Razzia bei Clans und Rockern: Bande ergaunerte Millionen-Immobilie von Berliner Senioren
500 Beamte durchsuchen 33 Objekte in Berlin und Hamburg, drei Verdächtige werden verhaftet: Es geht um den Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Es geht um brutales Eintreiben von Schulden, Drogenhandel und Betrug. Seit einem Jahr beobachten Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) Berlin eine Bande aus dem Clan-Milieu. Nun ging die Polizei am frühen Donnerstag gegen 36 Personen aus bekannten Großfamilien vor.
Im Zentrum steht der Abou-Chaker-Clan, beteiligt sein sollen zudem Anwälte, Notare und Immobilienmakler. Circa 500 Beamte, darunter schwer bewaffnete Kräfte des Berliner Spezialeinsatzkommandos (SEK) sowie die Bundes-Elitetruppe GSG 9, durchsuchten 33 Objekte in Berlin und Hamburg. Daneben wurden drei Haftbefehle vollstreckt, bei denen es laut Staatsanwaltschaft um Betrugstaten geht.
Ein älteres Ehepaar soll um seine Berliner Immobilie im Wert von drei Millionen Euro gebracht worden sein. Die Beschuldigten sollen das Haus in Friedrichshain mithilfe gefälschter Ausweise und fingierter Eigentümer-Vollmachten in einem In-sich-Geschäft an sich selbst übertragen haben. Dabei sollen sie auch das Grundbuchamt getäuscht haben. In die Pläne zur Verwertung der Immobilien soll ein größerer Kreis an Männern aus dem Clan-Milieu involviert gewesen sein.
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung – das ist eine neue Qualität im Kampf gegen die organisierte Kriminalität innerhalb der Clan-Szene. Mit diesem Vorwurf können Ermittler schärfere Mittel gegen Verdächtige einsetzen.
Der entsprechende Paragraf 129 im Strafgesetzbuch definiert eine kriminelle Vereinigung als Zusammenschluss von mehr als zwei Menschen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses: Meist geht es dabei um Ermittlungen wegen banden- und gewerbsmäßiger Serienstraftaten.
Die 36 Beschuldigten gehören bekannten Familien oder deren Umfeld an. Neben dem Abou-Chaker-Clan steht eine Familie aus Spandau im Visier der Behörden, die in der Türkei gut vernetzt ist. Zuerst berichteten "Bild" und "Spiegel TV". Einer der Spandauer Männer gilt nach Tagesspiegel-Informationen als zentrale Figur zwischen Cliquen deutsch-türkischer Rocker und arabischen Clans.
Auch Hells Angels aus Wedding im Blick der Ermittler
Untersucht werden nun auch die Querverbindungen zum Rockermilieu. Mitglieder der Weddinger Hells Angels sollen beteiligt, ein Deutscher als Handlanger gedient haben. Eine weitere zentrale Figur soll eine bekannte Person aus der Berliner Unterwelt sein, die als Streitschlichter eine "tragende Rolle" in der Organisierten Kriminalität (OK) in Berlin spielen soll.
Die mutmaßliche Bande steht im Verdacht, durch sogenanntes "Gewaltinkasso", also das brutale Eintreiben von Schulden, sowie durch Betrug und Drogengeschäfte "erhebliche Gewinne" erzielt zu haben, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Bei der Durchsuchung seien auch Vermögenswerte sichergestellt worden.
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In Berlin waren Wohnungen und Läden in Charlottenburg, Mitte und Spandau durchsucht worden. Die Verkehrsinformationszentrale Berlin twitterte daher am Morgen: "Aufgrund von Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität kann es aktuell im gesamten Stadtgebiet zu Verkehrseinschränkungen kommen."
Innensenator Andreas Geisel dankte den beteiligten Einsatzkräften. "Entschlossen und konsequent gehen wir auf allen Ebenen mit allen rechtsstaatlichen Instrumenten gegen jede Form der Kriminalität vor", sagte der SPD-Politiker.
Bereits im September Razzia bei Abou-Chaker
Erst im September hatte es eine Razzia bei Clan-Boss Arafat Abou-Chaker und anderen Männern, die als OK-Verdächtige gelten. Ermittelt wird dazu wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, Betrug und Geldwäsche. Vermögen in Höhe von mehreren Millionen Euro wurde sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft sprach von dem Verdacht auf "Steuerstraftaten in erheblichem Umfang im Zusammenhang mit Managementleistungen innerhalb der ,Rapszene'".
Auslöser der Razzia damals waren Erkenntnisse aus laufenden Prozess gegen Arafat Abou-Chaker am Berliner Landgericht. Ihm werden dort Freiheitsberaubung, versuchte schwere räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung und Nötigung vorgeworfen. Brüder des Mannes sind als Mittäter oder Gehilfen angeklagt. Der Clan-Boss wollte, so der Vorwurf, den Rapper Bushido nicht aus dem gemeinsamen Geschäften ziehen lassen. Es gibt allerdings keine Hinweise, dass Arafat Abou-Chaker auch im aktuellen Fall als Beschuldigter gilt.
Auch der Einbruch ins Grüne Gewölbe wird einem Clan zugerechnet
Vielfach schon haben Männer bekannter Clans, die meist vor der Wende aus dem Libanon nach Deutschland kamen, spektakuläre Straftaten begangen. So wird nach dem Einbruch in Dresdens Grünes Gewölbe nach Männern aus dem Remmo-Clan aus Berlin-Neukölln gefahndet.
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Weil diese Täter oft als Bande agieren, werden einzelne Zweige der Clans vom Bundeskriminalamt (BKA) einer „ethnisch abgeschotteten Subkultur“ zugerechnet, die als Form der OK eingestuft wird. Komplizen gehören einer Großfamilie an, Männer anderer Clans, gar anderer Ethnien erfüllen Handlangerdienste.
Einige Familien sind in ganz Deutschland bekannt, was nicht bedeutet, dass alle Bürger dieses Nachnamens kriminell oder mit Tätern verwandt sind. Dennoch: In Berlin stehen immer wieder Männer aus den Familien Abou-Chaker, Remmo, Rabih, Al-Zein, Charour und Omeirat vor Gericht – wobei die Schreibweisen variieren können, weil die oft knappen Dokumente aus dem Libanon in den deutschen Ämtern unterschiedlich übersetzt wurden.
20 Prozent der OK-Verfahren in Berlin betreffen deutsch-arabische Clans
Die Zahlen des aktuellen BKA-Lagebildes "Organisierte Kriminalität" zeigen, dass deutsch-arabische Großfamilien 2019 gerade 7,8 Prozent der OK-Ermittlungsverfahren ausmachten. In Berlin jedoch, das teilten die hiesigen Behörden 2018 mit, betrafen mehr als 20 Prozent, nämlich 14 von 68 OK-Verfahren, deutsch-arabische Familien.
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Und dies sind nur Verfahren, in denen es um schwere, meist gewerbs- und bandenmäßig begangene Serientaten geht: eben organisierte Kriminalität. Körperverletzung, Nötigung, Sexualdelikte, einfacher Diebstahl, gelegentlicher Raub, Verkehrsverstöße, auch kleinere Betrügereien werden nicht zwangsläufig als OK-Taten erfasst. In einigen Fällen konnten Clan-Männer auf gut vernetzte Komplizen aus dem deutschen Kleinbürgertum zurückgreifen.
Arabischstämmige Clan-Kriminalität hat sich in Berlin verfestigt
Berlin zählt laut BKA zu jenen Bundesländern, in denen sich kriminelle Clan-Strukturen "in besonderer Weise verfestigt haben". Im Jahr 2019 sind in Berlin laut Lagebericht sieben OK-Ermittlungsverfahren gegen Clan-Kriminelle geführt worden.
Auch wenn ein Viertel der 836 Tatverdächtigen in 45 bundesweit Verfahren die deutsche Staatsangehörigkeit haben, so haben sie laut BKA doch "eine entsprechende ethnische Herkunft" – nämlich "arabischstämmig" oder "türkeistämmig", wie es im Lagebericht heißt. 20 Prozent der Tatverdächtigen waren Libanesen, danach kamen Türken und Syrer.
Von den sieben im Jahr 2019 in Berlin geführten OK-Verfahren im Bereich der Clankriminalität liefen allein sechs gegen Angehörige arabischstämmiger Familien. Zu den bundesweit 45 OK-Verfahren zur Clankriminalität kommen 26 weitere Verfahren in denen Kontakte zu OK-Gruppen von Clankriminellen festgestellt werden konnten.
Ablehnung der deutsche Rechtsordnung und mangelnde Integrationsbereitschaft
Clankriminalität geht laut BKA zudem einher "mit einer eigenen Werteordnung und der prinzipiellen Ablehnung der deutschen Rechtsordnung". Zumeist bestehe eine "starke Ausrichtung auf die patriarchialisch-hierarchisch geprägte Familienstruktur" und eine "mangelnde Integrationsbereitschaft".
Ferner fallen Clankriminelle durch „Provozieren von Eskalationen auch bei nichtigen Anlässen oder geringfügigen Rechtsverstößen“, ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft und Tumulte in der Öffentlichkeit auf, wie die Wiesbadener Behörde feststellte.
Nach den Zahlen des BKA haben OK-Gruppen der Clankriminalität 2019 mindestens einen Schaden in Höhe von 1,6 Millionen Euro verursacht. Durch ihre Machenschaften sollen sie einen Ertrag von 3,6 Millionen Euro erwirtschaftet haben. Hinzu kämen Millionen-Erträge von Mitgliedern arabisch- und türkischstämmiger Familien ohne Bezug zur klassischen Clankriminalität. Es geht um Drogenhandel, Diebstahl, Raub, Wirtschaftskriminalität und Geldwäsche.
Vor allem Tschetschenen konkurrieren mit den deutsch-arabischen Clans
Die arabischen Clans, deren Mitglieder zuweilen auch öffentlich bekunden, sich einzig nach der "Familienehre" zu richten, konkurrieren mit anderen, weniger auffälligen Banden. Neben den arabischen Großfamilien sind vor allem Männer, seltener ganze Familien, aus Tschetschenien aktiv.
Ebenfalls auf OK-Niveau aktiv sind Netzwerke aus Polen, vom Balkan und dem Baltikum. Doch vor allem die Männer aus Tschetschenien wollen Ermittlern zufolge in Waffen- und Drogenhandel, organisierten Autodiebstahl, Zwangsprostitution und Schleuserwesen mitverdienen.
Zuletzt hatten sich Männer aus der muslimischen Autonomieregion im südrussischen Kaukasus mit der Großfamilie Remmo in Berlin eine Schlacht geliefert. Nach zahlreichen Schwerverletzten vermittelte der frühere Profi-Boxer Mahmoud Omeirat Charr.