Autofahrer sollen BVG-Ticket kaufen: Verkehrssenatorin Günther erwägt neue City-Maut-Variante
Müssen Berliner bald vor dem Autofahren erst ein BVG-Ticket kaufen? Regine Günther äußert Sympathien für eine City-Maut – aber nicht nach dem bislang üblichen Modell.
Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) findet, dass urbanes Leben und Autofahren nicht mehr gut zusammen passen. In der Berliner Innenstadt sollten deutlich weniger Autos unterwegs sein, damit mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer bleibt, aber auch fürs Wohnen, Arbeiten und Erholen. Jetzt hat Günther Sympathien für eine City-Maut geäußert, aber nicht nach dem Londoner Modell, wo einfach Geld kassiert wird.
Die Senatorin präferiert eine Variante, die in Stuttgart schon länger in der Diskussion ist: Autofahrer, die in die Innenstadt fahren wollen, müssen ein Nahverkehrsticket kaufen. „Über solche Anreize zum Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr sollten wir stärker nachdenken und die Umsetzbarkeit prüfen“, sagte Günther dem Tagesspiegel. Zuerst hatte Günther das bei einer Veranstaltung der Berliner Morgenpost gesagt. Thema könne eine solche Ticket-Maut aber erst in der nächsten Legislaturperiode werden. Eine Arbeitsgruppe dazu gebe es bislang nicht.
CDU und ADAC kritisieren die Idee
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) denkt über eine Nahverkehrsabgabe nach und hat eine Studie in Auftrag gegeben, um verschiedene Modelle zu prüfen. Konkret einführen müssten das dann die Städte. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, ebenfalls von den Grünen, wäre dazu grundsätzlich bereit. Kritik kommt, wie nicht anders zu erwarten ist, von der CDU und dem ADAC. Auch in Berlin äußert sich der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Oliver Friederici, ablehnend: „Anti-Auto-Senatorin Günther will Autofahrer nur noch mit BVG-Ticket in die Innenstadt fahren lassen oder von ihnen eine Mautgebühr kassieren. Diese Form der Zwangsbeglückung lehnen wir ab.“
Die CDU dringt stattdessen darauf, bestehende S- und U-Bahnstrecken zu verlängern und Taktzeiten zu verbessern. „Das ist rechtlich nicht haltbar und wird die erste Bürgerklage nicht überstehen“, erklärte Frank Scholtysek, Verkehrsexperte der AfD. Auch die Liberalen finden die Idee schlecht. „Statt einer unüberlegten City-Maut brauchen wir ein besseres Verkehrsangebot außerhalb der Innenstadt durch einen Ausbau des Schienenverkehrs und eine bessere Anbindung der Fläche in Brandenburg an den ÖPNV.“ Konkret fordert die FDP mehr Park & Ride-Plätze und Rufbusse.
Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, der die Tarifstruktur im Nahverkehr verantwortet, kommentierte Günthers Vorstoß zurückhaltend. „Grundsätzlich ist alles, was zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs beiträgt, positiv zu bewerten“, sagte eine Sprecherin.
Steigende Kosten für Berliner Nahverkehr
Die Verkehrssenatorin hat auch die steigenden Kosten für den Nahverkehr im Blick, wenn sie sich um eine City Maut Gedanken macht. Laut aktuellem Nahverkehrsplan will Berlin im Zeitraum von 2020 bis 2035 rund 28 Milliarden Euro für den Ausbau des Streckennetzes und den Kauf neuer Fahrzeuge ausgeben. Das neue kostenlose Schülerticket schlägt allein mit drei Milliarden Euro zu Buche. Der Senat subventioniert den Nahverkehr jedes Jahr mit 1,1 Milliarden Euro aus Steuermitteln, dieser Zuschuss müsste zeitweise auf bis zu zwei Milliarden Euro ansteigen, wenn nicht alternative Einnahmequellen aufgetan werden.
Im jüngst vom Senat beschlossenen Nahverkehrsplan wird auch ein Bürgerticket als eine Option zur Finanzierung des ÖPNV genannt. Dabei müssten alle Berliner eine Art Jahresticket erwerben, auch wenn sie Busse und Bahnen gar nicht benutzen. Das wäre dann vergleichbar mit den Rundfunkgebühren. Die CDU prangerte das als „sozialistische Umverteilung“ an. Skeptisch äußerte sich auch die BVG, die den Ansturm der Fahrgäste schon jetzt kaum noch bewältigen kann. Offenbar schreckt nun auch Günther davor zurück, allen Berlinern eine solche Abgabe zuzumuten. Schließlich müssten auch Ganzjahres-Radler zahlen, ureigenes Klientel der Grünen.
Positive Beispiele auf internationaler Ebene
Bisher gibt es noch keine Stadt in Deutschland, die eine City-Maut einführen will. Das liegt auch an der unklaren Gesetzeslage. Der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hat sich für Pilotprojekte zur Einführung einer City-Maut ausgesprochen. Positive Beispiele auf internationaler Ebene gebe es genug. Singapur, Kalifornien, London, Tokio und Stockholm hätten bereits verschiedene Preismodelle ausprobiert. Auch New York plane eine solche Maut.
Bei Umfragen spricht sich zwar in der Regel eine Mehrheit gegen eine City-Maut aus, aber „Erfahrungen zeigen, dass die Zustimmung in der Bevölkerung ansteigt, wenn die positiven Auswirkungen einer dynamischen Bepreisung sichtbar und spürbar werden“, erklärte der Beirat unter Vorsitz des Schweizer Ökonomen Hans Gersbach. Mit einer Maut könnten die „wachsenden Verkehrs- und Umweltprobleme effektiv und effizient“ bekämpft werden.
Und wie geht das in der Praxis? In Stockholm werden Kfz-Kennzeichen gescannt und dann Rechnungen zugeschickt, in London zahlt man online oder per App im Voraus. Wie eine Maut mit dem Kauf eines VBB-Tickets praktikabel kombiniert werden könnte, dafür gibt es noch keine Beispiele.