Fitness: Auf dem Laufenden bleiben
Aktiv im Alter: Charité-Forscher untersuchen, wie sich Sport und Computer auf die Psyche auswirken.
Die Berlinerinnen, die an diesem Mittwochabend erwartungsvoll im großen Hörsaal des Charité-Hochhauses sitzen, sind überdurchschnittlich gebildet, überdurchschnittlich fit und überdurchschnittlich gesund. Das kann ihnen die Psychologin Verena Klusmann sozusagen amtlich bestätigen. Als Teilnehmerinnen des Projekts „Berlin bleibt fit“ haben sich die Damen nämlich mehrfach verschiedenen psychologischen Tests unterzogen, zu Beginn der Studie sind sie zudem auch medizinisch und sportmedizinisch untersucht worden.
Für einige liegen diese Eingangsuntersuchungen inzwischen schon zwei Jahre zurück. Umso gespannter sind sie auf die ersten Ergebnisse der Langzeitstudie, die unter Leitung von Charité-Psychiaterin Isabella Heuser im Rahmen des Graduiertenkollegs „Neuropsychiatrie und Psychologie des Alters“ läuft. Schließlich haben die meisten von ihnen dafür sechs Monate lang in Sportkursen geschwitzt und in Computerlehrgängen gegrübelt.
Nicht allein die Teilnehmerinnen, allesamt Frauen über 70, haben Grund, gespannt zu sein. Denn die Frage, die sich das Forscherteam um Isabella Heuser stellte, bewegt eigentlich die ganze Welt: Welche Aktivitäten helfen wirklich, um auch im Alter sein geistiges Niveau zu halten? Und was genau kann ich selbst tun, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, möglichst lange selbstständig leben zu können?
Inzwischen mehren sich Hinweise, dass Bewegung dabei helfen kann. Sie stammen teilweise aus Versuchen mit Mäusen, deren Nervenzellen sich besser verschalten, deren Gehirn besser durchblutet wird und die sich Neues besser merken können, wenn sie im Labor körperlich aktiv sein dürfen.
Einige Studien geben Hinweise darauf, dass körperliches Training die Gedächtnisleistung auch bei Menschen verbessert. Bisher fehlen dafür jedoch die richtig harten Beweise: Die Untersuchungen hatten entweder wenige Teilnehmer, basierten auf Selbstberichten statt auf objektiven Tests, waren nicht langfristig genug angelegt oder verteilten die Versuchspersonen nicht nach dem Zufallsprinzip auf eine der Gruppen.
Genau an dem Tag, an dem eine Forschergruppe vom anderen Ende der Welt, aus dem australischen Perth, Ergebnisse einer strenger angelegten Untersuchung veröffentlichte (siehe Infokasten), wurden nun auch die ersten Ergebnisse von „Berlin bleibt fit“ vorgestellt.
Insgesamt 228 Berlinerinnen im Alter zwischen 70 und 93 Jahren wurden genau untersucht. Das Projekt hat der australischen Studie voraus, dass hier nicht nur die Wirkung körperlicher Aktivitäten, sondern auch neuer geistiger Herausforderungen auf die psychische Verfassung untersucht worden sind. Die Frauen haben in Kleingruppen zu je zwölf Teilnehmerinnen ein halbes Jahr lang entweder dreimal in der Woche an einem Sportkurs oder an einem Computerkurs teilgenommen oder – meist zu ihrem Leidwesen – „nur“ zur Kontrollgruppe gehört. Eigentlich nicht weiter erstaunlich, dass die älteren Damen, die die Initiative zur Teilnahme an dem anspruchsvollen und zeitintensiven Langzeit-Projekt ergriffen, in puncto Intelligenz und verbalem Ausdrucksvermögen, aber auch im Ausbildungsniveau deutlich über dem Altersdurchschnitt liegen.
Wichtig ist jedoch, dass sie in einigen Punkten noch einmal deutlich von den Kursen profitierten. Gebessert hat sich das Gedächtnis für zusammenhängende Informationen, wie es sich im Nacherzählen von Geschichten zeigt – und zwar sowohl in der Sport- als auch in der Computergruppe. Als Erfolg gilt auch, dass das Gedächtnis für Informationen, die voneinander unabhängig sind, und die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Dimensionen zu wechseln, nach Kursende genauso gut war, wie zu Beginn. Denn bei den Frauen aus der Kontrollgruppe hatte sich beides in der Zwischenzeit etwas verschlechtert. Auf das Gedächtnis scheint die Teilnahme an einem Bewegungsprogramm sich genauso segensreich auszuwirken, wie die an einem Computerkurs. „Es ist egal, was Sie machen. Hauptsache, es ist neu und anregend“, versichern die Psychologinnen.
Das passt interessanterweise nicht ganz zur Selbsteinschätzung der Teilnehmerinnen. Diejenigen, die am Computer gepaukt hatten, schätzten die Auswirkungen auf ihre Merkfähigkeit deutlich besser ein als die Teilnehmerinnen des Sport- und Fitness-Programms. Auf die Stimmung hatten dafür nach eigenem Befinden nur Sport und Bewegung einen bedeutenden günstigen Einfluss, meinten die Seniorinnen.
Die Psychiaterin Isabella Heuser und ihre Kollegen haben für ihre Studie gewissermaßen nebenbei auch Strategien getestet, die dabei helfen, Teilnehmer von Kursen langfristig bei der Stange zu halten. Ihr Fazit: Um für einen Computerkurs dauerhaft motiviert zu bleiben, sei vor allem die Überzeugung entscheidend, dass man es schaffen kann. Für das Bewegungsprogramm sei es außerdem wichtig, den Alltag umsichtig zu planen, um den berühmten inneren Schweinehund zu überlisten.
Den Frauen aus der Kontrollgruppe wurde nach Ende der Testphase als Trostpflaster ebenfalls ein Sportkurs angeboten. Schließlich wollen die Wissenschaftler alle Versuchspersonen bei der Stange halten. „Denn wir möchten weiter mit Ihnen forschen“, versicherte Heuser den Teilnehmerinnen. Geplant sei zum Beispiel eine Wiederholung der Tests im zeitlichen Abstand. Die Forscher wollen aber auch anhand genetischer Tests herausfinden, wer von der sportlichen Aktivität im Alter besonders profitieren könnte.
Isabella Heuser möchte die Teilnehmerinnen aber auch für eine neue Studie gewinnen. Das Thema lautet: Begeisterungsfähigkeit im Alter. Unter anderem soll es darum gehen, was es denn so mit dem Verlieben in reiferen Jahren auf sich hat. „Vorher gehen wir noch in Andreas Dresens neuen Film ,Wolke neun’“, verabredeten sich noch im Hörsaal zwei der Damen.
Adelheid Müller-Lissner
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