Millionendefizite für die BVG: 30 Prozent weniger Fahrgäste in der Coronakrise in Berlin
Die BVG will sechs Milliarden Euro investieren – trotz des starken Fahrgastrückgangs durch Covid-19. Das kündigte die neue Chefin Eva Kreienkamp an.
Die BVG verliert in der Coronakrise im Laufe dieses Jahres mehr als 300 Millionen Fahrgäste. Trotzdem werden Milliarden Euro investiert, sagte die neue BVG-Chefin Eva Kreienkamp dem Tagesspiegel.
Im vergangenen Jahr 2019 beförderten Busse, Trams und U-Bahnen 1,13 Milliarden Menschen – das war ein neuer Rekord. In diesem Jahr wird es einen massiven Einbruch geben.
Kreienkamp sagte, „mit Glück werden es in diesem Jahr noch 800 Millionen“. Das ist ein Rückschlag um 25 Jahre: Mitte der 90er Jahren fuhren zuletzt 800 bis 900 Millionen Menschen mit der BVG. Kreienkamp hat die Nachfolge von Sigrid Nikutta an der Spitze des größten deutschen Nahverkehrsunternehmens im Oktober dieses Jahres angetreten.
Bundesweit haben die Nahverkehrsunternehmen etwa 30 Prozent ihrer Fahrgäste verloren, Berlin sei da keine Ausnahme, sagte die BVG-Chefin. Die Verkehrsverwaltung rechnet schon für die erste Welle der Pandemie bis zum Sommer mit mindestens 300 Millionen Euro Corona-Verlust. Dies hatte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) am Mittwoch im Parlament angekündigt.
117 Millionen davon entfallen auf die BVG – und das sind nur die Verluste bis Ende August. Die Höhe der Ausfälle durch den inzwischen begonnenen zweiten Lockdown sind noch nicht zu beziffern. Die S-Bahn machte indes 155 Millionen Euro Verlust, DB-Regio 27 Millionen Euro.
Trotz der Coronakrise will die BVG in die Verkehrswende investieren
Trotz dieses Einbruchs will die BVG in den kommenden Jahren sechs Milliarden Euro investieren. „Corona geht vorbei, das Klima bleibt“, begründete Kreienkamp ihre Haltung. Trotz der schwierigen Lage müsse in die Verkehrswende investiert werden.
Zwei Milliarden Euro kalkuliert die BVG für die Erweiterung des Straßenbahn-Netzes, zwei Milliarden für die „Dekarbonisierung“ also die Umstellung der Busflotte von Diesel auf Elektro, sowie zwei Milliarden für Sanierungen. Hinzu kommen aus Landesmitteln die 1500 U-Bahn-Waggons, die Stadler ab 2022 liefern soll – für 2,4 Milliarden Euro.
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Ein Teil der sechs Milliarden könnten als Bankkredit aufgenommen werden, kündigte die BVG-Vorstandschefin an. Auch das U-Bahn-Netz könnte erweitert werden, vor allem zum BER und zur Heerstraße.
„Da wächst die Stadt, da entsteht Verkehr.“ Dass der Bau von U-Bahnen in Berlin lange dauert, weiß Kreienkamp. Die 58-Jährige kam aus Mainz in die Hauptstadt. Schon bei den Straßenbahnprojekten sei das Tempo „traurig“.
Doppeldecker sollen da eingesetzt werden, wo viele Schüler fahren
Die Milliarden sind das große Ganze. Die nahe Zukunft wird viel kleinteiliger und mindestens ebenso beschwerlich sein. Man wolle weder die Takte verlängern noch den Verkehr ausdünnen, versicherte Kreienkamp.
Intern erwartet die BVG allerdings bald die ersten Forderungen aus der Politik, die Fahrpläne auszudünnen. Immer mehr Menschen arbeiten von Zuhause, Touristen gibt es kaum noch. Vor allem abends und nachts fahren Busse und U-Bahnen leer durch die Stadt. Deshalb plant die BVG zum Beispiel, die Doppeldecker von der Linie 100 abzuziehen und auf stark frequentierten Schülerlinien einzusetzen. Dies würde die Ansteckungsgefahr für die Schüler verringern, hieß es.
Die Proteste der wenigen verbliebenen Touristen, dass es keinen Doppeldecker mehr auf der 100er-Linie gibt, werde man ertragen müssen, sagte Kreienkamp. Die Linie feierte gerade ihren 30. Geburtstag.
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Zudem ändert sich durch Corona die Form der Mobilität. Statt langer Strecken zur Arbeit und zurück werde jetzt viel mehr im Nahbereich bis fünf Kilometer gefahren. Das könnte bedeuten, dass die oft sehr langen Buslinien entlang der Hauptstraßen an Bedeutung verlieren, weil „diese auf Pendler ausgelegt sind“. Stattdessen könnte mehr und kleinteiliger im Kiez gefahren werden. Der Erfolg der E-Scooter zeige den Bedarf an dieser Mobilität im Nahbereich, sagte die neue BVG-Chefin im Gespräch.
BVG-Mitarbeiter nicht stark von der Corona-Pandemie betroffen
Wesentlich besser als finanziell geht es der BVG gesundheitlich. Im gesamten Verlauf der Pandemie haben sich weniger als 80 Mitarbeiter infiziert, sagte eine Sprecherin. Angesichts von über 15.000 Mitarbeitern sei das sehr wenig. Das Unternehmen hatte sofort bei Beginn der Pandemie die erste Tür in Bussen verschlossen, um die Fahrer vor Ansteckung zu schützen. Dies allerdings hat den Nachteil, dass sich ein- und aussteigende Fahrgäste bei kleinen Bussen eine Tür teilen müssen. Der Einstieg vorne soll erst wieder geöffnet werden, wenn alle Busse eine Corona-Schutzscheibe um den Fahrersitz haben. Bis Ende des Jahres sollen die Hälfte der gut 1400 Busse nachgerüstet sein.
In einer früheren Version des Textes war in der Überschrift von 70 Prozent weniger Fahrgästen die Rede - tatsächlich sind es jedoch 30 Prozent. Zudem schrieben wir in der Dachzeile des Textes von Defiziten in Milliardenhöhe - es sind allerdings 117 Millionen. Im Text selbst waren die Zahlen korrekt. Wir bitten das zu entschuldigen.