Streit im Rothaargebirge: Wisent kontra Waldbesitzer
Seit drei Jahren lebt in Nordrhein-Westfalen eine Wisentherde in Freiheit - zum Ärger der Landwirte. Die Tiere fressen nicht nur dort, wo sie sollen.
Die Großen kehren zurück: Wölfe, Bären und Elche streifen wieder durch Mitteleuropa. In Nordrhein-Westfalen wurden vor drei Jahren die Zäune entfernt, damit eine Herde Wisente im Rothaargebirge in Freiheit leben kann. Doch es gibt Ärger. Vor 80 Jahren war der Wisent (oder: europäischer Bison) praktisch ausgestorben. Nur wenige Exemplare waren noch in Zoos und Wildgehegen in Europa zu finden. Vor allem während des ersten Weltkriegs dezimierten Wilderer die Herden. 1927 wurde das letzte frei lebende Exemplar im Kaukasus erschossen.
Im polnischen Nationalpark Bialowieza begann schließlich die Gegenbewegung. Biologen versuchten ab 1952, Wisente auszuwildern. „Das Ziel war, eine sich selbst erhaltende Population aufzubauen“, sagt Coralie Herbst, Wisentexpertin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. „Heute ist es mit 500 Tieren die größte freilebende Wisentherde weltweit.“
Ausgeprägte Vorliebe für Buchenrinde
Sie beschreibt den Wisentcharakter als selbstbewusst und gelassen. Doch allzu nah sollte man den bis zu 900 Kilogramm schweren Tieren besser nicht kommen. Überhaupt ist das Wildnisidyll nicht konfliktfrei. Während der Tourismus von Auswilderungsprojekten profitiert, kollidieren die Wildtiere buchstäblich mit wirtschaftlichen Interessen. In Polen beispielsweise sind Landwirte um ihre Felder und ihren Wald besorgt, könnten die Kolosse doch ihre Ernte gefährden. Das sei aber noch nicht passiert, sagt Herbst. Das Waldzentrum ist etwa 100 Quadratkilometer groß und bis auf den Tourismus unangetastet.
Anders sieht es bei dem deutschen Auswilderungsprojekt aus, das die Biologin betreut. In Wittgenstein im Rothaargebirge lebt eine kleine Wisentherde seit drei Jahren in freier Wildbahn. Ein privater Waldbesitzer hat dafür eine rund 4000 Hektar große Fläche bereitgestellt. Im Gegensatz zum polnischen Nationalpark werden die Wälder in dieser Region für die Forstwirtschaft genutzt. Das birgt reichlich Konfliktpotenzial. Denn die mittlerweile 17 Wisente haben eine ausgeprägte Vorliebe für Buchenrinde, vor allem außerhalb ihres vorgesehen Streifgebietes. Zwar war das Schälverhalten der Tiere bekannt, das Ausmaß jedoch hatten die Forscher nicht vorhergesehen. Eine Ursache könnte ein Mineralstoffmangel sein, den die Wisente mit Rinde kompensieren wollen, meint Herbst.
„In meinen Augen gehören die Tiere nicht hierher.“
Das ärgert einige Waldbesitzer im angrenzenden Hochsauerlandkreis, die den Wert ihres Waldes in Gefahr wähnen. Drei von ihnen haben gegen die „Wisent-Welt“, den Trägerverein des Projektes, geklagt. „Es wird gerne argumentiert, das Wisent sei ja ein höheres Gut als unser Waldbesitz“, sagt Georg Droste, Vorsitzender der Forstbetriebsgemeinschaft Oberkirchen. „Aber wenn ein Landwirt seine Rinder frei laufen lassen würde und die das Eigentum anderer beschädigen, ist das auch nicht in Ordnung.“
Die Bauern betonen, dass ihre Nöte von Anfang an nicht gehört wurden. Seit die Herde gewachsen ist, migrieren die Tiere zunehmend und knabbern sorglos an Buchen und Fichten. Sie bedienen sich auch gerne an den für Rotwild und anderen Jagdtieren angelegten Wildäckern. „Die Wisente können ja nichts dafür“, sagt Droste. „Aber in meinen Augen gehören die Tiere nicht hierher.“
Ein Fonds wurde eingerichtet, um Schäden zu regulieren
Der Vorsitzende der „Wisent-Welt“ und Bürgermeister von Bad Berleburg, Bernd Fuhrmann, sieht das freilich anders. Das Modellprojekt ist für ihn ein wichtiger Beitrag zum Artenschutz und eine Bereicherung der Umwelt. „Der Unmut ist definitiv verständlich, deshalb gibt es ja mehrere Ansätze, das Projekt einzudämmen und die Schäden finanziell zu erstatten“, sagt Fuhrmann. „Das haben wir großzügig getan.“ Sogar ein Fonds wurde dafür eingerichtet.
Den Waldbesitzern ist dies aber nicht genug, denn die geschälten Bäume sterben möglicherweise ab oder verlieren an Wert. „Wir wirtschaften seit 200 Jahren nach dem Nachhaltigkeitsprinzip“, sagt Georg Droste. „Wir wollen den Wald an unsere Erben weitergeben. Aber wenn der durch die Wisente geschädigt ist, geht das nicht.“ Eine Mediation zwischen Klägern und Verein ist gescheitert, und beide Seiten scheinen zunehmend ratlos, wie ein Kompromiss aussehen könnte.
Ein Gerichtsurteil fordert "geeignete Maßnahmen", um die Tiere fernzuhalten
„Wenn wir denn das Ei des Kolumbus finden würden, von heute auf morgen, dann würden wir alle Hebel in Bewegung setzen, um das umzusetzen“, bekräftigt Vorsitzender Bernd Fuhrmann. „Es ist aber so, dass man den Tieren nicht erklären kann, wo sie nicht hingehen dürfen, und dass sie das, was sie als lecker empfinden, nicht essen dürfen. Sie können ja nicht unterscheiden, was Wirtschaftswald ist und was nicht.“
Handeln müssen die Wisentfreunde dennoch. Laut einem Gerichtsurteil vom Oktober muss der Trägerverein „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, um den Tieren das Betreten der Grundstücke der Kläger zu verwehren. Der Verein will in Berufung gehen, prüft nach eigenen Angaben aber auch verschiedene Methoden, um die Forderung zu erfüllen. Dazu gehören zusätzliche Fütterungen, um die Wisente auf der „richtigen“ Seite zu halten, oder der Ankauf weiterer Grundstücke, auf die sie unbehelligt ausweichen können. Auch über Wisenthirten wird diskutiert. Das sind Menschen, die die Herde begleiten und versuchen, die Tiere zu vertreiben, wenn sie den Grundstücken der Kläger zu nahe kommen. Das Problem mit einem umfassenden Zaun zu lösen, kommt keinesfalls infrage. Denn dann wäre es keine Auswilderung mehr, sondern nur ein größeres Gehege.
Die Herde soll nicht mehr als 25 Wisente umfassen
Das Projekt im Rothaargebirge soll überhaupt erst zeigen, ob Wisente hierzulande wieder in freier Wildbahn etabliert werden können. Dabei soll die Herde eine Größe von 25 nicht überschreiten. Die Befürworter sprechen im Rothaargebirge von einem positiven Effekt für Tourismus und das Image der Region. Dennoch zeigt das Vorhaben deutlich, wie Artenschutz und Wirtschaftsinteressen kollidieren. Es wirft die Frage auf, wem der Raum und die Natur eigentlich gehören.
„Wildtiere im engeren Sinne und Natur im weiteren Sinne und Menschen werden immer Konflikte haben“, sagt die Biologin Herbst. „Aber ein solcher Konflikt allein reicht meiner Meinung nach nicht als Begründung aus, eine andere Art nicht zu dulden. Genauso wenig kann es ein Ziel sein, menschenleere Flächen zu schaffen.“ Für sie geht es vielmehr darum, einen Kompromiss zwischen menschlicher Nutzung und Naturraum zu finden. „Dies gilt für den Wisent, aber im Grunde auch für jede andere Art.“
Claudia Georgi