Autos sollen weitgehend verschwinden: Berliner Grüne wollen Null-Emissionszone in der Innenstadt
Vor dem Parteitag am Samstag fordern Berlins Grüne verstärkte Klimaschutzmaßnahmen in den Bezirken. Die Grüne Jugend will Autos ganz verbannen.
Geht es nach der Grünen Jugend, würde in der Hauptstadt der motorisierte Individualverkehr bis 2030 komplett aus der Stadt verschwinden. Und schon bis 2025 soll die Innenstadt zu einer Null-Emissionszone umgestaltet sein, in der „kein Auto in Individualbesitz“ mehr fahren darf. So steht es in zwei Anträgen, die auf dem Parteitag der Grünen am Sonnabend abgestimmt werden.
Die Partei will generell „radikal“ beim Klimaschutz handeln und hat in einem Leitantrag Maßnahmen aufgelistet wie die Prüfung einer City-Maut, eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung, autofreie Kieze, höhere Preise für das Anwohnerparken und die Umgestaltung der Innenstadt bis 2030 zu einer Null-Emissions-Zone.
Dass die beiden Klima-Anträge der Grünen Jugend, die in Berlin 500 Mitglieder hat, tatsächlich eine Mehrheit der Delegierten erhalten, ist unwahrscheinlich. Die Sprecherin des Landesverbands, Maya Richter, sagte dem Tagesspiegel, die Grüne Jugend stelle „härtere Forderungen“ auf als die Partei, weil es ihr auch um eine Systemkritik gehe.
„Wir wollen das Straßenland für die Allgemeinheit zurückgewinnen. Es ist nicht nur eine Frage von Abgasen.“ Damit nimmt die Grüne Jugend in Kauf, dass unter einem Totalverbot des motorisierten Individualverkehrs auch E-Autos oder wasserstoffbetriebene Fahrzeuge fallen würden.
[In fünf Kiezen in der City West sollen Autofahrer künftig abends länger Parkgebühren zahlen. Cay Dobberke berichtet im Charlottenburg-Wilmersdorf-Newsletter am Freitag. Hier geht's zum kostenlosen Abo: leute.tagesspiegel.de]
Parteichef Werner Graf hingegen sagt, er halte den Vorschlag der Grünen Jugend schon aufgrund der kurzen Übergangsfristen für unrealistisch. „Bis 2030 komplett ohne Individualverkehr zu sein, ist nicht das erstrebenswerte Ziel für uns.“ Im Antrag des Landesvorstands wird jedoch dafür plädiert, motorisierten Individualverkehr „auf ein Minimum zu reduzieren“, um Berlin lebenswerter und den Verkehr sicherer zu machen, den öffentlichen Raum fairer zu verteilen - und die „Klimakatastrophe noch abzuwenden“.
SPD lehnte 2017 eine City-Maut kategorisch ab
Die Debatte um die City-Maut führen die Grünen schon jahrelang. Schon 2006 gab es einen Antrag. Im April diesen Jahres hatte die Grüne Verkehrssenatorin Regine Günther gesagt, dass man so eine Abgabe für Autofahrer „über kurz oder lang“ diskutieren müsse. Kurz zuvor hatte sie mit dem Satz „Wir möchten, dass die Menschen ihr Auto abschaffen“ für heftige Reaktionen gesorgt.
Beim Koalitionspartner SPD scheint die Idee für deutlich weniger Diskussion zu sorgen: der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und SPD-Fraktionschef Raed Saleh legten bereits vor zwei Jahren ein Papier vor, dass die Einführung einer City-Maut kategorisch ausschloss.
Klima soll „aus den Bezirken heraus“ gerettet werden
Die Grünen setzen sich auch für eine Pflicht zu Fassadenbegrünung bei Gebäuden ab acht Stockwerken ein. „Das wären etwa 20 Prozent der Nettofassadenfläche“, rechnete Graf vor. Durch den Abbau bürokratischer Hürden soll außerdem die Ausstattung öffentlicher Gebäude mit Solaranlagen beschleunigt werden- soll künftig jede politische Entscheidung auf ihre Folgen für das Klima überprüft werden.
Nach den Worten Grafs muss das Klima zudem verstärkt „aus den Bezirken heraus“ gerettet werden. So fordert die Parteisitze einen Klimamanager pro Bezirk, mehr Bäume, eine bessere Pflege von Grünanlagen, die Umstellung der Fuhrparks auf Elektro-Mobilität oder Wasserstoff und neue Anreize für energetische Gebäudesanierung oder die Beschaffung ökologischer Produkte. Dazu sei es nötig, Regeln in den Haushalten der Bezirke zur sogenannten Kosten-Leistungs-Rechnung zu ändern.
„Besonders die Städte stehen in der Verantwortung, die Klimakrise nachhaltig zu bekämpfen“, sagte Graf zu dem anstehenden Parteitagsbeschluss. Rot-Rot-Grün habe hier bereits Weichen gestellt, etwa mit dem gesetzlich verankerten Kohleausstieg. „Jetzt wollen wir eine Schippe drauflegen“, so Graf. „Wer heute vernünftig ist, weiß, dass wir radikal handeln müssen, um unsere Lebensgrundlage noch zu retten.“
Zur IAA-Bewerbung herrscht Uneinigkeit
Um seltene Pflanzen und Tiere zu schützen und die „Biodiversität in unseren Biotopen“ zu erhöhen, fordert die Partei zudem, dass mehr „Fischwandertreppen an Schleusen, Renaturierung der Bäche und Flüsse, Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten an den Kanälen und sichere Querungsmöglichkeiten an Autobahnen, Straßen und Brückenneubauten“ errichtet werden.
Ein Konfliktpunkt unter den Grünen bleibt jedoch Berlins Bewerbung um die Ausrichtung der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA). Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) begrüßte die Bewerbung. Eine moderne IAA, „die die neuen Mobilitätserfordernisse von Sauberkeit, Freiheit von fossilen Brennstoffen und Digitalisierung in den Vordergrund stellt, wäre ein Gewinn für Berlin und für die Autoindustrie“, sagte Pop vor kurzem.
Kreuzberger Grüne bringen einen Antrag ein, wonach Berlin als IAA-Standort abgelehnt werde. Bis Sonnabend laufen Gespräche, ob dieser Antrag in abgeschwächter Form oder mit der radikalen Ablehnung abgestimmt wird.