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Ändert sich das Erbgut (blau), dann hat das Auswirkungen auf das ganze von Sars-CoV-2-Virus, etwa wie Proteine (pink) daran binden.
© Illustration: EMBL/ Campbell Medical Illustration Ltd.

Das stete Mutieren des Covid-19-Erregers: Wie der Mensch die Evolution von Sars-CoV-2 formen kann

Masken tragen, Distanz halten - das könnte dazu führen, dass bald nur noch solche Viren zirkulieren, die diese Hürden überwinden können. Und zwar harmlosere.

Viren mutieren. Alle. Ständig. Es ist die Grundvoraussetzung für ihre Evolution, ihre Anpassung an die Vermehrungsbedingungen, die ihnen der Mensch bietet. Dieses Mutieren, diesen Prozess der allmählichen Veränderung können Forscher beim Sars-CoV-2-Virus von Anfang an in Echtzeit und so genau wie nie zuvor verfolgen.

Hat sich das Virus seit Januar bereits verändert? Gibt es infektiösere Varianten, aggressivere, gefährlichere für die Patienten? Oder sorgen gar die Abstandsregeln und Mundschutzgebote dafür, dass sich nur noch ganz bestimmte Viren vermehren können? Formt der Mensch das Virus mit?

Eine Mutation alle 14 Tage

Schon wenige Tage nach der Entdeckung des Covid-19 auslösenden Erregers Ende Dezember 2019 hatten chinesische Forscher die Erbgutsequenz von Sars-CoV-2 öffentlich zugänglich gemacht. Seitdem fließen täglich Informationen über neu sequenzierte Virusgenome aus aller Welt in die Datenbanken ein.

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Mal gleichen sie schon bekannten Sars-CoV-2-Varianten, mal weichen sie ab, denn das Virus mutiert ständig – „im Mittel etwa eine Mutation alle 14 Tage“, sagt Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel. Damit meint er nur jene Mutationen, die „übrig“ bleiben. Denn jedes Mal, wenn das Virus eine Zelle befällt und dort vermehrt wird, macht der Kopierapparat Fehler – hunderte, tausende. Andreas Bergthaler vom Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien spricht von einer ganzen „Wolke von Varianten in einem Menschen“. Die meisten führen zu elementaren Defekten – Endstation.

Von den wenigen übrigen Mutationen sind die meisten „still“, verbessern oder verschlechtern also nichts. Doch einige wenige steigern womöglich die Infektiosität des Virus, verschlimmern die Covid-19-Erkrankung oder ändern die Überlebensdauer der Viren, etwa in Aerosolen.

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Die Mutationen zu kennen und zu kartieren ist das eine. Das ermöglicht Nehers „Nextstrain.org“-Projekt. Die Website sammelt und sortiert die verschiedenen Sars-CoV-2-Varianten, „damit man die Diversität und Evolution der Viren nachverfolgen kann“, sagt Neher.

Die Mutationen dienen dabei nur als „Signatur“, als „Ausweise“ für die Herkunft der Viren. So lässt sich etwa erkennen, dass der derzeitige Sars-CoV-2-Ausbruch in Peking wohl auf Virusvarianten aus Europa zurückzuführen ist.

Was eine Mutation bewirkt, kann nur in Experimenten untersucht werden

Weit schwieriger ist herauszubekommen, ob eine bestimmte Mutation in einem der Gene des Virusgenoms die Eigenschaften des Erregers verändert. Dazu muss man die mutierten Viren experimentell testen. Das ist aufwändig, nicht zuletzt, weil solche Experimente nur in Sicherheitslabors stattfinden können.

Iinfografik: Können Schutzmasken das Ansteckungsrisiko verringern?
Iinfografik: Können Schutzmasken das Ansteckungsrisiko verringern?
© Tagesspiegel/ Rita Böttcher

„Sechs Monate nach Beginn einer Pandemie kann man nicht erwarten, dass wir jetzt schon über jede Mutation Bescheid wissen“, sagt Neher. Derzeit wird spekuliert, dass eine Mutation namens „D614G“, die auch in europäischen Virusvarianten vorhanden ist, die Stabilität des „Spike“-Proteins von Sars-CoV-2 optimiert, also dem „Stachel“, der dem Erreger Zutritt zur Zelle verschafft.

Darauf deuten Experimente an Zellkulturen hin – es wäre die erste funktionelle Veränderung des Virus. Doch Belege, dass sich Viren wegen dieser Mutation jetzt besser verbreiten oder sonstwie anders verhalten würden, gibt es nicht, betont Neher.

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Zwar habe sich diese Virusvariante in Europa relativ schnell durchgesetzt, sagt Neher, aber wohl aufgrund eines „Gründereffekts“: Viren mit dieser Mutation waren zufällig an einem der schnellwachsenden Ausbrüche im Februar beteiligt, weshalb sie jetzt so häufig sind.

„Wir können aus der Dominanz dieser Mutation nicht schließen, dass sich Viren mit dieser Mutation schneller verbreiten“, sagt Neher, „denn die Zufälle spielen gerade zu Beginn dieser exponentiell wachsenden Ausbrüche eine sehr, sehr wichtige Rolle.“ Bisher gehe man davon aus, „dass die Mutationen, die wir bislang beobachten, keinen signifikanten Unterschied für Transmission oder Virulenz der Viren machen“, sagt Neher.

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Auch Michael Ryan, dem Leiter des Notfallprogramms der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge gibt es „keine Informationen über eine besonders pathogene Virusvariante oder Virus-Mutationen, die die jetzt entwickelten Impfstoffe oder Medikamente womöglich unwirksam machen könnten.

Das Verhalten des Wirtes bestimmt mit, welche Viren sich künftig vermehren können

Klar ist, dass die Rahmenbedingungen bestimmen werden, welche Viren aus den „Wolken“ von Varianten künftig selektiert werden. Wird das Virus gezwungen, sich in einer Bevölkerung zu vermehren, die Masken trägt und Distanz hält, dann werden womöglich „nur solche Viren sich vermehren können, die ihren Wirt länger schonen und ihn länger gesund rumlaufen lassen, damit er noch andere anstecken kann“, sagt Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Gießen.

Dem Virus sei es zwar „komplett egal“, wie krank es den infizierten Menschen macht oder ob er stirbt, solange dieser Mensch das Virus vorher weitergegeben hat.

Aber „wenn wir etwa mit Masken den Zeitraum verlängern, bis der nächste Wirt infiziert werden kann, richten wir die Selektion auf solche Virenvarianten aus, die vorwiegend im oberen Rachenraum bleiben und den Wirt eher schonen und weniger krank machen“, sagt Weber. Denn so hat das Virus eine höhere Chance auf Übertragung. „Es kann also durchaus sein, dass wir durch die ganzen Hygienemaßnahmen die Evolution des Virus in diese Richtung treiben.“

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