Die vergessene Konferenz nach Kriegsende: Als sich Eisenhower und Schukow in einer Köpenicker Gaststätte trafen
Die Konferenz von Köpenick: Am 5. Juni 1945 unterzeichneten die alliierten Oberbefehlshaber die „Berliner Erklärung“ - daran erinnert nur noch eine Gedenktafel.
Rotarmisten hatten Fähnchen in der Wendenschloßstraße verteilt, in den Farben der Alliierten, erinnert sich ein Zeitzeuge. Ob sie auch wirklich geschwenkt wurden von den Besiegten, ist nicht überliefert. Am Vormittag war der Oberkommandierende der US-Truppen, General Dwight D. Eisenhower, von den Sowjets am Flughafen Tempelhof mit militärischen Ehren begrüßt worden, anschließend wurde er in eine requirierte Villa im Köpenicker Vorort Wendenschloß gebracht.
Später trafen auch der britische Feldmarschall Bernard Montgomery und der französische General de Lattre de Tassigny in Wendenschloß ein. Eisenhower wollte den Termin schnell hinter sich bringen und abends in sein Hauptquartier nach Frankfurt am Main zurückfliegen, doch der sowjetische Oberbefehlshaber Marschall Georgi Schukow hatte es nicht eilig.
Die Kapitulation der Wehrmacht war eine Sache, eine funktionsfähige Regierung für das besiegte Deutschland einzusetzen eine andere. Der 8. Mai 1945 ist heute ein weltweit bekanntes Datum, das Kapitulationsmuseum in Karlshorst ein Ort mit historischer Aura. Der 5. Juni 1945 ist dagegen in Vergessenheit geraten, genau wie die Gaststätte Wendenschloß, in der die „Berliner Erklärung“ unterzeichnet wurde.
In der Erklärung wird festgehalten, dass es keine deutsche Regierung mehr gibt, die Alliierten also neben der militärischen auch die oberste zivile Kontrolle übernehmen. Die Aufteilung in vier Besatzungszonen wird in Kraft gesetzt und die Bildung eines alliierten Kontrollrats beschlossen, der alle Fragen, die Deutschland als Ganzes betreffen, zu entscheiden habe. Die Existenz des Deutschen Reiches war damit faktisch beendet.
Die Erklärung war natürlich schon im Vorfeld abgestimmt worden. Eisenhower drängt nun darauf, zügig zu unterschreiben und die ersten Sitzungen des Kontrollrats vorzubereiten, doch Schukow zögert das Treffen mit Nebensächlichkeiten hinaus. Er will den Kontrollrat erst dann mit Leben füllen, wenn Briten und Amerikaner die sowjetische Besatzungszone vollständig geräumt haben. Im Hintergrund versucht der britische Premier Winston Churchill, genau das zu verhindern.
Die Gaststätte wird später in "Freundschaft" umbenannt
Gegen 17 Uhr wird die Erklärung mit Beisein der Presse unterzeichnet, die Generäle begeben sich auf die Terrasse mit Blick auf den Langen See, anschließend lädt Schukow zu einem feucht-fröhlichen Bankett, doch nach dem ersten Wodka-Toast bricht Eisenhower auf. Das Treffen ist nicht in seinem Sinne verlaufen, eine gemeinsame Regierung für Deutschland scheint in weiter Ferne.
Der alliierte Kontrollrat wurde bald das erste Opfer des Kalten Krieges, sein Geburtsort Wendenschloß verblasste neben den offiziellen Gedenkorten des Sieges über Nazideutschland. In der DDR hielt man die Gaststätte noch in Ehren, taufte sie bald auf den Namen „Freundschaft“, empfing zu Jahrestagen Abordnungen der Roten Armee.
Doch mit der Wende geriet auch die „deutsch-sowjetische Freundschaft“ als hohle Phrase der Mächtigen in Misskredit. Die Treuhand übernahm die unter Denkmalschutz stehende Gaststätte, wusste aber nichts weiter mit ihr anzufangen als sie meistbietend an einen Baulöwen zu verkaufen.
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Und der ließ das historische Gebäude abreißen, um das großzügige Grundstück mit Wohnblöcken bebauen zu können. Warum der Denkmalschutz dabei einfach übergangen werden konnte, ist nicht überliefert. Der damalige Bürgermeister Köpenicks, Klaus Ulbricht, kann sich auf Nachfrage nicht an den Sachverhalt erinnern.
Nazitreue Familien begingen Suizid
Schukow war mit der „1. belorussischen Front“ von Südosten nach Berlin vorgestoßen, hatte am 22. und 23. April Köpenick eingenommen und im beschaulich-abgelegenen Wendenschloß sein Hauptquartier eingerichtet, sein Stab verteilte sich über die umliegenden Villen, die Gaststätte diente als Offizierscasino.
Das Fachwerkgebäude in der Niebergallstraße hatte seinen Ursprung um 1890, als Ausflugslokal im noch unbebauten Stadtforst. Der Name Wendenschloß sollte wohl nur den Reiz für Ausflügler erhöhen, ein Schloss gab es dort nie. Der später gegründete Villenvorort übernahm schließlich den Namen.
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Jüdische Villenbesitzer wurden nach 1933 aus ihren Häusern gedrängt, ihnen folgten nazitreue Unternehmer und Parteifunktionäre, bei Kriegsende sollen ganze Familien aus Angst vor der Rache der Sowjets Suizid begangen haben, von 90 Toten ist die Rede. Viele Bewohner waren vor den Kampfhandlungen geflohen.
Die Rote Armee erklärte den südlichen Teil von Wendenschloß zum Sperrgebiet, das erst 1949 wieder aufgehoben wurde. Der Magistrat übergab viele Häuser an hochrangige SED-Kader und „NS-Verfolgte“. Auch die Stasi übernahm eine Villa als verdeckte Adresse für Spitzeltreffen.
Schukow schmuggelte Möbel nach Moskau
Für Schukow blieb Wendenschloß nur eine kurze Episode. 1946 wurde er nach Odessa strafversetzt, weil er versucht hatte, große Mengen Möbel aus Deutschland in Eisenbahnwaggons nach Moskau zu schmuggeln. Möbel spielten auch für die Zeremonien der Sieger in Berlin eine große Rolle.
Für das Treffen am 5. Juni wurden extra ein Teppich und ein großer runder Tisch herbeigeschafft und anschließend wieder verladen, angeblich soll der Tisch danach auf der Potsdamer Konferenz zum Einsatz gekommen sein. Es ging das Gerücht, die Russen hätten das Mobiliar aus Hitlers Reichskanzlei geholt, aber das ist sicher Legende.
Erst 1985 wurde an der Gaststätte eine Gedenktafel zur Erinnerung an das Treffen der Alliierten angebracht. In der Wendezeit verschwand die Tafel und wurde später auf einem Gartengrundstück in der Nähe wiedergefunden.
Der Bürgerverein Wendenschloß kümmerte sich darum, dass die Tafel zum 70. Jahrestag der Berliner Erklärung 2015 wieder am historischen Ort aufgestellt wurde. Vor einer banalen Sichtschutzwand.