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Die ehemalige BVG-Chefin Sigrid Evelyn Nikutta in ihrer neuen Rolle als Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn (DB) für den Bereich Güterverkehr auf dem Güterbahnhof Ruhleben in Berlin-Spandau.
© Stefan Weger

Von der BVG zur Deutschen Bahn: Sigrid Nikutta hat eine harte Mission

Ihr Managerauftrag lautet: Sanierung von DB Cargo, der Gütersparte der Deutschen Bahn, Männeranteil 89 Prozent. Da ist die Psychologie gefragt.

In einem Besprechungsraum der DB Cargo zeigt die neue Chefin, dass sie Klartext reden kann. „Mal ganz unter uns...“, sagt Sigrid Nikutta neulich bei ihrem Besuch am Standort Halle (Saale), einer stolzen Eisenbahnerstadt seit 1840: „Es geht nicht, dass wir jedes Jahr Verlust machen.“

Die Konkurrenten der Güterbahngesellschaft der Deutschen Bahn würden „alle Hebel in Bewegung setzen“, um auch kleine Aufträge zu fahren, erklärt die Managerin, langsam, die Stirn in Falten, die Finger knetend, als würde sie sich damit bremsen. 28 Männer und drei Frauen hören und sehen zu, wie sie Wort für Wort betont: „Wir müssen echten Machergeist leben: Jeder Wagen zählt. Wir wollen Kunden wieder von der Schiene begeistern!“

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Nur Sekunden später scheint etwas abzufallen von ihr: Nikutta steht noch immer vorn im Raum, wirkt aber gelöster, so als hätte sie irgendwo zwischen den Leuten Platz genommen, um sich zu verschwören und verbrüdern mit den Kollegen. Weiß sie doch, wie die hier rund um die Uhr per Computer, aber auch noch mit viel Hand- und Laufarbeit die 20 bis 30 Tonnen schweren Güterwaggons zu Zügen zusammensetzen – und diese durchs Land fahren.

Dann weiht die Chefin ihre Mannschaft ein in die Strategie, ihren Plan: „Überall in Europa wird gerade die Frage gestellt: Wie transportieren wir umweltfreundlich?“ Nun müssten alle gemeinsam deutlich machen, dass es viel klüger sei, in den Schienengüterverkehr zu investieren, als Milliarden an Strafzahlungen fürs Verfehlen der Klimaziele zu zahlen. „Wir haben den Schlüssel für die Klimawende in der Hand. Deshalb werden wir wachsen und die Güter von der Straße holen“.

Es ist ein Tag der Mission „DB Cargo retten“ von Dr. Sigrid Evelyn Nikutta, die als Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe BVG einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Der Aufsichtsrat des landeseigenen Unternehmens hatte die heute 50-Jährige vor bald zehn Jahren von DB Cargo in Polen geholt, damit sie in Berlin frische Ideen und schwarze Zahlen produziert. Beides hat geklappt – dank konsequenter Entscheidungen, viel Netzwerkarbeit mit der Politik und mehr Service sowie der so frechen wie selbstironischen Imagekampagne mit dem gelben Herzen („Weil wir Dich lieben“). Heute befördert die BVG rund ein Fünftel mehr Fahrgäste als bei Nikuttas Antritt.

DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta bei einer Betriebsversammlung am Standort (Halle). Auch hier sind etwa neun von zehn Angestellten Männer.
DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta bei einer Betriebsversammlung am Standort (Halle). Auch hier sind etwa neun von zehn Angestellten Männer.
© Kevin P. Hoffmann

Im Herbst zeichnete sich aber ab: Sie kehrt zurück zum bundeseigenen Konzern Deutsche Bahn. Seit dem 1. Januar verantwortet sie im Vorstand der Konzernholding DB AG in Berlin den Bereich Güterverkehr. Und Nikutta ist – anders als ihre Vorgänger – zugleich Vorstandsvorsitzende der entsprechenden Güterverkehrstochter DB Cargo mit Zentrale in Mainz. Dort kann sie ihre eigenen Beschlüsse persönlich umsetzen.

Die Zeit drängt: DB Cargo fährt jedes Jahr zwei- bis dreistellige Millionenverluste ein. Deshalb fordern einige Politiker immer wieder den Verkauf. Dann bliebe mehr Geld für den Personenverkehr, so die Hoffnung. Die promovierte Psychologin – Spezialistin für Arbeits-, Betriebs- und Organisationpsychologie – soll dieses überkomplexe Logistikunternehmen sichtbarer machen, sortieren, sanieren. Viele glauben: Nikuttas Therapie ist DB Cargos letzte Chance. Sonst wird der Laden verkauft.

Mit Jobverlust drohen - diese Masche funktioniert nicht mehr

Eine einfache Methode wäre es nun, den Mitarbeitern genau das jeden Tag einzutrichtern – in der Hoffnung, dass sie vor lauter Jobangst mehr Züge in weniger Zeit abfertigen. So könnten die Kosten pro Tonne Fracht und Stückgut sinken, was den Schienenverkehr konkurrenzfähiger machen würde im Wettbewerb mit den Lkw auf den Autobahnen.

Doch diese Masche funktioniert auch bei der DB in Halle an der Saale längst nicht mehr. Die Leute sind ja nicht blöd, alle haben doch erlebt, wie seit DDR-Zeiten in fast jedem Jahr Stellen abgebaut worden sind – egal wie gut oder schlecht es lief. Statt einst 1000 Lokführern gibt es heute noch 250 am Standort. Doch jetzt stockt DB Cargo erstmals wieder Personal auf. Nikutta will vermitteln: Wir brauchen Umparken im Kopf, wachsen statt schrumpfen, stolz sein statt klein!

Nikutta bei einem Besuch in der Güterzugbildungsanlage und der dazugehörigen Werkstatt in Halle (Saale).
Nikutta bei einem Besuch in der Güterzugbildungsanlage und der dazugehörigen Werkstatt in Halle (Saale).
© Kevin P. Hoffmann

So ähnlich hatte sie es damals auch mit der einst verschnarchten BVG gemacht, wo sich Mitarbeiter für die vielen Pannen geschämt hatten. Der Unterschied: DB Cargo spielt in der Europaliga, ist aktiv in 17 Ländern, nicht nur in Berlin. Jetzt trägt Nikutta Verantwortung für doppelt so viele Mitarbeiter, 30 000 insgesamt. Und neun von zehn sind Männer.

Ihnen verschweigt auch Nikutta nicht den Ernst der Lage. Das wäre unredlich. Aber sie will zugleich das Selbstwertgefühl der Kollegen steigern. Dabei helfen ihr Millioneninvestitionen aus Berlin – und zwei einfache Techniken der Psychologie: fragen und zuhören.

Auch deshalb war die Managerin bereits Stunden vor ihrem Klartext-Auftritt vor der Belegschaft nach Halle gereist. Der Betriebsrat, Regional- und Standortleiter – insgesamt zehn gestandene Herren – fahren und führen sie herum. Nikutta stellt dutzende Fragen: stehend auf der Straßenbrücke im Februarwind mit gekniffenem Blick hinab auf die 36 Gleise dieser gewaltigen Zugbildungsanlage, wie die Bahner sagen, weil Güterzüge hier neu „gebildet“ werden. Andere nennen es „Rangierbahnhof“. Dann stellt Nikutta Fragen in der Werkstatt, wo es herb riecht, nach Öl und altem Holz. Arbeiter in Blaumännern hebeln mit langen Stemmeisen gerade Bohlen aus Böden der Güterwagen, Splitter fliegen knackend durch die Halle. Wie genau, wo, warum, weshalb?

Sigrid Nikutta steht mit dem Standorteier der DB Cargo in Halle auf einer Straßenbrücke und blickt auf die Zugbildungsanlage mit insgesamt 36 Gleisen.
Sigrid Nikutta steht mit dem Standorteier der DB Cargo in Halle auf einer Straßenbrücke und blickt auf die Zugbildungsanlage mit insgesamt 36 Gleisen.
© Kevin P. Hoffmann

Nach einem Griff in einen Pappkarton hält Nikutta einen fußgroßen schwarzen Klotz in der Hand, als der Standortleiter ihr erstmals eine gute Antwort schuldig bleibt: Was denn der Hersteller dazu sage, dass die „Flüsterbremse“ zwar den Lärm der Güterzüge um zehn Dezibel auf die Hälfte reduziert, aber weniger Lebensdauer habe? „Das wird am Material liegen“, spekuliert der Mann. Die Chefin schweigt. Und lässt ihren Referenten, ein stets stiller Schatten, eine Notiz machen.

Nikutta beherrscht die Sprache der Männer

Sigrid Nikutta ist ein Unikat in der von Männern kontrollierten Logistikbranche. Wer ihre Karriere plausibel erklären kann, hätte vielleicht auch Antworten auf einige Urfragen des Feminismus: Wie sollen (und warum wollen) Frauen sich in so einem verschwitzten Umfeld durchsetzen? Vielleicht: Weil sie es kann. Weil Nikutta die Sprache der Männer spricht. Weil sie sie versteht. Und von ihnen verstanden wird. Das hilft zumindest.

Für eine zierliche Dame hat Nikutta eine recht tiefe Stimme. Oft klingt sie ein wenig heiser. Sie ist die Gianna Nannini der deutschen Wirtschaft. Nikutta verwendet wohldosiert männliche Sprachmuster. „Nee, nä?“ Sie gönnt ihrem Satzbau und Wortschatz hin und wieder etwas Idiom ihrer alten ostwestfälischen Heimat Enger, Kreis Herford. Das liegt zwischen Dortmund und Hannover. Hier schlenzt jeder beiläufig auch mal ein „Du“ oder „Ihr“ in den Satz. Nikutta kann das wie der einstige Arbeiterparteiführer Gerhard Schröder. „Hol mir mal ne Flasche Bier! Sonst streik’ ich hier“.

Sigrid Nikutta in ihrem neuen Büro im 23. Stockwerk des Bahntowers am Potsdamer Platz. Sie ist seit dem 1. Januar 2020 Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn verantwortlich für den Güterverkehr - und zugleich Chefin der Güterverkehrstochter DB Cargo mit Zentrale in Mainz. Dort hat sie ein weitere Büro.
Sigrid Nikutta in ihrem neuen Büro im 23. Stockwerk des Bahntowers am Potsdamer Platz. Sie ist seit dem 1. Januar 2020 Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn verantwortlich für den Güterverkehr - und zugleich Chefin der Güterverkehrstochter DB Cargo mit Zentrale in Mainz. Dort hat sie ein weitere Büro.
© Mike Wolff

So formuliert Nikutta mal hochdeutsch mit dem Skalpell, zieht jede Silbe scharf. Dann vernuschelt sie wieder wie ein Kumpeltyp – das wechselt mehrfach in einer Rede. Das wirkt organisch, intuitiv, nicht bewusst gesteuert. Und es öffnet Nikutta ein Tor zum männlichen Humor, bei dem es ja oft weniger auf die geistreiche Pointe ankommt als auf die Form der Rede, das Gespür fürs Timing.

Nach ihrem Rundgang in Halle landet Nikutta in einem Besprechungsraum mit acht männlichen Führungskräften. Auf dem Tisch stehen Kaffeekannen und „Fingerfood“, wie ein Gastgeber sagt: eine Platte mit Mett- und Käsebrötchen. Nach einer Stunde intensiver Suche nach Sand im Getriebe hier am Standort Halle kommt die Chefin zu einem besonders kritischen Tagesordnungspunkt. Sie versucht es mit Ironie: „Und? Wie sieht es mit dem Neubau der Werkstatt aus? Ich nehme an, Sie wollen mir jetzt freundlich vermitteln, bei Zeitplan und Kostenplan ist alles... im Rahmen?“

Da fällt die Raumtemperatur, es geht um viel Geld. Ein Verantwortlicher berichtet taktisch klug, dass man sogar ein Jahr früher fertig werden dürfte, um dann im nächsten Satz einzugestehen, dass die Kosten wegen des Baubooms jedoch um 15 Prozent über Plan liegen. Ihre klare Order – „Unbedingt weiterbauen und die Kosten im Blick behalten!“ – sorgt für Entspannung. Bis Nikutta nochmal auf ihre Beobachtungen vorhin in der Werkstatt zu sprechen kommt, wo zwei Stunden zuvor Männer mit wirklich außergewöhnlich viel Körpereinsatz die Bretter der Waggons aufgehebelt haben...

Nikutta beugt sich auf den Tisch und schaut über den Brillenrand: „Geb's zu, die Wagen vorhin habt ihr extra für mich da in die Halle reingestellt!“

Da schallt aus fast allen Kehlen der Ertappten ein frisches „Neiiiin. Wie kommen Sie denn...? Niemals würden wir... Hahahaha“. Wer genau die Inszenierung veranlasst hat, bleibt offen. Und das darf es auch.

Auf Tour: 14 Standorte in 14 Tagen besucht

Fast schon zu fleißige Mitarbeiter der Werkstatt von DB Cargo in Werkstatt in Halle. Nikutta wird die Chefs später auf diese Szene ansprechen.
Fast schon zu fleißige Mitarbeiter der Werkstatt von DB Cargo in Werkstatt in Halle. Nikutta wird die Chefs später auf diese Szene ansprechen.
© Kevin P. Hoffmann

So geht es an fast allen Tagen seit Neujahr: Erst besuchte sie 14 Standorte in zwei Wochen, stellt sich den lokalen Managern und der Belegschaft. Seit Februar verbringt sie stets den ersten Teil der Woche in der Konzernzentrale in Berlin, die zweite Hälfte geht es nach Mainz in die DB-Cargo-Zentrale. Zwischendurch findet sie Zeit für Besuche wie beim Matthiae-Mahl in Hamburg, ein seit Anno 1356 gepflegtes Ritual der örtlichen Stadtgesellschaft. Anderntags lässt sie sich für die Managerinnen-Fotostrecke im Magazin „Bunte“ ausleuchten.

Eines hellgrauen Morgens um halb zehn steht sie im 23. Stock des Bahntowers an Berlins Potsdamer Platz in ihrem Büro. Anders als Vorstandskollegen kann Nikutta hier nicht über den Tiergarten gen Reichstagsgebäude und den Hauptbahnhof blicken, dafür aber auf die Häuserschluchten, das Gewimmel im Osten und Süden der Stadt. Der Blick schweift vom Roten Rathaus und dem Fernsehturm nach rechts über Kreuzberg nach Schöneberg.

Ihr Büro ist geschmückt mit Devotionalien der BVG-Abschiedsparty. Das U-Bahn-Stationsschild „Sigrid-Nikutta-Platz“ sucht noch einen Platz.

Während andere jetzt gerade ins Büro schlurfen, ist Nikutta schon fast fünf Stunden auf den Beinen. Sie hat sich ab 8 Uhr mit den Chefs der Güterbahnen aus den Benelux-Staaten, Frankreichs, Österreichs und der Schweiz zur Telefonkonferenz zusammengeschaltet. Thema: Wie könnte eine gemeinsame Linie aussehen beim Green Deal der EU? Und so geht Ihr Tag weiter im Viertelstundentakt.

Es bleibt noch weniger Zeit für die Familie als damals bei der BVG, weshalb ihre fünf Kinder zwischen drei und 16 Jahren auch „halbwegs entsetzt“ waren über ihren Wechsel, wie sie berichtet. Zu Hause führt Ehemann Christoph Mönnikes das operative Geschäft. Ein großgewachsener Mann, der seiner Frau auch mal bei offiziellen Anlässen zur Seite steht, um dann aber bei guter Gelegenheit schnell die Flucht ins Getümmel zu ergreifen, wie man vor drei Wochen beim Ball der Wirtschaft im Hotel InterConti am Berliner Zoo erleben konnte.

Nikutta bei einer Besprechung mit lokalen Führungskräften und dem Betriebsratsvorsitzenden in Halle.
Nikutta bei einer Besprechung mit lokalen Führungskräften und dem Betriebsratsvorsitzenden in Halle.
© Kevin P. Hoffmann

Sie muss und will da hin, ist sie doch immerhin Vizepräsidentin des gastgebenden Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Zum Ball trägt sie ein altrosa Abendkleid, dreht eine Tanzrunde mit Michael Müller übers Parkett und macht sich später ein wenig lustig darüber, dass mehrere Damen eine ähnliche Kleiderfarbe gewählt hatten. Ihrem Gatten wäre das nicht passiert: Mönnikes sticht heraus aus der Masse der tausend Pinguine, alle in weißem Hemd, schwarzem Smoking oder Frack. Er trägt schwarzes Hemd und Jacke aus tiefrotem Samt, dazu eine grün-lila gescheckte Fliege.

Dieser Mann macht Nikuttas Spagat zwischen Beruf, Familie und Ehrenamt möglich. Ein Freitagmittag, der letzte Tag im Januar: Sie nimmt die Fahrbereitschaft des Bahn-Towers, erreicht ein paar Minuten vor dem Termin den kleinen Rangierbahnhof Ruhleben in Spandau. Der Fahrer steuert die schwarze S-Klasse scharf links auf einen verwilderten Pfad, der das Grundstück eines Schrotthändlers von den Bahngleisen trennt.

Neben dem Parkplatz sind Container gestapelt, wie man sie von Baustellen kennt. Ein Gartenzwerg mit Helm wacht über einen Goldfischteich. Eine Stahltreppe führt zu dem Provisorium, das Fahrern der Rangierloks als Aufenthaltsraum dient – und nun der Chefin kurz als Pausenraum. Ein paar Minuten für sich. Eben hat ihr Ehemann die gerade ausgeteilten Schulzeugnisse der drei „Großen“ eingescannt und aufs Handy gemailt. Nikutta scheint sehr zufrieden – mit den Noten der Kinder, aber auch darüber, dass sie unterwegs in Echtzeit mitbekommen kann, was gerade daheim wichtig ist.

Christoph Mönnikes und Sigrid Nikutta beim "Ball der Wirtschaft" des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller im Hotel InterConti am 22. Februar 2020. Das Ehepaar hat fünf gemeinsame Kinder. Mönnikes führt daheim das "operative Geschäft".
Christoph Mönnikes und Sigrid Nikutta beim "Ball der Wirtschaft" des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller im Hotel InterConti am 22. Februar 2020. Das Ehepaar hat fünf gemeinsame Kinder. Mönnikes führt daheim das "operative Geschäft".
© DAVIDS/Dirk Laessig

Die letzte Meile: Es geht um viel Kohle

Mit dem Kopf zurück in Ruhleben will Nikutta jetzt begutachten, wie ihre Leute die „letzte Meile“ zu einem Kunden bewältigen. Das bedeutet, eine Fracht, die bereits um die halbe Welt und durch halb Deutschland transportiert worden ist, per Schiene an der Haustür abgeliefert wird. Der Kunde passt nicht so recht zu Nikuttas grüner Revolution auf der Schiene: Es ist Vattenfalls Heizkraftwerk Reuter. Hier geht’s um viel Kohle.

Nikutta streift eine orangefarbene Warnweste mit DB-Logo über und setzt den Helm auf, nimmt die Stufen zum Bahndamm hinauf, geht 100 Meter am Rangierweg und steht dann vor einer 1983 in Hennigsdorf montierten Rangierlok im Dieseldunst. Sie muss sich strecken zur ersten Stufe zum Führerstand. Drinnen begrüßt sie Martin Ziesak auf seinem Arbeitsplatz. Der 30-jährige gebürtige Spandauer meldet per Funk seine Rangierfahrt von Gleis 614 auf 645 an. Er holt zwölf Waggons voller Steinkohle aus Übersee, die eine Lok vom Hochseehafen Brunsbüttel an der Elbe abgeholt hat, um sie noch einen Kilometer zum Kraftwerk zu befördern.

Die hier verbauten Kommunikationsgeräte nehmen diesem Vehikel nur wenig vom Charme eines Panzers der NVA: Kippschalter, analoge Zeiger, Holzleisten rahmen die gekippten Fenster. So rollt Ziesak mit Nikutta zunächst 200 Meter mit rund 25 Kilometern pro Stunde in die eine Richtung, stößt seine Lok so sanft an den mehr als 1000 Tonnen schweren Kohlenzug an, dass man den Moment kaum spürt. „Das war aber mit viel Gefühl“, würdigt die Chefin. „Ja, mit etwas Übung bekommt man den Dreh raus“, erklärt der „Lrf“, wie er sich selber bezeichnet: „Lokrangierführer“.

Nikutta am Güterbahnhof Ruhleben der DB Cargo in Berlin-Spandau. Sie begleitet einen Rangierfahrer, der einen Zug voller Steinkohle aus Übersee ans Heizkraftwerk Reuter liefert.
Nikutta am Güterbahnhof Ruhleben der DB Cargo in Berlin-Spandau. Sie begleitet einen Rangierfahrer, der einen Zug voller Steinkohle aus Übersee ans Heizkraftwerk Reuter liefert.
© Stefan Weger

Nikutta kennt die meisten Vokabeln noch von früher. Und doch hat sich einiges geändert in diesem Beruf – oder soll sich jetzt bald ändern unter ihrer Regie. Zum Beispiel das Ankuppeln der Waggons. „Das ist eine körperlich anstrengende Tätigkeit, die wir digitalisieren und so unsere Mitarbeiter entlasten“, doziert Nikutta. „Ist ja schön, aber wir werden immer Menschen brauchen“, antwortet ihr junger Gastgeber Ziesack während er die Tür öffnet und die Treppe hinabsteigt, um die Lok per Hand an den Zug zu koppeln, also den Bügel über den Zughaken zu legen und die Druckluftschläuche zu verbinden.

Arbeiten im Zug: Auf der Heimfahrt von Halle nach Berlin geht Sigrid Nikutta mit ihrem persönlichen Referenten Akten durch.
Arbeiten im Zug: Auf der Heimfahrt von Halle nach Berlin geht Sigrid Nikutta mit ihrem persönlichen Referenten Akten durch.
© Kevin P. Hoffmann

Dann hält er sich mit beiden Händen an einer Stange am unteren Rand des Zuges fest, wie beim Klimmzug, um dann mit einem leichten Tritt zu überprüfen, ob die Bremsen tatsächlich locker sind. Man brauche Wissen, Erfahrung und Gefühl – und müsse übrigens acht bis zehn Kilometer gehen pro Schicht, erklärt der Mitarbeiter. Steigt ein Roboter auch so ein in den Limbo-Bremsen-Tanz bei Wind und Wetter? Müsste er wohl, sollen 35 Waggons voller Kohle pro Tag sicher zum Kraftwerk rollen. Andernfalls bliebe da der Brennstoff aus. Und Teile von Berlin kalt und duster.

Am Kraftwerk führt ein Arbeiter einer Fremdfirma noch vor, wie nach drei Handgriffen drei Dutzend Tonnen Steinkohle aus den Waggons in den Schacht des Kraftwerkes rauschen. Kurz, laut, heftig! Nikutta und ein paar Umstehende stehen direkt daneben, freuen sich über die gewaltigen Kräfte, die hier wirken. Hier sind bereits alle Hebel in Bewegung, wie irgendwann wohl im gesamten Konzern Deutsche Bahn.

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