Kommt nach Knabe eine Frau?: 26 Bewerbungen für Leitung der Gedenkstätte Hohenschönhausen
Seit einem halben Jahr ist Hubertus Knabe nicht mehr im Amt. Erstmals könnte nun eine Frau die Stasiopfer-Gedenkstätte leiten.
Mit ihrem Kurs im Fall Hubertus Knabe haben Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) an der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen einen grundlegenden Wandel eingeleitet - vor allem bei der Führungskultur. Obendrein könnte nun erstmals eine Frau an die Spitze der Gedenkstätte kommen.
Nach der Entlassung von Knabe als Chef der Gedenkstätte ist das Interesse für den Leitungsposten jedenfalls groß. Insgesamt 26 Bewerbungen liegen vor, wie ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters dem Tagesspiegel erklärte. Neun Bewerbungen sind von Frauen eingereicht worden. Zwölf der Bewerberinnen und Bewerber haben als Wohnsitz Berlin angegeben.
Die Stelle war Ende Januar, Anfang Februar ausgeschrieben worden. Grütters und Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) setzen in dem Verfahren auf breite Expertise und Fachkenntnis bei der Auswahl. Grütters hat eine siebenköpfige Findungskommission eingesetzt. Die Kommission - vier Männer und drei Frauen - soll unter den Bewerberinnen und Bewerbern eine Auswahl für die Neubesetzung treffen. Es sind vor allem ausgewiesene Experten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Zum Gremium gehören demnach die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, der Direktor der Stiftung Gedenkstätte Berliner Mauer, Axel Klausmeier, die Brandenburger Diktaturbeauftragte Maria Nooke und der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama. Weitere Mitglieder sind der Historiker Christian Sachse von der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und ehemalige Aussiedlerbeauftragte, Hartmut Koschyk (CSU), und die ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU), Marianne Birthler.
Die Kommission soll aus dem Bewerberpool eine Auswahl treffen und Vorschläge unterbreiten. Diese müssen dann dem Stiftungsrat der Gedenkstätte vorgelegt werden. Der Stiftungsrat, dem Lederer vorsitzt, muss dann eine neue Leiterin oder einen neuen Leiter berufen.
Grütters und Lederer halten das Verfahren von sich fern
Grütters und Lederer haben dieses Verfahren gewählt, um von Beginn an dem Verdacht zu entgehen, beide würden die Entscheidung beeinflussen oder über die Personalauswahl eine politische Ausrichtung der Gedenkstätte vornehmen. Deshalb sitzen in der Auswahlkommission auch keine Vertreter der Kulturstaatsministerin oder der Senatskulturverwaltung. Im Klartext: Grütters und Lederer halten das Verfahren weitestgehend von sich fern. Erst am Ende, wenn der Stiftungsrat einen neuen Leiter beruft, muss Lederer als Vorsitzender mitentscheiden.
Lederer selbst hatte dem Tagesspiegel bereits im Oktober erklärt, damit solle „die Fachkunde bei der Auswahl“ gestärkt werden. Zugleich wollte der Kultursenator damit der Unterstellung entgegenwirken, „es sei hier etwas anderes relevant gewesen als das Handeln der bisherigen Stiftungsleitung“. Lederer und Grütters wollen auch den Verdacht entkräften, ein linker Kultursenator könne jemanden, der das DDR-Unrecht verharmlost, zum Leiter der Gedenkstätte berufen. Grütters selbst hatte von einem „Vertrauenssignal an die Opfer der SED-Diktatur und an die Gruppe der Experten“ gesprochen, „die an der Aufarbeitung der SED-Diktatur beteiligt sind“.
Das Dienstverhältnis der neuen Gedenkstättenleitung ist laut Ausschreibung zunächst auf fünf Jahre befristet, wird aber eine Option auf Verlängerung enthalten. Der neue Direktor oder die neue Direktorin werde zugleich als Vorstand der vom Land Berlin und vom Bund getragenen Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen bestellt.
Hubertus Knabe hatte die Gedenkstätte mehr als 17 Jahre lang geleitet. Ende September war er wegen seines Umgangs mit Belästigungsvorwürfen gegen den Vize-Gedenkstättendirektor Helmuth Frauendorfer vom Stiftungsrat von seinen Aufgaben entbunden und entlassen worden. Der Stiftungsrat warf ihm vor, nicht entschieden genug gegen die sexuelle Belästigung von Frauen durch seinen Vize vorgegangen zu sein. Er habe die Missstände über Jahre geduldet, gedeckt und durch seinen Führungsstil befördert.
Kulturstaatsministerin Grütters hatte über „hässliche Einblicke“ gesprochen und über Knabe gesagt: „Er hat aber trotz mehrmaliger Ansprache nicht den Willen gezeigt, an der Situation in der Gedenkstätte etwas zu verändern.“ Knabe selbst hatte die Vorwürfe stets bestritten – und er hatte zunächst gegen seine Entlassung geklagt. Nach einem Vergleich mit der Senatskulturverwaltung hat er seine Klage aber zurückgezogen.
Verwaltungsgericht entscheidet: Senat muss Auskunft gegen über Details
Über die Details der Vereinbarung hatten beide Seiten Stillschweigen vereinbart – auch über die Höhe der Abfindung. Auskünfte dazu verweigerte die Kulturverwaltung. Auf einen Eilantrag des Tagesspiegels entschied das Verwaltungsgericht Berlin jüngst, dass Kultursenator Lederer doch Auskunft über die Höhe und begleitende Vereinbarungen zur Abfindung geben muss.
Lederer muss nach dem in erster Instanz ergangenen Beschluss auch bislang verweigerte Auskünfte zu Vorwürfen sexistischer Verhaltensweisen gegen Knabe erteilen. Bislang hat die Kulturverwaltung noch nicht entschieden, ob sie gegen den Beschluss Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) einlegt.
Politisch ausgestanden ist der Fall Knabe jedoch nicht. im Berliner Abgeordnetenhauses will die CDU-Fraktion einen Untersuchungsausschuss beantragen. Auch FDP und AfD dürften den Antrag wohl mittragen. In der CDU-Fraktion war monatelang um den Kurs im Fall Knabe gerungen worden. Zunächst war CDU-Fraktionschef Burkard Dregger gegen einen Knabe-Ausschuss, weil damit auch CDU-Landeschefin Grütters ins Visier geraten könnten. Doch die Kritiker setzten sich trotz Warnungen von Grütters, der Ausschuss sei „falsch und schädlich“, durch.
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