Warten auf Berliner City-Maut: Verkehrspolitik wie in Hanoi
Immer mehr und größere Autos bewegen sich im gleichen Raum auf gleich großen Straßen. Die Folge: Verlangsamung. Berlin braucht die City-Maut. Eine Kolumne.
Oha, die Verkehrssenatorin will wieder etwas in Bewegung bringen. „Über kurz oder lang“ werde man in Berlin über eine City-Maut sprechen müssen, sagt die Grünen-Politikerin Regine Günther jüngst in einem Interview. Keine Sorg. Die Betonung dürfte, wie stets bei Günther, auf „lang“ liegen. Die Senatorin hatte es bei keinem ihrer Projekte je eilig, bei der Verwirklichung der Fahrradstadt Berlin so wenig wie in allen Auseinandersetzungen um Diesel-Fahrverbote wegen massiver Luftverpestung. „Längerfristig“, sagte Günther Anfang 2017, müssten dreckige Diesel heraus aus der Stadt. Zu einschlägigen Maßnahmen ließ sie sich dann im vergangenen Jahr von den Verwaltungsgerichten triezen.
Luftreinhaltungspolitik macht in Berlin nicht die Verkehrs- und außerdem auch Umweltsenatorin, sondern die Deutsche Umwelthilfe mit ihren Klagen vor den Verwaltungsgerichten. Sei es drum. Vielleicht geht es Regine Günther vor allem darum, mit aller Macht gegen das Image der Grünen als „Verbotspartei“ vorzugehen. Wenn sie nun also laut über eine City-Maut nachdenkt, kann man seinen SUV, den Lieblingsoldtimer, das Pedelec und den gerade angeschafften Elektro-Roller darauf verwetten, dass erst die Enkel zusätzlich dafür bezahlen müssen, mit dem eigenen Kraftfahrzeug in der Innenstadt herumzufahren.
Warum? Na klar doch: die Leute wollen keine Maut. 57 Prozent der Deutschen lehnen diese Abgabe ab, war im Mai auf Spiegel Online zu lesen. Da gilt dann in Anlehnung an die Debatte über das Tempolimit auf Autobahnen: freier Stau für freie Bürger.
Dabei müssten die, die sich jeden Tag mit Durchschnittstempo 10 oder 15 durch den Berufsverkehr quälen, nur mal die Lage analysieren: Immer mehr und immer größere Autos bewegen sich im immer gleichen Raum auf immer gleich großen Straßen. Die Folge: Verlangsamung. Wer nicht erst seit 2018 - mit welchem Verkehrsmittel auch immer - in Berlin unterwegs ist, wird die Lageanalyse bestätigen, auch wenn er selbst ein Teil des Problems ist.
Weniger Autos, weniger Unfälle, weniger schlechte Luft
Was mit einer City-Maut sicher besser würde, liegt auf der Hand: Der knappe Raum würde weniger intensiv genutzt und wäre besser befahrbar. Das bestätigen Untersuchungen aus den Städten, in denen es eine Maut schon lange gibt: weniger Autos, weniger Unfälle, weniger schlechte Luft.
Bitter für die Verkehrssenatorin, dass Berlin mit einer City-Maut mal nicht „Vorreiter“ wäre, wie etwa bei den grün angestrichenen Radwegen. Dem Internet-Nachschlagewerk Wikipedia zufolge haben die Verkehrsfachleute in allein 14 europäischen Städten bereits Erfahrungen mit verschiedenen Formen der City-Maut gemacht. Berlin, das in der Wahrnehmung des amtierenden Senats den Inbegriff politischer Modernität darstellt, steht in Wirklichkeit eher auf einer Stufe mit Hanoi; auch dort wird die Einführung einer City-Maut einstweilen unverbindlich vorgeschlagen.
Mauthöhe von CO2 abhängig machen
In einer ersten Grübelei kann man durchaus verstehen, dass genervte Berliner Autofahrer eine Zusatzbelastung ablehnen. Autofahren ist teuer und nervig genug, Parkkosten kommen dazu. Extra-Kosten belasten die, die auf das Auto angewiesen sind, weil der ÖPNV nicht bei ihnen ankommt oder zu lange braucht - während die mit den riesigen SUV’s die Maut locker abdrücken und anschließend wieder unbehelligt Radwege zuparken. So stellt man sich das vor.
Eine moderne Maut hingegen wäre eine fein ausdifferenzierte Sache. Man könnte unterscheiden: Ein Auto mit vier Insassen würde im Berufsverkehr auf dem Weg in die Innenstadt geringer belastet als eines mit nur einer Person darin. Außerdem würde die Mauthöhe abhängen vom Kohlendioxyd-Ausstoss des Auto - und womöglich von der Uhrzeit: zwischen acht und zehn wäre die Maut höher als um zwei Uhr nachts. Und selbstverständlich könnten Handwerker und Gewerbetreibende, Paketzusteller und wer sonst noch beruflich unterwegs ist, von den Mautkosten ausgenommen werden.
„Könnten“ ausgenommen werden. Doch wir sind in Berlin, wo nicht mal etwas so Schlichtes wie die Verkehrsleit-Anlage auf der Heerstraße verlässlich funktioniert. Das täglich zweimalige Umschalten von insgesamt fünf Fahrstreifen-Benutzungs-Symbolen - eine technisch auf Dauer nicht machbare Herausforderung. Mit einer differenzierten Maut, die den Stadtverkehr entschlackt und - theoretisch - mit ihren Gewinnen den Nahverkehr besser machen könnte, wäre es vermutlich ähnlich: theoretisch eine gute Sache, praktisch in anderen europäischen Städten schon verwirklicht, in Berlin aber kaum zu machen. Wegen Personalmangels in den Bezirksverwaltungen und Abstimmungsproblemen auf der Senatsebene. Es sei denn, man machte ein Vorreiter-Projekt gemeinsam mit Hanoi daraus.
Werner van Bebber
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