Eine Technik, die Erblindeten wieder Hoffnung macht: Wichtigster Medizinpreis der USA geht an Berliner Forscher
Für eine Technik, die schon Blinde sehend gemacht hat, bekommt der Berliner Forscher Peter Hegemann jetzt den Lasker-Award, den „Fast-Nobel“-Preis.
Es ist der renommierteste Preis, der in den USA für biomedizinische Forschung vergeben wird. Und dass 95 Träger des „Lasker-Awards“ früher oder später auch den Nobelpreis bekommen haben, lässt erahnen, was da womöglich alsbald auf Peter Hegemann, Biophysiker an der Humboldt-Universität und seit Freitagabend offizieller Lasker-Preisträger 2021, noch zukommen könnte. „Da wird mir schon etwas mulmig“, sagte er dem Tagesspiegel.
Die Auszeichnung bekommt der Wahlberliner für die Technik der „Optogenetik“, mit der sich einzelne Nervenzellen per Lichtpuls einschalten lassen – etwa im Gehirn von Mäusen, um dort das Zusammenspiel von Milliarden Hirnzellen besser zu verstehen. Oder um Blinde wieder sehend zu machen.
Das Licht, das mit dem diesjährigen Laskerpreis verbunden ist, schlägt allerdings auch Schatten – denn bei der ebenfalls ausgezeichneten mRNA-Impfstofftechnik zum Schutz vor Covid-19 wurden deutsche Forschende nicht berücksichtigt.
[Hier lesen Sie ein ausführliches Interview mit dem Lasker-Preisträger Peter Hegemann: "Wir müssen auf junge Leute einwirken, wirklich Neuland zu betreten." bei Tagesspiegel-Plus]
Die Träumerei eines Nobelpreisträgers wahr gemacht
Nichts auszusetzen ist an der Wahl von Peter Hegemann. Er gilt, gemeinsam mit den ebenfalls ausgezeichneten Forschern Dieter Oesterhelt vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, einst Hegemanns Lehrer, und Karl Deisseroth von der Stanford-Universität in Kalifornien, als Begründer der Optogenetik, der Technik, die den Blick ins Gehirn öffnet.
Die Geschichte beginnt mit dem Nobelpreisträger Francis Crick, Entdecker der Struktur des Erbmoleküls DNA und später Hirnforscher, der 1979 in einem Artikel für Scientific American von einer Technik träumt, die einzelne Neuronen ein- und ausschalten kann, all die anderen jedoch unverändert lässt, um so beobachten zu können, was passiert und das Gehirn zu verstehen.
„Um im Gehirn etwas nicht-invasiv und selektiv zu aktivieren, bleibt eigentlich nur das Medium Licht übrig”, sagt Hegemann. Alles andere, etwa Zellen über feine, metallene Elektroden zu reizen, ist viel zu grob. Doch wie ein lichtgesteuerter Schalter aussehen könnte, wusste Crick nicht – und der junge Chemiedoktorand Peter Hegemann schon gar nicht. 1979 erforscht er am Martinsrieder Max-Planck-Institut mit Dieter Oesterhelt etwas völlig anderes: lichtsensible Proteine, die im „Augenfleck” der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii vorkommen.
Es ist die blanke wissenschaftliche Neugier, die den Forscher treibt: Wie setzt die Alge einen Lichtreiz in eine gerichtete Bewegung – hin zum Licht – um? Hegemann weiß, dass die Alge lichtsensible Proteine, Rhodopsine, hat. Fangen sie einen Lichtimpuls ein, geben sie den Reiz weiter: an ein Kanalprotein, dass sich öffnet, Ionen in die Zelle strömen und so eine elektrische Spannung an der Zellmembran entstehen lässt, die letztlich zur Richtungsänderung der Alge führt. Doch Hegemann merkt, dass sich die Ionenkanäle praktisch sofort, binnen Bruchteilen von Sekunden, öffnen, sobald sie mit Licht bestrahlt werden – und schlussfolgert: Lichtrezeptor und Ionenkanal sind ein und dasselbe Protein.
Jahrelange, schlecht finanzierte Grundlagenforschung
Anfangs habe er für diese Hypothese viel Kritik einstecken müssen. Und es dauert tatsächlich viele Jahre, bis er das erste Kanalrhodopsin, das wie Cricks „lichtgesteuerter Schalter” funktioniert, präsentieren kann. Zigtausendfach eingebaut in eine Nervenzelle, wird jedes Mal, wenn Licht darauf scheint, ein elektrischer Impuls ausgelöst.
Ruhm erntet Hegemann dafür nicht. Aber ein junger Neurowissenschaftler der Stanford-Universität, Karl Deisseroth, wird neugierig. Ihm gelingt es als Erstem, Hegemanns Schalter in Hirnzellen und sogar in lebende Mäuse einzuschleusen. Mit Lichtpulsen durch den Schädel der Tiere lassen sich seitdem einzelne Nervenzellen ein- oder ausschalten und eventuelle Verhaltensänderungen der Tiere beobachten – besser, als es sich Francis Crick je hätte ausmalen können. Die „New York Times“ druckt das Foto einer Maus mit Lichtquelle auf dem Kopf sogar auf ihrer Titelseite.
„Karl Deisseroth hat am meisten zur Verbreitung der Technik beigetragen“, sagt Hegemann. Aus neurowissenschaftlichen Labors ist sie nicht mehr wegzudenken. Und nach 13 Jahren Entwicklung ist es an der Universität Basel jetzt sogar gelungen, einem blinden Patienten die lichtinduzierbaren Kanäle in die Netzhaut einzubauen und ihm damit eine gewisse Sehfähigkeit zurückgeben. „Aber weil da nicht die besten Kanalrhodopsine verwendet wurden, bin ich sicher, dass man die Sehqualität künftig noch deutlich verbessern kann“, sagt Hegemann. Auch bei Hörverlust, Parkinson und Formen der Schizophrenie und Epilepsie könnte die Technik in Zukunft eingesetzt werden. Zuviel will der Forscher aber nicht versprechen. „So etwas braucht Zeit.“
Ein Preis für die mRNA-Impfstoffforschung - aber nicht für die beteiligten Deutschen
Was jetzt Früchte trägt, fing als „medizinische Grundlagenforschung“ an – dafür haben Hegemann, Deisseroth und Oesterhelt den Lasker-Preis bekommen. Darüber hinaus wurde aber auch noch der US-Forscher David Baltimore für sein wissenschaftliches Lebenswerk und als „Führungsfigur der medizinischen Gemeinschaft“ geehrt. Baltimore war maßgeblich an der Vereinbarung von Grundregeln für den sicheren Umgang mit Gentechniken beteiligt. Er organisierte nicht nur 1975 die maßgebende „Asilomar-Konferenz“, sondern in den vergangenen Jahren auch die Diskussion um den Umgang mit Genome-Editing-Techniken wie Crispr/Cas9. Auch diese Wahl der Preis-Jury ist unstrittig.
Mit Kritik muss die Lasker-Stiftung jedoch bei der Wahl des Preises für „klinische Medizinforschung“ rechnen, den sich die gebürtige Ungarin Katalin Kariko, inzwischen Forschungsleiterin beim Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech, und Drew Weissmann von der Universität Pennsylvania teilen. Ohne Zweifel haben beide wesentlich zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe beigetragen, die derzeit milliardenfach verabreicht werden und vor Covid-19 schützen. Jahrzehntelang haben sie trotz vieler Rückschläge an der Idee festgehalten, dass RNA als Impfstoff funktionieren kann und das Molekül stabiler und wirksamer gemacht.
Doch mindestens das Gleiche trifft auch auf Özlem Türeci und Ugur Sahin zu, das Mainzer Wissenschaftler- und Biontech-Gründer-Ehepaar. Und diese beiden haben nicht allein ihre wissenschaftliche Karriere aufs Spiel gesetzt, als sie sich mit einem Molekül befassten, das in den 1980ern und 1990ern als viel zu labil für Therapie- und Impfstoffansätze galt. Ganz zu schweigen von Ingmar Hoerr, dem Tübinger Curevac-Gründer, der noch früher als diese beiden an mRNA forschte und darauf setzte. Diesen deutschen Beitrag zum einzigartigen Erfolg der mRNA-Impfstoffe klammert die Lasker-Jury jedoch aus.
Sascha Karberg