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Bekannt im Kiez. Jens-Holger Kirchner (56) war schon in den 1980ern in Initiativen in Prenzlauer Berg aktiv. Er ist gelernter Tischler und Erzieher. Gleich nach der Wende wurde er in die Bezirksverordntenversammlung gewählt, 2006 übernahm er für die Grünen das Amt des Ordnungsstadtrats. Seit 2011 verantwortet er die Abteilung Stadtentwicklung.
© Ole Spata/dpa

Grüner Stadtrat über Stadtentwicklung in Berlin: „Direkte Demokratie ist nicht unbedingt schlau“

Berlin wächst, und ganz besonders Pankow: Im Interview spricht Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) über Lust und Frust an Veränderung in der Stadt.

Berlin wächst – und knirscht dabei. Der Kampf um den Platz wird härter, der Streit um Neubauprojekte schärfer. Die kürzlich vom Senat vorgelegte Bevölkerungsprognose sagt der Stadt bis 2030 ein Bevölkerungswachstum knapp acht Prozent voraus. Einsam an der Spitze liegt Pankow mit plus 16 Prozent. Da der Bezirk mit 375.000 Einwohnern schon jetzt der bevölkerungsreichste ist, wird sich der Boom dort besonders stark bemerkbar machen – und muss von einer Verwaltung gemanagt werden, die schon jetzt allzu oft an ihre Grenzen gerät. Ein Gespräch mit Jens-Holger Kirchner (Grüne) dem Pankower Stadtrat für Stadtentwicklung, über das, was kommen kann und kommen muss.

Herr Kirchner, 16 Prozent Zuwachs bedeuten für Pankow mindestens 60.000 Menschen bis 2030. Haben Sie eine Vorstellung, wie und wo die wohnen werden?
Ja, ziemlich genau sogar. Mich schreckt die Prognose nicht, zumal dieses starke Wachstum bei uns ja schon einige Zeit währt. Ich finde die Aussicht eher berauschend. Ich würde sagen: Es kribbelt. Wobei man aufpassen muss, dass man nicht die Maßstäbe verliert: Gegen das Bauvorhaben für 1700 Wohnungen in der Michelangelostraße scheint ein Projekt mit 100 Wohnungen plötzlich ziemlich mickrig.

Was macht Pankow so attraktiv?
Wir haben von allem alles und das ziemlich dicht beieinander. Selbst das hoch verdichtete Prenzlauer Berg ist ja irgendwie lauschig.

Wie viel Nachverdichtung ist in Prenzlauer Berg noch möglich?

Der Ausbau von Dachgeschossen ist behäbig und endlich, die Baulücken sind geschlossen. In den Altbaubeständen geht nicht mehr viel. Das gilt auch für Pankow-City. Jetzt kommen also die großen Projekte dazwischen und etwas weiter draußen dran: Güterbahnhof Greifswalder Straße, Michelangelostraße, Pankower Tor. Dazu etwa die 2700 Wohnungen an der Elisabeth-Aue und noch mehr zwischen Blankenburg und Malchow.

Gemessen an der Größe der Bauflächen scheint die Planung ganz schön luftig. Wird da Platz verschwendet, der in der wachsenden Stadt eigentlich besser genutzt werden müsste?

Überhaupt nicht. Vergleichen Sie das mal mit den riesigen Einfamilienhaussiedlungen in der äußeren Stadt und im Umland. Da ist der Flächenverbrauch viel größer, zumal wir künftig sicher etwas stärker in die Höhe bauen werden als bisher. Ich würde die Frage eher umdrehen: Welche Infrastruktur braucht man, damit die neuen Viertel keine Schlafstädte werden, sondern funktionierende Kieze?

Also welche?

Straßenbahn sowieso, möglichst auch eine U-, S-, oder Regionalbahn. Außerdem Bildungseinrichtungen, Geschäfte, idealerweise auch Arbeitsplätze, also Gewerbe. Ich hoffe sehr, dass der Senat das bei der Elisabeth-Aue mitdenkt. Zumindest die Straßenbahn wird ja zum Glück geplant. Als ich vorgeschlagen habe, dort auch eine Schwimmhalle zu bauen, haben mich alle angeschaut, als hätte ich ein unsittliches Angebot gemacht. Wegen einer Schwimmhalle! Im 21. Jahrhundert in einem der reichsten Länder der Welt!

Die Schulplätze reichen schon jetzt nicht mehr. Sollten Familien lieber woanders hinziehen?
Das nicht, aber mir wird angesichts der Berliner Abläufe insgesamt ein bisschen bange – acht Jahre mindestens dauert der Bau einer Schule. Langsam dringt immerhin durch, wie ernst die Lage ist. Jetzt müssten sich nur alle Beteiligten mal zusammentun für eine Neubau-Offensive auch für Schulen: Senat, Bezirke, Baugesellschaften, Fördermittelgeber. Dass das so lange dauert, dürfte noch eine Nachwirkung des Schocks der Wendezeit sein, als man von fünf Millionen Einwohnern ausgegangen ist, was völlig unrealistisch war. Da wurde nicht rechtzeitig erkannt, dass der Sozialismus – in beiden Hälften der Stadt, mit Ost- und mit Westgeld – vorbei war. 1996 habe ich, noch als Ausschussvorsitzender in Prenzlauer Berg, die erste Schule mit zugemacht, und vor zehn Jahren haben wir noch über Abriss leer stehender Wohnungen diskutiert.

Noch mal: Können Sie Eltern guten Gewissens raten, nach Pankow zu ziehen, obwohl Ihnen die Schulplätze ausgehen?

Klar, da bin ich Lokalpatriot, irgendwie geht das. Zum Glück haben wir ja die Grundstücke nicht verkauft wie andere Bezirke, und die Modulbauten sind viel besser als ihr Ruf. Mich treibt eher um, wie klein immer noch gedacht wird: Die Koalition ist stolz auf ihr Siwa-Sondervermögen. Aber hundert Millionen Euro reichen gerade mal für vier bis fünf Grundschulen. Allein in Pankow brauchen wir in Kürze über 15.

Als Bürger hat man zunehmend den Eindruck, in Berlin planen die Bezirke was, nehmen dabei sehr auf lokale Interessen Rücksicht – und dann nimmt sich der Senat der Sache an und entscheidet im Sinne der Investoren. Wurmt Sie das?

Sie meinen den Kreuzberger Weg: Alle sind dagegen, und am Ende gibt’s dann doch ein Hochhaus mit Mercedes-Stern auf dem Dach. Aber das wurmt mich nicht. Senat und Bezirke brauchen einander. Und genug zu tun haben wir allemal.

Kommen Sie noch mit der Arbeit nach?

Der Verschleiß in den letzten zehn Jahren war schon enorm. Das betrifft die ganze Stadt. Straßen und Schulen sind vergammelt, und in der Verwaltung habe ich zwar hoch kompetente Leute, die aber völlig überlastet und dadurch oft krank sind oder demnächst in den Ruhestand gehen. An dieser Schieflage – jahrelang keine Neueinstellungen – werden wir noch zu knabbern haben.

Die Bürger nehmen die Planung solange selbst in die Hand: Erst blockieren sie das Tempelhofer Feld und versuchen jetzt Neubauten am Thälmannpark zu verhindern.

Ja, dazu wurde ein Einwohnerantrag eingebracht: 1100 Unterschriften dagegen. Das ist auch das gute Recht der Leute. Aber dann hat sich deren Vertreterin im Bauausschuss der BVV echauffiert, wieso 15 Ausschussmitglieder das Votum von 1100 Bürgern überstimmen könnten. Da hat ihr der Ausschussvorsitzende kurz und geduldig die parlamentarische Demokratie erklärt, woraufhin sie erzürnt rief: „Demokratie abschaffen!“ Das war schon hart. Und was das Tempelhofer Feld betrifft: Würden zehn Prozent der Fläche mit 4000 Wohnungen bebaut, wäre ein erstklassig gelegener Stadtteil mit bester ÖPNV-Anbindung entstanden, und die Berliner hätten sich auch dran gewöhnt. Ich wette, das Thema wird bei den nächsten Koalitionsverhandlungen weit oben stehen. Am Ende entscheidet immer das gewählte Parlament über das Gemeinwohl. Aber viele Bürger haben das Gefühl: Ich entscheide!

Direkte Demokratie ist also überschätzt?

Zumindest ist sie nicht unbedingt schlau, weil sie oft gegen jede Veränderung zielt. Hätte es sie schon in der Anfangszeit Berlins gegeben, würden jetzt noch immer die Leute in ihren Hütten und Fachwerkhäusern im Urstromtal sitzen und sagen: Nee, wollen wir nicht! Der Wert einer nüchtern abwägenden Verwaltung und einer dem Gemeinwohl verpflichteten, demokratisch gewählten Volksvertretung sollte nicht unterschätzt werden.

Sie gelten als Parkplatzkiller. An der Michelangelostraße sollen Stellplätze mit Wohnungen bebaut werden.

Das Viertel wurde Ende der 1970er mit einem Schlüssel von 0,9 Stellplätzen je Wohnung geplant. Wenn wir jetzt 0,4 ansetzen, ist das in der Innenstadt schon viel. Ich frage meine Planer gern: Gibt es eine staatliche Verpflichtung, für jeden einen Stellplatz zu schaffen? Nein. In der Bauordnung steht aber, dass pro Wohnung zwei Fahrradplätze zu schaffen sind. Die Entwicklung wird und muss weiter in diese Richtung gehen. Wer Auto fährt in Berlin, hat offenbar zu viel Zeit.

In überfüllten Bussen im Stau zu stehen, ist auch nicht sehr attraktiv.

Das stimmt, aber da bewegt sich was. Die BVG verdichtet ihre Takte und kauft größere Fahrzeuge. Wir brauchen aber mehr bauliche Barrieren für die ÖPNV-Spuren, wie sie in anderen Ländern üblich sind. Im Forum Nahverkehr hat die BVG sehr deutlich gemacht, dass sie an ihre Grenzen kommt, wenn die Busse ständig im Stau stehen. Die Busspuren in ihrer jetzigen Form sind ja voll mit Fahrzeugen, die da nicht hingehören, vor allem Lieferwagen. Das gilt auch für die ewig zugeparkten Fahrradspuren. Wirklich nervig.

Das von Ihnen vorangetriebene Eco-Mobility-Festival am Helmholtzplatz im vergangenen Jahr hat Ihr SPD-Bürgermeister kassiert, bevor es zustande kam. War’s das mit innovativer Mobilität?
Nein das Thema ist in der Stadt präsenter denn je. Bloß weil man mal hinfällt, lernt man doch trotzdem laufen. Eine Fuß- und eine Radverkehrsstrategie haben wir ja in Berlin, auch wenn die Umsetzung zäh ist. Und 2017 oder 2018 könnte doch durchaus ein Jahr der nachhaltigen Mobilität werden. Da wären wir dabei, da werden Sie ganz bestimmt von uns hören.

Das Gespräch führten Stefan Jacobs und Thomas Loy.

Zur Person

Jens-Holger Kirchner (56) war schon in den 1980ern in Initiativen in Prenzlauer Berg aktiv. Er ist gelernter Tischler und Erzieher. Gleich nach der Wende wurde er in die Bezirksverordntenversammlung gewählt, 2006 übernahm er für die Grünen das Amt des Ordnungsstadtrats. Seit 2011 verantwortet er die Abteilung Stadtentwicklung.

Wachsendes Pankow - Große Projekte

Elisabeth-Aue

Auf der bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche zwischen Blankenfelder Chaussee und Buchholzer / Blankenfelder Straße sollen mehrere tausend Wohnungen entstehen. Die Planung hat der Senat übernommen – und zugesagt, das neue Viertel per Tram zu erschließen. Im Bezirk gibt es Protest.

Michelangelostraße

Das luftige Plattenbaugebiet an der Grenze Prenzlauer Berg-Weißensee soll verdichtet werden. Pläne dafür gibt es seit DDR-Zeiten. Jetzt wollen Anwohner vor allem verhindern, dass für neue Wohnungen Parkplätze wegfallen.

Pankower Tor

Seit Jahren will Möbel-Unternehmer Kurt Krieger zwischen Granitzstraße und Bahntrasse ein neues Stadtviertel bauen – inklusive Einkaufszentrum.

Thälmannpark

Der Güterbahnhof Greifswalder Straße soll ebenfalls zum Wohngebiet werden.

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