12,50 Euro pro Stunde: Berlin beim Mindestlohn künftig deutschlandweit spitze
Wer öffentliche Aufträge haben will, muss seinem Personal bald 12,50 Euro pro Stunde zahlen. Auch der Landesmindestlohn steigt. Findet Berlin so noch Firmen?
Wer ab dem kommenden Jahr für das Land Berlin Kitas oder Schulen baut, Mittagessen für Schülerinnen und Schüler kocht oder neue Radwege plant, muss seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diese Tätigkeiten mindestens 12,50 Euro pro Stunde zahlen. Der Senat verabschiedete am Dienstag seine Novelle des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes, die diese Erhöhung vorsieht.
Damit gibt Berlin, sofern das Abgeordnetenhaus zustimmt, das höchste vergabespezifische Mindestentgelt deutschlandweit vor. Vorher lag der Mindestlohn bei öffentlichen Vergaben in Berlin bei neun Euro.
Das neue Vergabegesetz sei ein "ausgewogenes Paket aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Kriterien", sagte Ramona Pop (Grüne), Senatorin für Wirtschaft, bei der Senats-Pressekonferenz. Das ist das eine Ziel der Gesetzesnovelle: Nicht allein der Preis solle künftig entscheiden, welches Unternehmen vom Land den Zuschlag erhält.
"Das billigste Angebot ist nicht immer das wirtschaftlichste", betonte Pop. Stattdessen macht der Gesetzentwurf auch klare Vorgaben für die Einhaltung zwingend zu berücksichtigender sozialer und ökologischer Kriterien. Darunter fällt, dass ein Unternehmen aktiv Frauenförderung betreibt oder ökologisch nachhaltig arbeitet.
Solche vergabefremden Vorgaben stoßen auf Kritik aus der Wirtschaft: Zwar seien die einzelnen Ziele politisch durchaus unterstützenswert, heißt es zum Beispiel aus der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), doch in Zeiten guter Konjunktur, in denen Firmen weniger auf öffentliche Aufträge angewiesen sind, erschwerten sie dem Land lediglich die Suche geeigneter Auftragnehmer.
Im März dieses Jahres hatte die im ersten Anlauf gescheiterte Vergabe zum Bau von 27 Kitas mit insgesamt 3300 Plätzen für Schlagzeilen gesorgt.
Eigentlich soll das neue Vergabegesetz den Unternehmen die Bürokratie bei der Abgabe eines Angebots erleichtern, lautet das zweite Ziel der Gesetzesnovelle. Dafür gibt es jetzt einheitliche Wertgrenzen: Für die Vergabe von Liefer-und Dienstleistungen liegt diese bei 10.000 Euro, für Bauleistungen bei 50.000 Euro.
Für Aufträge, die unter dieser Grenze liegen, gelten die Kriterien wie der Mindestlohn nicht. Allerdings, so die Vermutung des Senats, liegen 95 Prozent des Auftragsvolumens von rund fünf Milliarden Euro über dieser Schwelle.
Eine Kontrollgruppe soll die Einhaltung der Vorgaben kontrollieren
Damit die neuen Regelungen auch eingehalten werden, soll eine zentrale Kontrollgruppe in Zukunft auch eigenständig tätig werden können, etwa nach Hinweisen von sogenannten Whistleblowern.
Berlin war eins der ersten Bundesländer, das die Vergabe öffentlicher Aufträge an Bedingungen geknüpft hat. 2010 wurde unter Klaus Wowereit (SPD) ein entsprechendes Gesetz erlassen. Schon damals kam Kritik aus der Wirtschaft, die fürchtete, dass die strengeren Kriterien gerade für kleinere Unternehmen einen zu hohen bürokratischen Aufwand bedeuteten.
Dieser Sorge soll das novellierte Gesetz begegnen, indem die Berücksichtigung der Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen im Vergabeprozess erstmals im Landesrecht fixiert wird.
Kritik aus der Wirtschaft gibt es dennoch: „Der Senat greift mit dem höheren Mindestlohn im Ergebnis in bestehende Tarifverträge ein und schwächt die Tarifautonomie“, sagt Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB).
Im Garten- und Landschaftsbau, in der Gebäudereinigung, im Baugewerbe, im Maler- und Lackiererhandwerk und in vielen anderen Branchen würde sich damit die Arbeit von An- und Ungelernten deutlich verteuern. Zweifelhaft sei zudem, ob es für kleine und mittlere Unternehmen nun attraktiver werde, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen.
"Sollte das nicht gelingen, würde das neue Vergabe-Gesetz das erklärte Ziel des Senats, eine wirtschaftsfreundliche und unbürokratische Regelung auf den Weg zu bringen, verfehlen", sagt Amsinck.
Allgemeiner Mindestlohn 3,15 Euro unter Berliner Mindestlohn
Auch der Landesmindestlohn wird von neun auf 12,50 Euro erhöht. "Die wirtschaftliche Situation in Berlin hat sich seit der letzten Anhebung weiter positiv entwickelt", erklärte Elke Breitenbach (Linke), Senatorin für Arbeit. Davon müssten auch die Menschen profitieren, die im Einflussbereich des Landes tätig seien, aber nur niedrige Einkommen beziehen.
Der Landesmindestlohn gilt für Jobs im Landesdienst, in Landesunternehmen und bei Zuwendungsempfängern wie sozialen Projekten. Breitenbach rechnet mit Mehrkosten von rund 17 Millionen aus der Landeskasse.
Zum Vergleich: Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn, den der Bund festsetzt, steigt 2020 von 9,19 auf 9,35 Euro pro Stunde.