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Seit 2014 existierten Vorwürfe, in der Stasigedenkstätte Hohenschönhausen herrsche ein sexistisches Klima.
© Kitty Kleist-Heinrich

Sexuelle Belästigung: Wie sich die Frauen von Hohenschönhausen gewehrt haben

Sexuelle Belästigung und ein Klima der Angst: Eine Frauengruppe hat öffentlich gemacht, was in der Stasigedenkstätte geschah. Eine von ihnen spricht jetzt.

Sexuelle Belästigung beginnt für viele Frauen am Arbeitsplatz. Es sind vermeintlich kleine Gesten, die selten strafrechtlich verfolgt werden können, die den Alltag der Frauen aber unerträglich machen. Wie kann man sich dagegen wehren? Der Fall Hohenschönhausen ist beispielhaft dafür, wie Betroffene auf sexistische Strukturen aufmerksam machen können.

Am 11. Juni 2018 schicken sechs Frauen einen gemeinsamen Brief an die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters, den Berliner Kultursenator Klaus Lederer und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. In dem Brief berichten sie von sexueller Belästigung, strukturellem Sexismus und übergriffigen Verhaltensmustern durch Vorgesetzte in der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zwischen 2011 und 2018. Die Vorwürfe richten sich vor allem gegen den Vizedirektor der Gedenkstätte, Helmuth Frauendorfer. Frauendorfer war bereits 2016 verwarnt worden, als Mitarbeiterinnen sich zum ersten Mal beschwerten. 

Am 24. September 2018 wird Frauendorfer durch den Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, beurlaubt. Einen Tag später findet eine außerplanmäßige Sitzung des Stiftungsrates statt, einberufen von Senator und Stiftungsratvorsitzendem Klaus Lederer. In der Folge wird auch Hubertus Knabe freigestellt. Die Begründung: Er habe diese Übergriffe jahrelang geduldet, ohne Konsequenzen zu ziehen. Ein Kulturwandel in der Gedenkstätte sei mit ihm an der Spitze nicht mehr möglich. Knabe erhebt Einspruch gegen die Freistellung. Das Berliner Landgericht gibt seiner Klage am 23. November statt. Drei Tage später beruft der Stiftungsrat der Gedenkstätte Knabe jedoch mit sofortiger Wirkung als Vorstand und Direktor ab. Am 14. Dezember einigen sich Knabe und der Stiftungsrat auf einen Vergleich.

Anina F. ist eine der sechs Unterzeichnerinnen des vertraulichen Briefes, der später in der "Berliner Zeitung" veröffentlicht wurde. Ihren vollen Namen möchte sie nicht preisgeben. Erstmals erklärt sie hier, wie die Gruppe vorgegangen ist, um die Missstände an der Gedenkstätte Hohenschönhausen offenzulegen. "Zeit Online" hatte außerdem Einsicht in diverse Unterlagen, die die Vorgänge belegen. Dort ist dieses Interview auch zuerst erschienen.

Frau F., war es das Ziel Ihres Briefes vom 8. Juni 2018, dass sowohl der Vizedirektor als auch der Direktor die Gedenkstätte verlassen müssen?

Anina F.: Nein. Das Ziel unserer Gruppe war nicht: Frauendorfer und Knabe sollen entlassen werden. Auch wenn das im Nachhinein unausweichlich war, weil die Hierarchien an der Gedenkstätte natürlich an beide Persönlichkeiten geknüpft sind. Wir wollten vor allem über die von uns jahrelang erfahrenen und beobachteten Muster, Übergriffe und Belästigungen informieren und das an die Personen weitergeben, die die übergeordnete Verantwortung für die Gedenkstätte tragen, damit sich die Situation für zukünftige Mitarbeiterinnen ändert und sie nicht die gleichen Erfahrungen machen müssen wie wir.

Sie waren 2017 selbst an der Gedenkstätte tätig. Welche negativen Erfahrungen haben Sie gemacht?

Anina F.: Ich habe schon am Anfang meines Volontariats gemerkt, dass die Machtstrukturen in Hohenschönhausen unerträglich sind. Knabe hatte sich einen Machtapparat aufgebaut, der Angst verbreitete. Es herrschte unter ihm eine Kultur des Kleinhaltens. Jeder Text, jeder Brief, so meine Erfahrung als Volontärin, musste über seinen Schreibtisch gehen. Das ist eine Methode, um Menschen einzuschüchtern.

Ging es nicht vor allem um Sexismusvorwürfe?

Anina F.: Das sexistische und übergriffige Verhalten meines Vorgesetzten kam dazu. Damit meine ich vor allem unangebrachte Komplimente, anzügliche Blicke oder sehr nahes Herantreten an meinen Körper. Ich fühlte mich in der Gedenkstätte nicht als Person wahrgenommen, die inhaltlich kompetent ist und einen Studienabschluss hat, sondern als das hübsche Gesicht der Gedenkstätte betrachtet.

Wann beschlossen Sie, etwas dagegen zu unternehmen?

Anina F.: Im Herbst, also vor etwa einem Jahr, habe ich mir Rat bei einer ehemaligen Dozentin gesucht, die sich in der Gedenkstättenlandschaft auskennt. Als ich ihr von den Zuständen erzählte, war sie nicht überrascht. Es gab bereits seit Längerem Gerüchte über sexistische Strukturen in Hohenschönhausen. Die Dozentin kannte auch andere Frauen, denen es ähnlich ergangen war wie mir, und hat mir die Kontakte vermittelt. Mit diesen Frauen habe ich mich anschließend sehr viel ausgetauscht und im Dezember auch mit der Frauenbeauftragten der Senatsverwaltung für Kultur in Europa gesprochen. Die Frauenbeauftragte hat mich darin bestärkt, meiner Wahrnehmung zu vertrauen und mich der Situation zu entziehen. Sie hat anschließend mit der Senatsverwaltung gesprochen und mir mitgeteilt, dass ich aus der Gedenkstätte abgezogen werden kann. Nicht nur wegen des sexistischen Klimas, sondern auch, weil die Art meines Arbeitsverhältnisses unter der Leitung von Helmuth Frauendorfer so nicht erlaubt war: Nachdem es bereits 2016 mehrere Vorwürfe gegen ihn gab, verabredete der damalige Kultursenator Tim Renner mit Hubertus Knabe, dass Frauendorfer keine Volontärinnen mehr unterstehen dürfen, die vom Senat finanziert werden. Diese Verabredung wurde durch meine Arbeit in seinem Bereich gebrochen. Aufgrund eines Personalwechsels wurde ich von Frauendorfer übernommen und unterlag seiner Leitung. Knabe wusste davon. Im Januar dieses Jahres habe ich mich dann krankgemeldet, während sich der Senat um meinen Wechsel gekümmert hat. Ich konnte einfach nicht mehr in die Gedenkstätte gehen. Ab Februar habe ich eine neue Stelle zugewiesen bekommen. 

Wie und wann haben Sie sich mit den anderen Unterzeichnerinnen des Briefes zusammengeschlossen?

Anina F.: Als meine Dozentin mich an andere Betroffene vermittelt hatte, haben wir weitere Frauen angesprochen, die vertrauenswürdig erschienen und von denen wir wussten, dass sie in Hohenschönhausen gearbeitet hatten oder noch arbeiten. So haben wir Frauen gefunden, die von 2011 bis heute in der Gedenkstätte waren. Im März haben wir uns alle zum ersten Mal getroffen. Wir haben mit Erschrecken festgestellt, dass tatsächlich alle Ähnliches erlebt hatten: persönliche SMS zu später Stunde, nächtliche Arbeitsaufträge, unsachliches Lob und anzügliche Komplimente, Berührungen wie enge Umarmungen, Einladungen zu Bier oder Wein nach Feierabend, teilweise in die private Wohnung, und aggressive Umgangsformen, wenn man diese Einladungen ablehnte.

"Wir hatten nicht das Gefühl, politisch instrumentalisiert zu werden"

Seit 2014 existierten Vorwürfe, in der Stasigedenkstätte Hohenschönhausen herrsche ein sexistisches Klima.
Seit 2014 existierten Vorwürfe, in der Stasigedenkstätte Hohenschönhausen herrsche ein sexistisches Klima.
© Kitty Kleist-Heinrich

Wann haben Sie die Entscheidung getroffen, als Gruppe aktiv zu werden? 

Anina F.: Am Ende des ersten Treffens. Bei unserem zweiten und dritten Treffen haben wir dann überlegt, was die beste Vorgehensweise wäre. Wir haben darüber nachgedacht, direkt an die Presse zu gehen, uns aber dagegen entschieden. Wir wollten erst einmal mit den Personen sprechen, die tatsächlich etwas in Hohenschönhausen verändern könnten – und das sind die zuständigen Politiker und Politikerinnen. Es ist ja auch ihre Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass Sexismus und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht stattfinden. Deswegen haben wir gemeinsam diesen Brief an die Antidiskriminierungsstelle, die Kulturstaatsministerin und die Senatsverwaltung für Kultur und Europa geschickt. 

Man würde annehmen, die Mühlen dort mahlen langsam.

Anina F.: Ich glaube, es war direkt am nächsten Tag, als sich die Senatsverwaltung für Kultur und Europa bei uns gemeldet hat, das Büro der Kulturstaatsministerin wenige Tage danach. Wir haben sofort einen Termin bei Klaus Lederer bekommen und kurze Zeit später auch im Büro von Monika Grütters. Nur von der Antidiskriminierungsstelle haben wir nie etwas gehört.

Klaus Lederer gehört der Linken-Fraktion an. Während der Berichterstattung über den Fall Knabe hieß es mitunter, die Linken hätten die Sexismusvorwürfe politisch ausgenutzt. Was haben Sie bei dem Treffen mit dem Senator Klaus Lederer besprochen? 

Anina F.: Er wollte sich ein sehr genaues Bild davon machen, wie die Situation für uns in Hohenschönhausen war und was dort passiert ist. Das ist alles sehr vertraulich und professionell abgelaufen und wir haben uns die ganze Zeit sehr ernst genommen gefühlt. Wir hatten nicht das Gefühl, politisch instrumentalisiert zu werden. In den Wochen darauf haben wir uns mit einer Anwältin getroffen, die der Senat für den Fall beauftragt hat. Wir alle mussten Berichte verfassen und konkret schildern, was wann passiert ist. Die Übergriffe und Belästigungen wurden in diesen Sitzungen von der Anwältin so genau wie möglich dokumentiert. Lederer hat dann eine außerplanmäßige Stiftungsratssitzung für den 25. September einberufen. Kurz vor diesem Termin haben wir eine Interviewanfrage von einem RBB-Journalisten angenommen, der bereits an einer Geschichte über Hohenschönhausen recherchierte. So kam die Geschichte an die Öffentlichkeit. 

Gab es zu irgendeinem Zeitpunkt auch die Überlegung, den Direktor Hubertus Knabe oder den Vizedirektor Helmuth Frauendorfer direkt anzusprechen und mit den Vorwürfen zu konfrontieren?

Anina F.: Einige Frauen unter uns haben bereits während oder am Ende ihres Arbeitsverhältnisses in der Gedenkstätte das Gespräch gesucht. Ich habe zum Beispiel Helmuth Frauendorfer darauf hingewiesen, dass ich mit ihm lieber inhaltlich und fachlich diskutieren möchte, statt Komplimente für mein Aussehen zu bekommen. Aber sein Verhalten hat sich danach nicht geändert. Ich habe natürlich nicht gesagt: "Sie sind sexistisch." Das habe ich nicht gewagt. In Hohenschönhausen herrscht so eine erniedrigende und eingeengte Atmosphäre, dass sich keine von uns getraut hat, Frauendorfer oder Knabe direkt zu konfrontieren. Auch die enge Freundschaft zwischen den beiden war ein Grund dafür, das Gespräch nicht zu suchen. Aber einige Frauen sind am Ende ihres Volontariats zum Personalrat gegangen.

Warum sind Frauen oft nicht selbstbewusst genug, derartige Konfrontationen zu wagen?

Anina F.: Das Problem liegt nicht darin, dass Frauen oder andere nicht gleichberechtigte Personen wie People of Color und queere Menschen, nicht selbstbewusst genug sind. Es gibt ja genug Beispiele dafür, dass sie die Konfrontation gesucht haben, gerade im Rahmen der #MeToo-Bewegung. Es sollte eher danach gefragt werden, wie auf der Seite des Arbeitgebers besser damit umgegangen werden könnte. Warum wird Frauen oft nicht geglaubt? Es ist ja auch verständlich, dass viele nicht die Kraft haben, sich gegen jemand Mächtigeren zu stellen, vor allem, wenn sie sich noch in einem Arbeitsverhältnis befinden. Ich finde, es ist auch nicht die Aufgabe von Personen, die diskriminiert werden, das Gespräch und die Konfrontation zu suchen. Dafür gibt es Zuständige wie Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte oder den Personalrat. Außerdem bringt die Konfrontation offensichtlich nichts: Das sieht man daran, wie Knabe auf unsere Vorwürfe reagiert hat. Er hat sich bis heute nicht entschuldigt.

"Man sollte unbedingt den Mut aufbringen, darüber zu sprechen"

Seit 2014 existierten Vorwürfe, in der Stasigedenkstätte Hohenschönhausen herrsche ein sexistisches Klima.
Seit 2014 existierten Vorwürfe, in der Stasigedenkstätte Hohenschönhausen herrsche ein sexistisches Klima.
© Kitty Kleist-Heinrich

Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob Hubertus Knabe doch wieder als Direktor an die Gedenkstätte zurückkehren würde. Sind Sie erleichtert, dass das nicht passieren wird?

Anina F.: Schon. Aber die öffentliche Diskussion der vergangenen Monate hat uns sehr viel Energie gekostet und uns in gewisser Weise überrascht. In der Öffentlichkeit wurde vor allem über die Person Knabe gesprochen und seine Kündigung als das Ende der DDR-Aufarbeitung dargestellt. Es wurde kaum über die Zustände in Hohenschönhausen gesprochen oder darüber, dass wir sechs Frauen einen Brief verfasst haben, in dem wir über sexuelle Belästigungen in der Gedenkstätte berichten. Dabei sollte es genau darum gehen. Eines unserer Anliegen war ja auch, dass unser Brief und die anschließende Diskussion dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, in dem es für Frauen leichter wird, zu sprechen und auf Sexismus, sexistisches Verhalten und sexuelle Belästigung hinzuweisen. Aber das ist nicht wirklich passiert. Stattdessen wurde die Entlassung von Knabe zum Anlass genommen, Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Sie sind bis jetzt anonym geblieben. Wieso?

Anina F.: Viele von uns hatten Angst. Sie hatten Angst vor Knabe und vor den möglichen Auswirkungen auf ihre Karriere. Dies steht sinnbildlich für eine Gesellschaft, in der sexistisches Verhalten teilweise noch als Kavaliersdelikt verstanden wird. Das hat ja auch die Untersuchung von Marianne Birthler ergeben, die nach der Freistellung von Knabe vom Stiftungsrat als Vertrauensperson eingesetzt wurde. Ein weiterer Grund, warum wir anonym geblieben sind, war, dass wir keinen Grund gesehen haben, in der Öffentlichkeit mit Namen aufzutreten. Das tut nichts zur Sache. Das ändert nichts. Gegenüber dem juristischen Apparat und der Politik sind wir allerdings zu keinem Zeitpunkt anonym aufgetreten, sondern von Anfang an mit Klarnamen. Das war uns wichtig.

Welchen Rat würden Sie Frauen geben, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

Anina F.: Das Allerwichtigste ist, dass man sexuelle Belästigung und Übergriffe nicht für sich behält. Es gibt ein Antidiskriminierungsgesetz, dem jeder Arbeitgeber unterliegt. Es gibt also eine rechtliche Grundlage, die sexistisches Verhalten untersagt. Man sollte unbedingt den Mut aufbringen, darüber zu sprechen. Das kann auch erst einmal nur mit Freunden sein oder Kolleginnen, denen man vertraut. Aber es ist ganz wichtig, zu wissen, dass man im Recht ist und dass man dieses Recht auch einfordert. Diskriminierung ist nicht Ordnung. Es fällt viel leichter, sich Schritte in einer Gruppe zu überlegen als allein. Ich würde außerdem jeder Frau oder jeder Gruppe raten, genau zu überlegen, wer die übergeordnete Verantwortung trägt, und diese Personen wenn möglich einzubeziehen. In unserem Fall war es sehr eindeutig, dass die Politik zuständig ist, weil die Gedenkstätte zur einen Hälfte von der Berliner Senatsverwaltung und zur anderen von der Kulturstaatsministerin finanziert wird. Wir hatten großes Glück, dass beide sich so schnell einig waren und uns so unterstützt haben. In der freien Wirtschaft oder in kleinen Unternehmen ist es sicherlich schwieriger, etwas zu bewirken. Aber auch da gibt es Personen, die man ansprechen kann, und auch da gilt das Antidiskriminierungsgesetz.

Gibt es etwas, dass Sie im Nachhinein anders gemacht hätten?

Anina F.: Nein. Die Schritte waren richtig so. Wir bereuen nichts und waren zu keinem Zeitpunkt fremdbestimmt. 

Trifft sich Ihre Gruppe immer noch? 

Anina F.: Das beste Zeichen ist eigentlich, dass die Gruppe so ruhig geworden ist. Wir müssen uns nicht täglich austauschen, sondern schreiben nur ein paar E-Mails in der Woche und treffen uns auch viel weniger. Wir sind, glaube ich, auch alle sehr erschöpft. Vielleicht sollten wir trotzdem noch mal zusammenkommen und das Geschehene Revue passieren lassen. Wir sind schon sehr stolz, dass wir dazu beigetragen haben, dass sich in der Gedenkstätte und hoffentlich auch darüber hinaus etwas ändert.

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Carolin Würfel

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