Gedenkstätte Hohenschönhausen: Ex-Leiter Knabe geht zum zweiten Mal
Der frühere Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte suchte die Konfrontation – und bezog sein altes Büro. Doch er blieb nur kurzzeitig.
Hubertus Knabe ist vorbereitet. Unterm Arm trägt er eine rote Mappe, darin liegt eine Erklärung, die er gleich verlesen wird. Am Tor der Gedenkstätte Hohenschönhausen warten am Montagmorgen um halb acht knapp zehn Vertreter von SED-Opferverbänden. Mit Blumen und einer Schachtel Pralinen – für den am 25. September wegen Sexismusvorwürfen als Leiter der Gedenkstätte entlassenen Knabe. Fotografen sind auch schon da. Diese Bilder muss Knabe einkalkuliert haben: Er ist wieder da und kämpft. Und das hier ist ein Showdown nach einem Wochenende voller Wendungen. Ein Machtkampf auf offener Bühne. Wenige Stunden später werden die Bilder davon schon wieder Geschichte sein.
„Ich habe mich immer für die Opfer eingesetzt, das ist mein Auftrag, und das werde ich weiter tun“, sagt Knabe. Er freue sich, dass er sich wieder seiner Lebensaufgabe widmen könne. Soll niemand meinen, es ginge ihm um sich selbst, nein, seine Aufgabe ruft ihn, die Erinnerung an das brutale Unrecht in dem früheren Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit und dessen Aufarbeitung. Auch Opfervertreter sind gekommen, etwa zehn sind es, sie stimmen ihm zu und schimpfen, die alten Seilschaften von SED und Stasi seien noch immer am Werk. Eine junge Frau, Mitarbeiterin der Gedenkstätte, wird laut: „Was Sie hier machen, ist ein Schlag in mein Gesicht.“ Gilbert Furian, 73, der im Stasi-Gefängnis einsaß und nun als Zeitzeuge in der Gedenkstätte tätig ist, steht am Rand und sagt über Knabe: „Er hat mit seinem scharfen Antikommunismus und seiner blinden Linken-Schelte der politischen Bildung hier keinen Gefallen getan. Die Arbeit in der Gedenkstätte ist in eine bedenkliche Schieflage geraten.“
Das Vertrauensverhältnis ist zerrüttet
Ausgerechnet Knabe, der nach 17 Jahren als Direktor entlassen wurde, weil er nicht energisch genug gegen sexuelle Belästigungen in der Gedenkstätte vorgegangen sein soll. Der Vorkämpfer gegen das Vergessen der SED-Diktatur und gegen die politischen Erben einer Staatspartei, die in Berlin wieder mitregieren.
Zu ihnen zählt auch sein Gegenspieler, Kultursenator Klaus Lederer. Der Linken-Politiker eilt an diesem Morgen ebenfalls nach Hohenschönhausen. Unter seinem Vorsitz hat der Stiftungsrat am Sonntag entschieden, Knabe abzuberufen. Weil das Vertrauensverhältnis völlig zerrüttet ist, weil durch Knabe begangene Rechtsverstöße und Pflichtverletzungen festgestellt worden seien. Dabei geht es um den Umgang mit Geld, mit der Haushaltsordnung, auch mit Vorschriften.
Knabe betritt das Vorzimmer seines Büros. Das Türschild hängt noch: Raum 300, Direktion, Dr. Hubertus Knabe. Der neue kommissarische Leiter Jörg Arndt erklärt ihm, dass er abberufen wurde. Knabe hat einen Beschluss des Landgerichts Berlin in seiner roten Mappe dabei, eine einstweilige Verfügung, dass seine Freistellung aufgehoben und er bis Ende März weiter beschäftigt werden muss. Er zieht das Papier hervor und verlangt den Schlüssel für sein Dienstzimmer. Arndt lässt ihn gewähren. Neben Knabe stehen SED-Opfer, auch der FDP-Abgeordnete Stefan Förster ist dabei. Er gehört zu jenen, die vermuten, Knabe sei aus politischen Gründen entlassen worden, weil er ein unliebsamer Kritiker der mitregierenden Linken sei. Es sind nicht wenige, die das so sehen: Historiker, Kommentatoren und Politiker der Unions-Bundestagsfraktion. Das ist die eine Seite. Knabes Unterstützer bleiben dabei, auch wenn selbst Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) dem Intrigenverdacht energisch widersprochen hat.
„Ein Riss geht durch die Belegschaft“
Auf der anderen Seite geht es um Sexismus und Belästigung in der von Bund und Land Berlin finanzierten Stiftung. Es geht um konkrete Vorwürfe, die Knabes bisheriger Stellvertreter Helmuth Frauendorfer als teilweise berechtigt eingeräumt hat. Es geht aber auch um Knabe selbst. Weil die Vorwürfe intern teils seit Jahren Thema sind und Anweisungen der Kulturverwaltung zum Schutz von Mitarbeiterinnen nicht eingehalten wurden. Der Stiftungsrat befand im September, Knabe habe die Zustände geduldet, gedeckt und durch seinen Führungsstil befördert. Mitarbeiter beschreiben diesen Stil als aus der Zeit gefallen, fast schon autoritär.
Knabe und Lederer treffen an diesem Vormittag bei einer Mitarbeiterversammlung aufeinander. Hinter verschlossenen Türen stellt Lederer den neuen Chef, Jörg Arndt vor, der bis August an der Zentral- und Landesbibliothek war. Es gibt kurzen Applaus. Auch Knabe meldet sich zu Wort: Der Vorwurf, er habe die Belästigung von Mitarbeiterinnen geduldet, sei falsch. „Das Gegenteil ist der Fall.“ Er kritisiert, dass er „bis zum heutigen Tage“ nicht informiert worden sei, wer sich belästigt gefühlt hatte. Falsch sei auch die Behauptung, es habe ein Klima der Angst unter Mitarbeitern in der Gedenkstätte geherrscht. Jetzt, seit seiner Entlassung, gebe es ein Klima der Angst und des Misstrauens, die frühere Offenheit mit einer fast freundschaftlichen Zusammenarbeit sei zerstört. Rund 80 Mitarbeiter hören zu. Einige schütteln den Kopf, andere nicken zustimmend, berichten Teilnehmer. Der FDP-Politiker sagt: „Ein Riss geht durch die Belegschaft.“
Stelle wird neu ausgeschrieben
Kultursenator Lederer hält sich zurück. „Ich möchte größtmögliche Gelassenheit an den Tag legen“, sagt er später. Dass Knabe gekommen ist, es plötzlich zwei Chefs gibt, nimmt der Senator hin. Der Zustand hält nicht lange an. Am frühen Nachmittag setzt das Landgericht Knabes Verfügung außer Kraft – vorläufig. Knabe „darf nun doch vorerst nicht wieder in seinem bisherigen Aufgabenbereich tätig werden“. Das Gericht beruft sich auch auf Marianne Birthler, die frühere Chefin der Stasiunterlagenbehörde. Sie habe als Vertrauensperson mehr als 40 Gespräche mit Mitarbeitern geführt, in keinem seien die Sexismus- und Belästigungsvorwürfe angezweifelt worden. Vielmehr hätten Mitarbeiterinnen nach wie vor große Angst vor dem Ex-Direktor.
Am Nachmittag verlässt Knabe sein Büro – freiwillig. In wenigen Wochen wird seine Stelle neu ausgeschrieben.