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Neue Häuser braucht Berlin. Wie mehr Wohnungsneubau möglich wird, ist jedoch umstritten.
© Kitty Kleist-Heinrich

Kampf gegen Wohnungsnot: Berlin baut an einer neuen Mauer

Der Senat vertieft den Graben zwischen denen, die eine Wohnung haben, und jenen, die eine suchen. So wird die Zukunft der Stadt verspielt. Ein Gastbeitrag.

Eine neue Mauer entsteht in Berlin, seit gut zwei Jahren, von der Öffentlichkeit unbemerkt. Sie steht bereits, aber nur bis zur halben Höhe. Davor wurde ein tiefer Graben ausgehoben. Und das ausgerechnet in der Stadt, die in diesem Jahr den 30. Jahrestag des Mauerfalls feiert.

Sie finden diese Mauer in keinem Lageplan, sie ist nicht sichtbar. Aber die Mauer führt quer durch die Gesellschaft. Sie steht zwischen denen, die in einer Wohnung leben, und denen, die eine Wohnung suchen. Die Mauer wächst zwischen Unternehmen, die auskömmliche Flächen haben, und Unternehmen, die händeringend Flächen suchen, weil sie sich in Berlin ansiedeln oder ihre Firma erweitern wollen.

Tief ist deshalb auch der Graben zwischen den hier Wohnenden und denen, die neu in die Stadt kommen und bleiben wollen. Gebaut hat das Bollwerk der Berliner Senat und die politisch Verantwortlichen in den Bezirken. Wie tief der Graben ist, lässt sich bei der Ausübung von Vorkaufsrechten ermessen.

Wie füllt der Senat den selbst gesetzten Anspruch mit Leben?

Da ist von der „Rettung“ von Wohnungen die Rede, nur weil 1200 von 1,6 Millionen Mietwohnungen der Stadt vom Land erworben wurden. Der Koalitionsvertrag von 2016 trägt die Überschrift: „Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen.“ Wie füllt der Senat den selbst gesetzten Anspruch mit Leben?

Solidarisch bedeutet laut Duden: „gemeinsam verantwortlich, gegenseitig verpflichtet“ zu sein. Dasselbe steht sinngemäß im Amtseid des Regierenden Bürgermeisters und des Senats: Sie sollen das „Amt gerecht und unparteiisch“ führen.

Dem Anspruch genügt der Senat nicht. Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen finden kaum eine Wohnung. Sie werden ausgegrenzt. Das ist nicht gerecht. Das ist nicht unparteiisch. Bauland für zigtausend Wohnungen strichen Rot-Rot-Grün bereits im Koalitionsvertrag von der Landkarte. Lücken in der Stadt mit Platz für Hunderte Wohnungen bleiben aus Angst vor Protesten leer.

Man mauert sich ein, geschützt von einem Graben

Kein Politiker bekennt sich zu den Folgen der Wohnungsnot: Dass aus Solidarität mit den Wohnungssuchenden Veränderungen notwendig sind. Es wird so getan, als könne alles bleiben, wie es ist.

Neun Jahre dauert es im Durchschnitt, bis ein Bebauungsplan erstellt ist. Im vergangenen Jahr wurden halb so viele Bebauungspläne erstellt wie zwei Jahre zuvor. Stattdessen wird ein Mietendeckel diskutiert. Damit schützt man jene, die bereits ein Dach über dem Kopf haben. Man mauert sich ein, geschützt von einem Graben. Das ist unverantwortlich.

Wenn die Lobbyisten jaulen, dann ist der Senat auf dem richtigen Weg. [...] In existentiellen Bereichen wie dem Wohnen muss der Staat bei Bedarf eingreifen, dieser Bedarf ist in Berlin klar erkennbar.

schreibt NutzerIn p.h.

Nachhaltig, das bedeutet laut Duden, dass sich eine Tat „auf längere Zeit stark auswirkt“. Die Versäumnisse in der Stadtplanung wirken sich nachhaltig aus: Weil der Senat kein Bauland ausweist, sinkt die Zahl der neu gebauten Wohnungen nachhaltig. Die Weigerung, kommunale Grundstücke für alle Bauwilligen bereitzustellen, schließt diejenigen aus, die derzeit mehr als 70 Prozent der neuen Wohnungen schaffen: die privaten Unternehmen. Es sind mittelständische Baufirmen, die gerne für Berliner mit mittleren Einkommen bauen möchten. Damit das nachhaltig klappt, ist eine zweite Förderung neben der sozialen nötig. Aber auch dafür sieht der Senat keinen Raum.

Die Stadt sendet ein Signal: Bleibt weg!

Raubbau betreibt der Senat auch an dem Wohnungsbestand. Die Verschärfung der Mietpreisbremse und die Kürzung der Modernisierungsumlage geht langfristig auf Kosten der Gebäudequalität. Unter diesen Rahmenbedingungen investiert kaum noch jemand in seine Bestände. Das ist aus früheren Feldversuchen bekannt, mit denen die Mieten künstlich niedrig bleiben sollten. Schon damals wurde nicht mehr in die Bestände investiert. Dieser Feldversuch ist am 9. November 1989 krachend gescheitert.

Weltoffen, das ist laut Duden „offen, aufgeschlossen für Leben und Welt“. Der Mangel an Wohnraum und Gewerbeflächen schreckt jene ab, die in Berlin leben und arbeiten wollen. Abgeschreckt werden die, die der Rohstoff der Bundesrepublik im 21. Jahrhundert sind: gut ausgebildete, innovative Menschen. Wozu nützen Wissenschaftscluster, wenn die jungen Absolventen keine Wohnung finden und keinen Arbeitsplatz, weil die Firmen keinen Platz haben zu wachsen? Die Stadt sendet damit das Signal: Bleibt weg! Das ist das Gegenteil von Weltoffenheit.

Die Mauer wird weiter wachsen

Der neueste, vorläufige Höhepunkt ist die Debatte um Enteignungen. Der Wohnungswirtschaft soll das Eigentum entzogen werden. Am Wohnungsmangel ändert das nichts, weil nicht ein Quadratmeter neuer Wohnraum mehr entsteht. Stattdessen muss das Land Milliarden für Entschädigungen zahlen.

Dieses Geld fehlt für den Neubau kommunaler Wohnungen und die Förderung bezahlbarer Mieten. Bei 58 Milliarden Euro liegen die Schulden des Landes, und sie werden weiter wachsen. Die erste Ratingagentur hat den Senat schon verwarnt: Er setze seine Bonität aufs Spiel, was die Zinslast für den Schuldendienst vergrößern würde.

Das Versprechen des Senats lautet, die Mieten zu bremsen, die angeblich dem freien Spiel der Marktkräfte unterliegen. Der Senat will den Stein der Weisen gefunden haben für die, die eine Wohnung haben. Den Wohnungssuchenden aber gibt er – nichts. Gegen den gravierenden Mangel stellt er verfassungsrechtliches Voodoo. Deshalb wird die Mauer weiter wachsen, der gesellschaftliche Graben tiefer werden. „Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen“? Fehlanzeige! Das ist keine Antwort auf die Zukunftsfragen dieser Stadt. Und das hat Berlin nicht verdient.

Susanne Klabe ist Geschäftsführerin des BFW Landesverbands Berlin/Brandenburg, Spitzenverband der privaten mittelständischen Immobilienwirtschaft.

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Susanne Klabe

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