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Wo der Mensch Berührung mit der Natur hat, bleibt oft nicht viel von ihr übrig. Nur wenige Arten können in den veränderten Lebensräume fortbestehen.
© Marcelo Sayao/dpa

Mehr Natur wagen: Wie Artenvielfalt vor Pandemien schützt

In der Covid-19-Pandemie richtet sich die Aufmerksamkeit auf Tests, Eindämmungsmaßnahmen und Impfstoffe. Über die Symptome vergessen wir die Ursachen.

Immer wieder ist zu hören, so etwa von Kanzleramtschef Helge Braun zu Beginn des zweiten Lockdowns, Covid-19 sei eine Naturkatastrophe, die unvermittelt über uns gekommen ist. Doch unsere Gesundheit gefährden wir zunehmend auch durch unseren zerstörerischen Umgang mit der Natur.

Drei Viertel der Landoberfläche der Erde hat der Mensch inzwischen zu seinem Nutzen verändert, für seine Städte und Verkehrswege, vor allem aber als landwirtschaftliche Nutzflächen für seine Ernährung. Mit der Landnutzung durch eine stetig wachsende Weltbevölkerung gerieten in den vergangenen Jahrzehnten in beschleunigter Weise immer mehr Tier- und Pflanzenarten und damit die Biodiversität in Bedrängnis. Bestände von Pflanzen und Tieren schrumpfen oder verschwinden vollständig aus angestammten Verbreitungsgebieten.

Die Populationen anderer Arten nehmen dagegen zu. Die Verlierer dieses Artenwandels sind ökologisch spezialisierte Tiere, die bestimmte Nahrung oder Lebensräume brauchen und die selten, größer und langlebig sind. Dagegen sind die Gewinner meist Generalisten, die häufiger und kleiner sowie kurzlebiger sind.

Ratten statt Rhinozerosse, lautet die vereinfachte Formel dieses vom Menschen verursachten ökologischen Wandels im Zeitalter der Menschheit, dem Anthropozän. Arten mit rascher Fortpflanzungsweise kommen zudem selbst mit Infektionen besser zurecht als Arten mit langen Fortpflanzungszyklen – und sie übertragen sie eher auf andere Wirte.

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Umgewandelte Habitate

Ein Team um Kate Jones vom University College in London hat untersucht, wie sich die Umwandlung von Natur- in Nutzflächen auf das Risiko auswirkt, dass Krankheiten von Tieren auf Menschen übertragen werden. Es sind eben jene ökologischen Gewinner in den veränderten landwirtschaftlichen und städtischen Lebensräumen, berichteten die Forschenden im Wissenschaftsmagazin „Nature“, die deutlich häufiger und zahlreicher mit Krankheitserregern wie Viren und Parasiten infiziert waren, als Arten in noch weitgehend ungestörten Ökosystemen.

Dazu haben sie Daten aus mehr als 600 Studien zum Vorkommen von weltweit knapp 3900 Wirbeltierarten ausgewertet, und mit Befunden zur Virenbelastung dieser Arten verglichen, bei denen insgesamt 5700 Krankheitserreger nachgewiesen sind. Die weltweit größten Reservoire für Zoonosen sind Nagetiere wie Mäuse und Ratten, außerdem Fledermäuse und einige Affenarten. Dabei tragen die Arten, deren Bestände dank des Menschen eher zugelegt haben, deutlich häufiger und mehr Erreger in sich, als bedrohte Arten mit abnehmenden Populationen.

Tiere, die Menschen krankmachen, sind entweder jene, die am besten in vom Menschen dominierten Lebensräumen gedeihen, oder solche, die wir domestiziert haben. Daher ist auch Sars-CoV-2 keineswegs, wie bisweilen unterstellt, ein „Dschungelvirus“. Es wurde wahrscheinlich von Nutztieren übertragen.

Vielmehr ist es der Mensch, der Zoonosen wie Covid-19 fördert, indem er die Lebensbedingungen bestimmter Tierarten einschneidend verändert und Zusammentreffen mit ihnen provoziert. Durch die Umwandlung von Natur- in Kulturlandschaft verursachen wir nicht nur das Verschwinden von immer mehr Tier- und Pflanzenarten. Wir fördern dadurch auch ausgerechnet jene Arten, könnten. Indem der Mensch immer mehr Natur zu seinem Nutzen umwandelt, erntet er unabsichtlich auch immer mehr der gefährlichen Infektionskrankheiten wie zuletzt Sars oder jetzt Covid-19.

Wir schaffen uns unsere Krankheiten also selbst, indem wir bestimmten Arten ideale Bedingungen bieten. Tödliche Viren kommen nicht plötzlich und unvermittelt aus der unberührten Wildnis abgelegener Urwälder zu uns. Vielmehr lauert die Gefahr in den zu Nutzflächen des Menschen umgewandelten Habitaten, in neuen Agrarflächen, entlang der jüngsten Siedlungsränder, überall dort, wo Wildtiere neuerdings vermehrt in Berührung mit Menschen kommen.

Natur schützen heißt daher also auch Gesundheit schützen. In den vergangenen Jahrhunderten sind im Schnitt zwei Virusinfektionen auf den Menschen übergesprungen, Sars, Vogelgrippe und nun Covid-19 eingerechnet. Das Risiko zukünftiger Übersprünge ließe sich erheblich reduzieren, wenn wir die weitere Vernichtung und Fragmentierung tropischer Regenwälder verhindern und den zunehmenden Wildtierhandel beschränken.

Förderung von Raubbau

Ein Team von Ökonomen, Ökologen und Virologen um Andrew Dobson rechnet im Fachmagazin „Science“ vor, dass die jährlichen Kosten zur Bekämpfung von Pandemien mit überschlägig 22 bis 31 Milliarden US-Dollar um zwei Größenordnungen niedriger liegen als die direkten Ausgaben für Gesundheit und zur Stützung der Wirtschaft.

Eingerechnet wurden dabei die Kosten für die Überwachung des Wildtierhandels, etwa durch die Cites-Konvention, für Programme zur Erkennung, Kontrolle und Reduzierung von Zoonosen, für Maßnahmen zur Eindämmung des Risikos von auch für den Menschen gefährlichen Nutztierseuchen, die Reduktion von Regenwaldrodungen um die Hälfte und die Kosten zur Beendigung des Wildtierhandels in China. Ihr Fazit: Pandemie-Prävention und der Erhalt von Biodiversität hilft gegen zukünftige Seuchen wirkungsvoller als nachträgliche Hilfspakete.

Ähnliche Rechnungen vom Nutzen des Naturschutzes machten unlängst auch Forscher um Anthony Waldron von der Cambridge University und vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf. Das übereinstimmende Ergebnis solcher Kosten-Nutzen-Analysen: Es lohnt sich, in Natur zu investieren. Beispielsweise lassen sich durch Schutzgebiete mit naturfreundlichem Tourismus oder durch aus der Natur gewonnene Wirkstoffe 500 Milliarden US-Dollar erwirtschaften.

Allein 350 Milliarden US-Dollar ließen sich einsparen, indem wir jene Natur schützen, die sogenannte Ökosystem-Dienstleistungen erbringt. New York City etwa hat zwei Milliarden US-Dollar in den Schutz des Gebietes investiert, aus dem es sein Trinkwasser bezieht, statt für das Fünffache eine Aufbereitungsanlage zu bauen. Solche Beispiele gibt es zuhauf. Regenwald hilft dem Klima, Mangrovenwälder schützen Küsten vor Stürmen, Stadtbäume filtern Schadstoffe und im Agrarland hilft Artenvielfalt dem Anbau unserer Nahrungsmittel.

Doch damit Natur Geld bringt, muss zuvor in den Schutz investiert werden. Statt weltweit derzeit 24 Milliarden müssten es 140 Milliarden sein, so die Autoren um Waldron. Das seien gerade einmal 1,6 Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes und nur ein Drittel dessen, was für umweltschädliche Subventionen ausgegeben werde, mit denen weiterhin Raubbau an Wäldern und Meeren gefördert wird.

Artenvielfalt und Gesundheit

Auch die Autoren der Dobson-Studie schätzen, dass die Kosten zur Prävention einer Pandemie gerade einmal zwei Prozent der Kosten von Covid-19 betragen. In ihrer Studie umreißen sie allerdings nur, welche Maßnahmen zum Pandemieschutz am sinnvollsten wären. Welche Überwachung von neuen Krankheiten machbar ist, ist eine andere Frage. Kein Zweifel lassen sie indes daran, dass es wichtiger denn je ist, die Virenjagd international zu vernetzen. Die Studie von Jones weist den Weg, nach welchen Wirtstierarten zuerst zu fahnden ist. Ganz oben auf der Liste stehen neben jenen Arten, die von den Lebensraum-Veränderungen durch den Menschen profitieren, auch solche, mit denen Menschen in Afrika und Asien neuerdings immer häufiger in Kontakt kommen, etwa durch Handel und Verzehr von Wildtieren. Deshalb schlagen Experten vor, das zoonotische Monitoring zu verstärken, gerade die Überwachung und Probennahme von potentiell infektiösen Tierarten in vom Menschen dominierten Lebensräumen; wie dies unlängst auch die Wildlife Disease Surveillance Focus Group im Fachmagazin „Science“ gefordert hat.

Je mehr der Mensch in die Wildnis vordringt und die Natur seiner Nutzung unterwirft, natürlich Ressourcen ausbeutet und die Lebensmöglichkeiten der Wildtiere beschneidet, desto größer wird das Risiko des Übersprungs zoonotischer Krankheiten auf den Menschen. Der Verlust der Biodiversität wiegt doppelt schwer: Wir verlieren dadurch nicht nur viele Tierarten, wir erhöhen zugleich die Gefahr von Zoonosen. Die Ursachen des Aussterbens der Arten und der Zunahme von Zoonosen sind die gleichen: Fragmentierung natürlicher Lebensräume, zunehmende Weltbevölkerung, Wachstum der Städte, Jagd und kulinarische Vorlieben sowie vermehrte globale Reise- und Handelsaktivitäten. Daher müssen wir möglichst viel Wildnis und noch intakte natürliche Lebensräume erhalten und durch menschliche Aktivitäten geschädigte Lebensräume wieder restaurieren. Die Artenvielfalt der Erde und die Gesundheit der Menschen profitieren gleichermaßen.

Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht ist Professor für Biodiversität der Tiere am Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg. In seinem unlängst erschienenen Buch „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“ beschreibt er ausführlich die Fakten und Befunde des Artenschwundes.

Matthias Glaubrecht

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