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Dänemark ist der weltweit größte Produzent von Nerzfellen. Im Land gibt es derzeit 1139 Zuchtfarmen und etwa 15 bis 17 Millionen Nerze, davon besonders viele in Nordjütland.
© REUTERS/Jacob Gronholt-Pedersen
Update

Nerze übertragen mutiertes Virus: Wie gefährlich ist die neue Coronavirus-Variante für Menschen?

Pelzlieferanten als Virusbrüter: In Dänemark ist eine neue Variante des Coronavirus auf Menschen übergesprungen. So schätzen Experten die Situation ein.

Nerzfelle sind trotz aller Bemühungen von Pelzgegnern nach wie vor gefragt. In Deutschland gibt es die Farmen, wo die Tiere gezüchtet und vermehrt werden, schon seit Jahren nicht mehr. In manchen Gegenden Dänemarks sind sie aber noch ein Wirtschaftsfaktor.

Schon recht früh während der Pandemie war bekannt geworden, dass sich das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 auch in Nerzen vermehrt. In den Farmen findet es dazu ideale Bedingungen, auch für die Entstehung neuer Varianten mit verändertem Erbgut. In Dänemark haben sich seit Juni mehr als 200 Menschen mit einer ursprünglich bei Nerzen aufgetretenen Variante des Coronavirus infiziert.

Das Risiko, dass sich die neue Virusvariante jetzt verbreitet, sei bislang schwer einzuschätzen, sagte Thomas Mettenleiter dem Tagesspiegel, es gebe noch zu wenige Informationen. „Die Lage bei den Ansteckungen von Menschen muss weiter gut beobachtet werden“, so der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit.

Die mutierte Variante zeigt Veränderungen in genau der Struktur, auf die viele der aktuell in Entwicklung befindlichen Impfstoffkandidaten zielen. Die dänische Regierung lässt, aus Sorge, dass diese neue Variante sich verbreitet und Impfstoffe gegen sie nicht wirken könnten, nun nicht nur sämtliche Farm-Nerze keulen, sondern sie riegelt auch Gebiete um die Pelztierfarmen ab. Die Hoffnung: Die bereist infizierten Menschen werden die Mutante nicht weitergeben und sie wird wieder aussterben, wenn die Erkrankten genesen.

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Ob die Situation objektiv besorgniserregend ist, ist derweil unklar. Hier sind die bislang bekannten Fakten:

Was ist passiert?
In Nerzfarmen in Dänemark waren eine große Anzahl von Tieren mit Sars-CoV-2 infiziert. Genaue Analysen zeigten zudem Mutanten, deren genetische Veränderung zu einer Modifikation der Oberflächenproteine führt, die das Virus nutzt, um in Zellen einzudringen. Das Spike-Protein der Stacheln des Virus ist aber auch der Angriffspunkt für Antikörper und einige der derzeit getesteten Impfstoff-Kandidaten.

Seit Juni haben sich mindestens 214 Menschen mit einer ursprünglich bei Nerzen aufgetretenen Variante des Coronavirus infiziert, teilte das dänische Gesundheitsinstitut SSI am Freitag mit. 200 der Fälle wurden in der Region Nordjütland nachgewiesen. In dieser Region befinden sich besonders viele Nerzfarmen. Landesweit wurde Sars-CoV-2 bereits in 216 Zuchtanlagen gefunden.

Welche Gefahr geht von dem mutierten Virus aus?
Unter neuen Varianten von Sars-CoV-2, die von Tieren auf Menschen überspringen, könnten auch solche sein, die effektiver von Mensch zu Mensch übertragen werden, schwerere Verläufe der Erkrankung Covid-19 hervorrufen oder häufiger zum Tod Infizierter führen.

Der fachliche Direktor des dänischen Gesundheitsinstituts SSI, Kåre Mølbak, sagte, dass die Variante widerstandsfähiger gegenüber Antikörpern sein könnte. Nach ersten Einschätzungen von Forschenden ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die dänische Variante gefährlicher ist als die derzeit schon weit verbreiteten Varianten.

Die Situation müsse weiter beobachtet werden, sagte Carl Bergstrom, Evolutionsbiologe an der University of Washington dem Gesundheitsnachrichtenportal „Stat“, aber die Entstehung eines Virenstamms, der Menschen leichter infizieren kann, in Nerzen sei unwahrscheinlich. „Ich glaube nicht, dass ein Stamm, der an Nerz angepasst ist, ein höheres Risiko für den Menschen darstellt“, wird auch Francois Balloux, Direktor des Genetikinstituts des University College London auf „Stat“ zitiert.

Bislang ist das Erbgut der Nerz-Variante aus Dänemark nicht eingehend analysiert. Nach ersten Informationen handelt es sich bei der Mutation um eine punktuelle Veränderung.

„Ich erwarte nicht, dass eine einzelne Mutation dramatische Auswirkungen hat“, wird Marion Koopmans zitiert, die am Erasmus Medical Center in Rotterdam Coronaviren analysiert hat, die im Frühjahr bei Nerzen in den Niederlanden gefunden wurden. Nach ihrer Einschätzung ist nicht zu befürchten, dass die derzeit entwickelten Impfstoffe nicht vor Infektionen mit der neuen Variante schützen würden.

Wie reagieren die Behörden?
Die Regierung in Kopenhagen hat verfügt, den gesamten dänischen Nerzbestand zu töten. Es handelt sich, soweit bekannt, um 17 Millionen Tiere, die sich auf mehr als 1000 Farmen verteilen. Zudem wurde der Zug- und Busverkehr zu sieben Kommunen im Norden Jütlands eingestellt, wo sich die Nerzfarmen befinden und mit der neuen Virusvariante infizierte Personen leben.

Betroffen sind etwa 280.000 Einwohner. Schüler der fünften bis achten Klasse sollen ab Montag aus der Ferne unterrichtet werden, gleiches gilt für Studenten weiterführender Bildungseinrichtungen. Restaurants, Sporthallen und Fitnessstudios müssten schließen, so Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Donnerstagabend. Alle Bürger in den betroffenen Kommunen werden aufgefordert, einen Corona-Test zu machen.

Welche Gefahr geht von den Tieren aus?
Die dänischen Behörden wollten anfänglich die Durchseuchung der Tierbestände fortschreiten lassen, bis sich eine Herdenimmunität entwickelt. Das Virus hätte dann zu wenige anfällige Tiere infizieren können, um sich weiter in der Population halten zu können. Dies wurde geändert, als sich das Infektionsgeschehen in den Nerzfarmen weiter ausbreitete.

„Hier geht es sowohl um Tierseuchenbekämpfung als auch um die Eliminierung von Infektionsherden, die auch für den Menschen gefährlich sind“, sagt Mettenleiter. Sars-CoV-2 sei eben ein Erreger, der zwischen Tier und Mensch in beide Richtungen übertragen werden kann.

Zunächst wurde das Virus wahrscheinlich von infizierten Menschen auf die Tiere übertragen. Von Frettchen, die wie Nerze zu den Mardern gehören, ist bekannt, dass ihre Zellen in den oberen Atemwegen ähnliche Merkmale besitzen wie Zellen des Menschen. „Es ist nicht überraschend, dass neben Frettchen auch Nerze empfänglich für Sars-CoV-2 sind“, sagt Mettenleiter. Damit die Tiere wieder Menschen anstecken können, ist ein enger Kontakt notwendig. Mit den Notschlachtungen sämtlicher Bestände soll dieser Infektionsweg ausgeschlossen werden.

Die Gefahr, dass Tiere entkommen und das Virus weiter verbreiten ist relativ gering. Zwar sind Nerze in einigen Regionen als gebietsfremde Art vertreten, weil sie aus Pelztierfarmen entkamen, aber enge Kontakte zwischen verwilderten Nerzen und Menschen sind unwahrscheinlich. Das Virus vermehrt sich im Organismus der Tiere auch nur wenige Tage, infizierte Tiere sind schnell wieder erregerfrei. Es ist zudem nicht bekannt, dass aus den betroffenen Farmen infizierte Nerze entkommen wären.

Gab es schon zuvor vergleichbare Tier-Mensch-Übertragungen?
Das Coronavirus Sars-CoV-2 stammt wahrscheinlich von Fledermäusen und könnte ursprünglich von Zwischenüberträgern wie Larvenrollern und Marderhunden auf Menschen übergesprungen sein. Eine oder mehrere Tier-Mensch-Übertragungen waren der Ausgangspunkt der derzeitigen Covid-19-Pandemie. Seither hat es weitere Übertragungen zwischen Mensch und Tier gegeben. Bei Ausbrüchen auf Nerzfarmen in den Niederlanden und den USA wurde das Virus wahrscheinlich von infizierten Mitarbeitern auf die Tiere übertragen. In den Niederlanden haben sich im Mai auch wieder Menschen bei den Tieren angesteckt. Es blieb jedoch bei Einzelfällen. Nach den Corona-Infektionen auf mehr als 40 Nerzfarmen haben die Niederlande das vorzeitige Ende der Pelztierzucht angekündigt. Zum 1. März 2021 müssen alle Zuchtbetriebe stoppen. Ein entsprechendes Gerichtsurteil sollte ursprünglich erst 2024 in Kraft treten. (mit dpa)

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