Auch Corona-Forschung betroffen: Berlins Bürgermeister Müller setzt sich im Streit um Tierversuche durch
Justizsenator Behrendt (Grüne) wollte in der zuständigen Kommission die Tierschützer stärken - Wissenschaftler befürchteten eine Forschungsblockade. Es kommt anders.
Im Streit um die Tierversuche in der Medizinforschung hat sich Michael Müller (SPD) im Senat durchgesetzt. Die rot-rot-grüne Landesregierung votierte am Dienstag für die Vorlage des Regierenden Bürgermeisters, der auch Wissenschaftssenator ist. Nun dürfte die vor Laborexperimenten mit Tieren anzuhörende Kommission wieder von Wissenschaftlern dominiert werden.
Der für die Tierversuchskommission zuständige Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte zuvor viel Ärger auf sich gezogen, weil er die Zusammensetzung des Gremiums ändern wollte.
Müller intervenierte, der Senat folgte seinem Vorschlag: Nun sollen zwei geplante Kommissionen jeweils mit vier Forschern und vier Tierschützern besetzt werden. Dazu wird je ein Wissenschaftler zum Vorsitzenden ernannt, der doppeltes Stimmrecht haben soll - ergo hätten im Streitfall die Forscher und nicht die Tierschützer die Mehrheit.
"Das ist eine sehr gute Regelung, um den Tierschutz deutlich aufzuwerten und im Sinne der Wissenschaft auch Versuchsreihen zuzulassen", sagte Müller. Und auch Senator Behrendt teilte diplomatisch mit: "Waren es bislang nur zwei, so sind es jetzt vier pro Kommission. Damit stärken wir den Tierschutz in Berlin deutlich und ermöglichen zugleich wichtige Forschungsarbeit."
Grünen-Politiker Behrendt hatte vergangene Woche noch Folgendes vorbereitet: Den zwei neuen Gremien sollten je ein Ethiker, ein Biostatistiker, zwei Wissenschaftler, aber vier Tierschützer angehören. Senatschef Müller nannte Behrendts Ankündigung im Plenum des Abgeordnetenhauses dann lediglich einen "Zwischenstand", es brauche "eine neue Verabredung, die zu treffen ist, für die Zukunft".
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Davor hatten sich Müllers Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) und Senator Behrendt öffentlich gestritten. Krach war wütend, weil sich Behrendt von den Brandbriefen aus der Forschung unbeeindruckt zeigte.
20 Forschungsanträge sind liegen geblieben - auch zu Covid-19
Wie berichtet hatten sich die Spitzen namhafter Wissenschaftseinrichtungen, darunter das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Charité, dann die Vorstände großer Pharmafirmen, etwa Bayer und Pfizer, an den Senat gewandt. In den Brandbriefen wurde indirekt davor gewarnt, Behrendts Politik könnte die Medizinforschung in Berlin gefährden: Obwohl man Tierversuche zu vermeiden versuche, seien sie in der Medizinforschung nach wie vor nötig.
Ob die erste der zwei Kommissionen nun wie einst von Behrendt angekündigt am 26. November starten kann, ist allerdings fraglich. Bislang warten 20 Forschungsvorhaben auf Genehmigung, darunter ein Covid-19-Projekt. Mediziner aus Charité und RKI sagten am Dienstag, sie seien angesichts dieser Wende dennoch erleichtert.
Hannes Heine