht gar nicht in Berlin wohnen, egal, hier sind auch sie Berlin. Mir gefällt das große Klettergerüst aus ganzen Baumstämmen, dessen Regenbogenfarben lange ausgeblichen waren, erst kürzlich wurde es wieder neu gestrichen, diesmal hoffentlich mit abriebfester Farbe. Und ich liebe das Birkenwäldchen, das sich bis zum Gleimtunneldach erstreckt, das kleine Stück Sibirien, in dem Mädchen auf Decken liegen und lesen oder sich bloß sonnen. Oder Kiffen. Oder in einer Hängematte zwischen zwei Bäumen schaukeln, Kindergeburtstage werden im Kifferwäldchen gern gefeiert, einer feiert immer, manchmal auch mit Soundsystem und Stromerzeuger.

Mir gefällt das eingezäunte Taubenhaus auf dem früheren Niemandsland, mir gefallen die beiden Pferde des Kinderbauernhofs, seine Ziegen und die Kaninchen. Und mir gefällt die hohe Kletterwand, die aussieht, als könnte sie gleich umfallen. Und ich mag den tollen Blick auf die nur den Stadtfüchsen und den S-Bahnen zugängliche Nordkreuzwildnis.

Und Mauerpark, mir gefällt, wie viele Menschen sich für deine Vollendung engagieren, denn eigentlich bist du ja noch immer nicht fertig, eigentlich hätte bis 2010 ein mindestens zehn Hektar großer Park entstehen müssen, das Land muss sonst eines Tages einen Millionen-Betrag erstatten. Und mir gefällt wie die neue Stiftung Welt-Bürger-Park für einen Mauerpark ohne Bebauung kämpft. Und ach, Mauerpark, mir würde es gefallen, wenn sich einer fände, der in einer Nacht mal einen der auf den Luxus-Loft-Baustellen der Umgebung herumstehenden Bagger kurzschließen und die seit Jahren überfällige Parkerweiterung in einer Nacht erledigen würde. Er müsste nur die Zäune, Lagerflächen und die Flohmarktwucherungen plattwalzen. Wäre das schön – denn ist es nicht eine politische Peinlichkeit, dass es 23 Jahre nach Mauerfall noch immer keinen Mauerpark-Zugang von der Weddinger Seite gibt?

Ach Mauerpark, ich liebe deine Wiese, die jetzt, im Spätsommer gar keine Wiese mehr ist, englischer Rasen sieht anders aus. Mauerpark, du bist eine kleine Steppe, ein Stück Berlin-Prärie, sieht aus als ob Büffelherden über dich hinweg getrampelt wären.

Ach Mauerpark, ich muss lachen, als ich lese, dass um deinen historischen Vorläufer, den alten Exerzierplatz, der sich ein Stück weiter östlich befand (dort wo heute das Stadion und die Nebenplätze liegen) bereits ähnlich gestritten wurde; Anwohner klagten über unerträgliche Zustände auf dem stark frequentierten Gelände, zu dem jedermann Zutritt hatte, sie forderten damals, so um 1900, den Bau einer Mauer.

David Wagner ist Schriftsteller und lebt in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Welche Farbe hat Berlin“ (Verbrecher Verlag).

David Wagner

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