Immunzellen als Boten: Wie die Darmflora das Denken beeinflusst
Eine intakte Darmflora macht den Geist beweglich. Die Verbindung ins Hirn stellen Immunzellen her, die schnell in jede Ecke des Körpers kommen. Das haben Berliner Forscher bei Mäusen beobachtet.
Wenn Mäuse wochenlang Antibiotika bekommen, werden dadurch nicht nur fast alle Bakterien in ihrem Darm abgetötet. Sie bilden auch weniger neue Nervenzellen im Gehirn als gesunde Tiere, ihr Gedächtnis ist beeinträchtigt. Als Boten zwischen Darm und Hirn fungieren bestimmte weiße Blutkörperchen (Immunzellen), die sich schnell im ganzen Körper bewegen können, schreibt ein Team um Susanne Wolf vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin im Fachblatt „Cell Reports“. Innerhalb einer bestimmten Balance könne sich das Gehirn so auf bedrohliche Situationen einstellen, sagt Wolf. Viel zu viele der Immunzellen (wie beim Nervenleiden Multiple Sklerose) und viel zu wenige (wie bei den Mäusen) seien ein Problem.
Sinkt die Zahl dieser Immunzellen – genauer: Ly6Chi-Monozyten – wegen der fehlenden Darmbakterien, kann sich die Gedächtnisschaltzentrale namens Hippocampus nicht mehr gut erneuern. „Bei Mäusen bilden sich dort normalerweise alle vier Wochen rund 1000 neue Zellen“, sagt Wolf. „Das ist wichtig für die Orientierung im Raum und dafür, Neues in einen Kontext einzuordnen sowie Muster zu erkennen.“ Auch beim Menschen mehrten sich die Hinweise, dass neue Nervenzellen (Neurogenese) für geistige Beweglichkeit sorgen.
Ein Weg, über den das Hirn auf Veränderungen im Körper reagiert?
Wolf interessiert sich für das Zusammenwirken von Immunsystem und Neurogenese. Die besonders schnellen weißen Blutkörperchen spielen dabei eine zentrale Rolle, zeigten sie und ihre Kollegen in einer Serie von Experimenten. Nachdem ein Mix aus fünf Antibiotika das Mikrobiom im Darm der Mäuse ausgeschaltet hatte, versagte ihr Gedächtnis: Die Forscher setzten sie in eine Box mit zwei neuen Objekten - die Tiere liefen neugierig um sie herum und schnupperten ausgiebig. Nach einer Minute wiederholten die Forscher das Experiment, hatten aber ein Objekt ausgetauscht. Wie erwartet interessierten sich die Mäuse nun vor allem für das Neue.
Drei Stunden später konnten sie sich allerdings nicht mehr daran erinnern, was sie schon einmal gesehen hatten. Sie untersuchten alle Objekte gleichermaßen. Unbehandelte Tiere dagegen konzentrierten sich abermals auf das, was ihnen noch nie begegnet war. Ihr Gedächtnis funktionierte gut.
Als die Forscher später das Gehirn der Tiere untersuchten, sahen sie ebenfalls deutliche Unterschiede. Die Mäuse, die Antibiotika bekommen hatten, bildeten deutlich weniger neue Nervenzellen im Hippocampus. Außerdem war die Zahl der weißen Blutkörperchen im Gehirn reduziert. Waren die Immunzellen entscheidend? Mäuse mit gesundem Darm, die aufgrund ihrer Gene oder wegen Antikörpern nur wenige Immunzellen bilden konnten, hatten jedenfalls die gleichen Defizite. Außerdem verbesserte sich die Situation der Tiere mit zerstörter Darmflora, wenn sie die Immunzellen gespritzt bekamen, schreiben Wolf und ihre Kollegen.
„Vielleicht ist es ein Weg, über den das Hirn generell auf Veränderungen in anderen Teilen des Körpers reagieren kann“, sagt sie. Die Kommunikation hätte damit eine weitere Komponente - neben Nerven, Hormonen und Stoffwechselprodukten.
Bewegung hilft. Probiotika auch
Die Ergebnisse bedeuteten nicht, dass Antibiotika immer das Denken beeinflussen. Schließlich hätten die Mäuse eine extrem hohe Dosis bekommen, sagt sie. Bei einer Langzeittherapie sollte man jedoch auf diese Nebenwirkung achten. Die gute Nachricht: Probiotika können nicht nur die Darmflora wiederherstellen. Sie brachten die Neurogenese bei den Mäusen wieder ebenso gut wieder in Schwung wie Bewegung.
Die Zusammenhänge zwischen Darmflora, Immunzellen und Gehirn würde Wolf nun gern gemeinsam mit Ärzten der Charité erforschen. Pläne für eine Pilotstudie mit depressiven Patienten und solchen, die unter einer entzündlichen Darmerkrankung leiden, seien fertig. Es fehlt nur noch das Geld.
Jana Schlütter