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Es ist vollbracht. Luftmarschall Tedder und Marschall Schukow nehmen die bedingungslose Kapitulation des Oberkommandos der Wehrmacht am 8. Mai 1945 entgegen.
© Iwan Schagin, Deutsch-Ruissisches Museum Berlin-Karlshorst

Kapitulation am 8. Mai: Am Ende tanzte Schukow in der Pionierschule der Wehrmacht

Unterschrift um 0.16 Uhr: Im Offizierskasino in Karlshorst endete am 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa. Heute ist hier das Deutsch-Russische Museum zu Hause.

Als am 1. April 1937 der Lehrbetrieb für Unteroffiziere und Offiziere an der im Jahr zuvor errichteten Pionierschule I der Wehrmacht in Berlin–Karlshorst aufgenommen wurde, konnte niemand von den Offiziersschülern ahnen, dass genau an diesem Ort acht Jahre später Weltgeschichte geschrieben werden sollte. Hier unterzeichnete das Oberkommando der Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation in Gegenwart der Vertreter der alliierten Siegermächte im großen Festsaal des Offizierskasinos.

Im Rahmen ihrer Aufrüstungspolitik hatten die Nationalsozialisten 1936 auf dem Gelände der ehemaligen Fliegerstation Friedrichsfelde mit dem Bau der Pionierschule begonnen. Für diese „Hochschule der Pioniere“ wurde östlich des Ortskerns von Karlshorst ein großer Gebäudekomplex errichtet. Den südlichen Abschluss bildete das Offizierskasino mit seinem über zwei Stockwerke hohen Festsaal.

Die Rote Armee begann ihren Vorstoß auf Berlin am 16. April. Bereits am 23. April schlug die 5. Stoßarmee der 1. Belorussischen Front unter Generalleutnant Nikolaj E. Berzarin in dem Offizierskasino der Pionierschule in Karlshorst ihr Hauptquartier auf und koordinierte von hier aus den Endkampf um die Hauptstadt, der am 2. Mai mit der Kapitulation Berlins endete.

Das Deutsche Reich kapitulierte schließlich bedingungslos am 7. Mai in Reims. Generaloberst Jodl unterschrieb um 2 Uhr 41 das Papier.

„Die Tinte auf der Kapitulationsurkunde von Reims war noch kaum getrocknet, da erhielt Eisenhower ein Protesttelegramm des stellvertretenden sowjetischen Generalstabschefs, Alexei Antonow: Das russische Oberkommando weigerte sich, die Unterzeichnung anzuerkennen“, schreibt Volker Ullrich in seinem gerade erschienenen Buch „Acht Tage im Mai“.

Stalin verlangte eine Wiederholung der Zeremonie in Berlin

Es gab Meinungsverschiedenheiten über den Text, außerdem verlangte Stalin eine Wiederholung der Zeremonie in Berlin. Schließlich habe die Sowjetunion die Hauptlast des Krieges getragen. Er wollte die höchsten Repräsentanten der deutschen Truppen dazu zwingen, vor den höchsten Vertretern der Alliierten die Kapitulation endgültig zu unterschreiben.

Die Schlacht um Berlin hatte große Zerstörungen hinterlassen. Wo also sollte man diese Zeremonie in einigermaßen würdevoller Umgebung abhalten? Schnell fiel die Wahl auf das Offizierskasino der Pionierschule. Immerhin bot der große Saal mit 200 Quadratmetern genügend Raum für die Zeremonie und das anschließende Bankett. „Die Rotarmisten requirierten Möbel, Teppiche, Gläser, Bestecke und Blumen. Die Anfahrtsstraßen wurden vom Schutt geräumt und mit Fahnen geschmückt. Einer, der dabei tatkräftig mithalf, war Erich Honecker“, schreibt Ullrich.

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Am 8. Mai waren mittags drei britische Verkehrsmaschinen mit den Delegationen in Tempelhof gelandet, wo sie mit Nationalhymnen und Ehrenformationen begrüßt wurden. Die deutsche Delegation unter Leitung von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel mit Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg und Generaloberst Hans-Jürgen Stumpff traf aus Kiel ein. Kurz nach der Landung wurde ihnen im Auto die Kapitulationsurkunde vorgelegt. Danach wurden sie sofort in ein Nebengebäude der Pionierschule gebracht.

Die französische Delegation unter Führung von Generalde Lattre de Tassigny trifft am 8. Mai 1945 zur Kapitulation der Wehrmacht in der Pionierschule Karlshorst ein.
Die französische Delegation unter Führung von Generalde Lattre de Tassigny trifft am 8. Mai 1945 zur Kapitulation der Wehrmacht in der Pionierschule Karlshorst ein.
© Timofej Melnik, Deutsch-Russsches Museum Berlin-Karlshorst

Um 14 Uhr sollte die Zeremonie stattfinden, doch die Alliierten rangen noch lange um den gemeinsamen Text, auf den man sich letztendlich später am Abend mit geringen Veränderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung einigte. Für die Deutschen gab es während der Verhandlungen immerhin ein kaltes Buffet.

Marschall Georgij Schukow machte es spannend. Kurz vor Mitternacht bat er noch einmal die drei alliierten Vertreter in sein Arbeitszimmer gleich neben dem großen Saal. Um Mitternacht betraten sie dann den Saal, der mit den Fahnen der vier Alliierten geschmückt war. Viele hohe Offiziere und jede Menge Journalisten waren versammelt.

Am Tischende hinten ist Keitel zu erkennen, umgeben von hochrangigen Soldaten der Wehrmacht. Er wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen verurteilt und hingerichtet. Laut Anklage war er als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht für die Verbrechen des NS-Regimes besonders verantwortlich.
Am Tischende hinten ist Keitel zu erkennen, umgeben von hochrangigen Soldaten der Wehrmacht. Er wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen verurteilt und hingerichtet. Laut Anklage war er als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht für die Verbrechen des NS-Regimes besonders verantwortlich.
© Bundesarchiv, Bild 183-J0422-0600-002 / CC-BY-SA 3.0

Schukow befahl nach einer kurzen Begrüßung, die Deutschen hineinzuführen. Keitel und seine Delegation betraten den Saal durch eine Seitentür. Keitel hob kurz seinen Marschallstab zum Gruß, eine Geste, die Beobachter als arrogant werteten. Die Deutschen mussten sich an einen kleinen „Katzentisch“ an der Seite setzen. Schukow fragte Keitel, ob er die Urkunde gelesen habe. Der wünschte, dass man ihm das Dokument bringe, doch Schukow bestellte ihn an seinen Tisch.

8. Mai. Bedingungslose Kapitulation. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Oberkommandierender der Wehrmacht, unterzeichnete die Erklärung in Karlshorst. Es war die zweite Kapitulationserklärung, die erste war bereits am Vortag in Reims unterzeichnet worden. Doch da die Kämpfe gegen die Sowjets noch weitergingen, wurde die Erklärung in Berlin wiederholt.
8. Mai. Bedingungslose Kapitulation. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Oberkommandierender der Wehrmacht, unterzeichnete die Erklärung in Karlshorst. Es war die zweite Kapitulationserklärung, die erste war bereits am Vortag in Reims unterzeichnet worden. Doch da die Kämpfe gegen die Sowjets noch weitergingen, wurde die Erklärung in Berlin wiederholt.
© dpa

„Mit einem unguten Blick auf das Präsidium erhob sich Keitel rasch von seinem Platz, dann senkte er die Augen, nahm langsam seinen Marschallstab vom Tisch und kam mit unsicheren Schritten auf unseren Tisch zu. Sein Monokel fiel herunter und baumelte an der Kordel, das Gesicht bedeckte sich mit roten Flecken“, wird Schukow später in seinen Memoiren schreiben.

Keitel setzt sich auf den Rand eines Stuhls, legt Stab und Mütze beiseite, zieht einen Handschuh aus, klemmt das Monokel wieder ein und unterschreibt. Blitzlichtgewitter.

Fünf Urkunden muss er unterschreiben, dann kehrt er an seinen Platz zurück und von Friedeburg und Stumpff unterschreiben. Es ist 0.16 Uhr. Schukow und Tedder unterschreiben als Vertreter der Alliierten, Spaatz und Lattre de Tassigny als Zeugen, und dann ist um 0.43 Uhr die Zeremonie beendet.

Schukow lässt Champagner und Wodka auffahren

Die Deutschen werden aus dem Saal gewiesen und jetzt erst macht sich im Saal Erleichterung breit. Der Krieg in Europa ist zu Ende! Alle Teilnehmer spüren den historischen Moment, gratulieren sich zum Sieg, und Schukow lässt Champagner und Wodka auffahren. Beim Bankett versprechen sich die vier Mächte Waffenbrüderschaft und Schukow legt noch einen russischen Tanz aufs Parkett. Den Deutschen wird in ihrer Villa auf dem Gelände ebenfalls ein üppiges Mahl serviert, bis sie dann am Morgen nach Flensburg zurückfliegen.

Kapitulationssaal – historischer Ort der Kapitulation der Wehrmachtsführung vor den Alliierten am 8. Mai 1945.
Kapitulationssaal – historischer Ort der Kapitulation der Wehrmachtsführung vor den Alliierten am 8. Mai 1945.
© Thomas Bruns, Museum Berlin-Karlshorst

Wer heute die knarzenden Dielen des großen Festsaales im Deutsch-Russischen Museum betritt, das seit 1995 hier eingerichtet ist, kann ahnen, was sich hier abgespielt hat. Ein Video der Unterzeichnung läuft endlos rechts oben auf einem Bildschirm. Der Blick fällt auf die vier Fahnen der Siegermächte an der Wand. Rechts sieht man den kleinen Tisch der deutschen Delegation.

Doch es ist nicht mehr haargenau das Inventar von 1945. In diesem Haus wurde weiter Geschichte geschrieben. Von Juni 1945 bis zum Oktober 1949 amtierte hier die Sowjetische Militäradministration für Deutschland (SMAD).

1949 wurde in diesem Saal die DDR-Regierung bevollmächtigt

Man muss dort auch den Tagesspiegel gelesen haben, denn zwischen dem Festsaal und dem Arbeitszimmer Schukows wurde bei Renovierungsarbeiten ein Stück der Tagesspiegel-Titelseite vom 15. Februar 1949 als Makulatur verklebt. Es wurde erst 2013 bei der letzten Renovierung freigelegt und ist nun hinter Glas zu sehen.

Die Rote Armee las den Tagesspiegel. Das Fragment der Titelseite vom 15. Februar 1949 wurde als Makulatur geklebt und 2013 freigelegt. Es ist nun hinter Glas zu sehen.
Die Rote Armee las den Tagesspiegel. Das Fragment der Titelseite vom 15. Februar 1949 wurde als Makulatur geklebt und 2013 freigelegt. Es ist nun hinter Glas zu sehen.
© Rolf Brockschmidt, Tagesspiegel

Am 10. Oktober 1949 wurde in diesem Saal die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik bevollmächtigt und die SMAD aufgelöst. Bis 1953 nutzte die neu gegründete Sowjetische Kontrollkommission (SKK) das Gebäude. Dann bezog der Kommandant der Berliner Garnison der Sowjetarmee das Gebäude, es lag nun inmitten eines großen militärischen Sperrbezirks.

Wehrmachtssoldaten marschieren in der Frankfurter Allee in russische Gefangenschaft.
Wehrmachtssoldaten marschieren in der Frankfurter Allee in russische Gefangenschaft.
© Iwan Schagin, Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst

Zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution am 5. November 1967 wurde in dem Gebäude im Rahmen der Traditionspflege der Sowjetarmee das „Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945“ eröffnet. Im Zentrum stand der große Saal der Kapitulation, der aber wegen der unterschiedlichen Nutzungen nicht mehr original möbliert war. Um den Urzustand wiederherzustellen, griff man auch auf Requisiten der Defa zurück.

 "1941 - 1945 - Ruhm dem Großen Sieg" steht in kyrillischen Buchstaben in der Eingangshalle des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst.
"1941 - 1945 - Ruhm dem Großen Sieg" steht in kyrillischen Buchstaben in der Eingangshalle des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst.
© Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Nach der Wende bot sich hier die einmalige Gelegenheit, vorbei an den Wachposten vor dem Eingang eine sowjetische Militäreinrichtung zu besuchen. Kurios, dass während meines Besuchs 1990 ein Soldat erfolgreich versuchte, seine Abzeichen gegen harte D-Mark zu tauschen.

[Niemals vergessen! Wo Berlin der Opfer des Nationalsozialismus gedenkt, mit Stolpersteinen und kleineren Gedenkorten in Kiezen und Ortsteilen, können Sie hier auf einer interaktiven Karte sehen: tagesspiegel.de]

Deutsch-Russischer Verein trägt heute das Haus als Museum

Mit dem Abzug der sowjetischen Truppen wurde 1994 ein deutsch-russischer Trägerverein gegründet. Die Wanderausstellung „Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945“ der Gedenkstätte Topographie des Terrors diente nun als Grundlage, um 1995 das Deutsch-Russische Museum zu eröffnen, das in einer Dauerausstellung an den Krieg gegen die Sowjetunion erinnert. Dem Verein traten 1997/98 auch noch wissenschaftlich-kulturelle Institutionen der Ukraine und Weißrusslands bei.

In diesem Haus an der Karlshorster Waldowallee ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Damals war es ein Offizierskasino, in dem die Sowjets ihr Hauptquartier aufschlugen. Heute ist dort das Deutsch-Russische Museum untergebracht.
In diesem Haus an der Karlshorster Waldowallee ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Damals war es ein Offizierskasino, in dem die Sowjets ihr Hauptquartier aufschlugen. Heute ist dort das Deutsch-Russische Museum untergebracht.
© Jens Kalaene/dpa

2013 wurde die Ausstellung nach einer Überarbeitung unter ihrem jetzigen Leiter Jörg Morré eröffnet. In zehn Kapiteln mit je einem Leitobjekt ist im Obergeschoss die Dauerausstellung „Deutschland und die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg 1941–1945“ zu sehen, im Untergeschoss wird auf die Nachkriegszeit eingegangen.

Das Erdgeschoss mit seinen historischen Räumen erinnert an die Kapitulation am 8./9. Mai 1945. Hier ist auch die neue Sonderausstellung „Von Casablanca nach Karlshorst“ zu sehen; wegen der Coronakrise wird sie aktuell auch virtuell gezeigt. Ein Einblick lohnt sich – für einen differenzierten Blick auf das Verhältnis der Deutschen zu den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

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