Peter Wittkamps Kolumne „Ist doch wahr": "Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Pfandflaschen überall liegen zu lassen"
In Corona-Berlin bleiben die Touristen weg. Unser Kolumnist weiß, was zu tun ist: Der Welt vorspielen, dass hier noch der Bär steppt! Eine Handlungsanweisung.
Eine Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung“, dem Tagesspiegel für alle Menschen unterhalb von Nürnberg, hat mich schockiert! Minus 58 Prozent weniger Touristen in Berlin, lautetet die Meldung. In den ersten neun Monaten des Jahres kamen nur noch 4,4 Millionen Menschen nach Berlin. Da hatte ja jeder illegale Corona-Rave in einer Brandenburger Industrieruine mehr Besucher.
Gut, man könnte nun einwenden: Dem Tourismus ergeht es gerade wie Künstlern, Gastronomen, Donald Trump, Polizisten oder den Fledermäusen. Es ist nicht unbedingt ihr bestes Jahr. Wahrscheinlich werden alle großen Städte gerade unter Einbußen bei den Besuchern leiden. Sie wissen schon, diese olle Pandemie ist ja immer noch irgendwo da draußen.
Tatsächlich bestätigt der weitere Verlauf des Zeitungsartikels meinen Verdacht: Auch in München oder Hamburg bricht der Tourismus gerade wegen Corona massiv ein. Trotzdem finde ich, wir als Berliner sollten uns nicht wie diese anderen Städte einfach so unserem Schicksal ergeben und so lange abwarten, bis Bill Gates uns endlich alle geimpft hat.
Denn Touristen haben eine fast eben so geringe Aufmerksamkeitsspanne wie Attila Hildmann. Wenn die einmal hören, dass nach Berlin keiner mehr kommt, bleiben die für immer weg, weil sie denken, hier ist nichts mehr los. Eine Katastrophe. Berlin wäre dann nur noch arm und nicht mal mehr sexy. Doch ich habe mir eine Lösung ausgedacht!
Damit Berlin weiterhin für Touris attraktiv bleibt, müssen wir vorspielen, dass hier noch der Bär steppt
Damit Berlin weiterhin für Touris attraktiv bleibt, müssen wir alle vorspielen, dass hier noch der Bär steppt. Wir bauen böhmische Dörfer, nein, potemkinsche Dörfer – die beiden verwechsle ich immer. So wie bei „Good Bye, Lenin!“. Dafür brauche ich allerdings die Hilfe jedes einzelnen Bürgers. Zu diesem Zwecke habe ich Sie alle nach ihren Nachnamen sortiert und werde ihnen hiermit ihre Aufgaben zuteilen. Wir schaffen das!
Alle mit einem Nachnamen, der mit A bis D beginnt: Bitte stellen Sie sich vor dem Berghain in einer Reihe auf, trinken dort Wartegetränke und tun so, als wäre der Club ganz normal geöffnet.
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Nachnamen E bis H: Bitte besorgen Sie sich ebenfalls Getränke und laufen laut lärmend durch die Simon-Dach-Straße in Friedrichshain, von dort über die Warschauer Brücke Richtung Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer. Beenden Sie ihre Parade bitte dann in der Weserstraße in Neukölln. Schreien Sie ab und zu englische Begriffe in die Luft. Gerne auch auf Spanisch, Italienisch oder Französisch, sofern entsprechende Sprachkenntnisse vorhanden sind. Bitte vergessen Sie nicht, ihre Pfandflaschen überall liegen zu lassen.
Nachnamen I bis L: Bitte übernachten Sie drei bis vier Tage die Woche in einem der zur Zeit leerstehenden Billig-Hostels. Das ist zwar nur erlaubt, so lange es geschäftlich ist, aber geben sie am Empfang genau das an. Schließlich ist die Rettung der Stadt tatsächlich eine wirtschaftlich höchst bedeutende Aufgabe.
„One Döner with Swiebeln and scharf“
Nachnamen M bis O: Bitte bestellen Sie einen Döner. Allerdings müssen Sie dabei so tun, als wären Sie nicht von hier. Sagen sie am besten mit möglichst breitem amerikanischen Akzent „One Döner with Swiebeln and scharf“ und tun dabei so, als hätten sie im Lonely Planet gelesen, dass man in Berlin genau so die nahrhafte Teigtasche bestellt. Trinken Sie danach ein Weizenbier direkt aus der Flasche.
Nachnamen P bis S: Sie sind dafür zuständig, etwas ältere Touristen zu ersetzen. Begeben Sie sich bitte zum Kurfürstendamm und verzehren dort eine Currywurst. Lassen Sie sich danach von einem Hütchenspieler um 50 Euro betrügen und flanieren danach einmal mit einer KaDeWe-Tragetüte über die Shoppingmeile.
Nachnamen T bis Z: Sie müssen zwischen dem Brandenburger Tor, dem Funkturm, dem Checkpoint Charlie, den Mauerresten und der Museumsinsel pendeln. Bitte denken sie daran, sich alle drei Stunden von einem der verkleideten „Russen“ am Checkpoint fotografieren zu lassen. Wenn Ihnen das Gehen zu mühsam wird, benutzen Sie einen der gelben oder roten Touristenbusse. Gönnen Sie sich nach ihrer Schicht gerne ein Heißgetränk bei Starbucks.
Fühlen Sie sich gerne frei, ein wenig zu improvisieren!
Ich denke, wenn Sie alle motiviert mitarbeiten, müsste dieses Projekt ein voller Erfolg sein. Falls Sie mit ihren Aufgaben noch nicht ausgelastet sind, fühlen Sie sich gerne frei, ein wenig zu improvisieren. Laufen Sie einfach durch ihr Viertel, schauen irgendwas kurz an (Eckkneipe, Getränke Hoffmann, Hundekacke) und rufen dann laut: „This is so Berlin!“
Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat drei Jahre lang die mehrfach preisgekrönte Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und an schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.
Peter Wittkamp
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