„Wir sind Impfstoff“: Über zwei Wissenschaftler, die nicht nur Hoffnung gegen das Virus machen
Sie haben die Firma gegründet, die bald mit Tests für einen Corona-Impfstoff beginnt. Warum die beiden Anstoß für Veränderung sein könnten. Eine Kolumne.
Dass mich die türkischen Bonus-Buchstaben weiches Ğ, Kringel-Ş und die inflationär verwendeten Ö’s und Ü’s in der türkischen Sprache so in Verzückung bringen würden, hätte ich auch nie gedacht.
Fehlt eigentlich nur noch das Y, aber das habe ich ja schon selbst. Entschuldigung, dass ich mit meiner Begeisterung so hereinpoltere, die meisten von Ihnen werden nicht mal erahnen, wovon ich überhaupt rede.
Ich halte die Spannung noch ein wenig aufrecht und erwähne noch kurz, dass ich meine eindrucksvolle Dönermessersammlung darauf verwette, dass alle Türken und Türkischstämmigen auf der Welt wissen, was bzw. wen genau ich mit den Buchstaben Ğ, Ş, Ö und Ü meine. Oder um die Papst-Schlagzeile zu bemühen: Wir sind Impfstoff.
Aber der Reihe nach: Die wirklich gute Nachricht ist, dass erste klinische Tests für einen Corona-Impfstoff genehmigt wurden. Die Firma BioNtech aus Mainz darf sein Mittel BNT162 zur Prävention einer Covid-19-Infektion an Freiwilligen testen.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]
Zwei Namen, die gut tun
Ende April soll damit begonnen werden, Verträglichkeit und Wirksamkeit zu prüfen. Das hat einer der Gründer von BioNTech bekannt gegeben. Er heißt: Uğur Şahin.
Falls Sie jetzt Probleme mit der Aussprache haben, kein Problem: Den Namen des Wissenschaftlers spricht man so aus: U‘ur Schahin. Das G mit Hut ist stumm und wird nicht mitgesprochen, dafür wird der Vokal danach langgezogen. Und das S mit Kringel klingt wie unser Sch.
Sie fragen sich nun, wieso dann noch Ö und Ü? Nun, Mitgründerin und medizinische Leiterin bei BioNTech ist Özlem Türeci. Das türkische Z klingt wie das deutsche S, aber einen Hauch weicher im Klang, so wie in Salbei. Das C in Türeci ist ein weiches dsch wie in Dschungel.
Nicht Zufall, sondern Kismet
Und als sei Amor kein Liebesgott, sondern Wissenschaftsgott, sind die beiden Mediziner auch noch miteinander verheiratet.
Das allein würde schon reichen, den gesamten Zufall der Welt außer Kraft zu setzen, steht die Firma BioNTech auch noch „An der Goldgrube“. Wir Türken glauben sowieso nicht an Zufall, sondern nur an Kismet.
Balsam für die geschundene türkische Seele
Aber mal im Ernst: Nach all den Jahren, in denen Türkischstämmige in Deutschland immer wieder als Integrationsverlierer abgestempelt und auf Kopftuchmädchen reduziert wurden, die angeblich fortwährend neu produziert werden, für das Berufsbild des ungelernten Gemüseverkäufers herhalten mussten, mit den Morden des NSU und in Hanau Angst um ihr Leben haben mussten und dazu noch alltägliche Diskriminierungen und Benachteiligungen, wirken die Namen Uğur Şahin und Özlem Türeci wie Balsam auf die geschundene türkische Seele.
Şahins Familie stammt aus dem Süden der Türkei, er promovierte in Köln, Türecis Familie kommt aus Istanbul, der Vater arbeitete als Landarzt in Niedersachsen. An der Universität Homburg, wo sie studierte, lernten sich die beiden kennen.
Beide sind Kinder türkischer Einwanderer, deutsche Staatsbürger und weltweit angesehene Wissenschaftler. BioNTech, das Şahin, Türeci und der Immunologe Christoph Huber 2008 gegründet haben, ist normalerweise spezialisiert auf Krebstherapien.
Anerkennung und Stolz
„Das sind doch Deutsche“ oder „das ist doch normal“ reagierten einige auf die Freude der Türkischstämmigen, die sich schnell auf den sozialen Medien verbreitete. Aber das ist es eben nicht, wenn man sich in Erinnerung ruft, welche negativen Bilder schon allein im politischen Wahlkampf immer wieder bemüht wurden.
Viele Türkischstämmige empfinden neben der Anerkennung für die Arbeit der Wissenschaftlerin und des Wissenschaftlers auch Stolz, dass nun zwei türkische Namen mit dem Impfstoff in Verbindung gebracht werden.
Eine echte Chance
Ich weiß um die Zähigkeit, sich Veränderungen zu stellen. Aber wäre nicht jetzt die beste Gelegenheit, Migrantinnen und Migranten nicht mehr nur als Problem für die deutsche Gesellschaft zu sehen, sondern als echte Chance?
Wie schön wäre es, wenn sie ab sofort nur noch daran gemessen werden, wer und was sie sind und nicht, woher sie oder ihre Eltern kommen. Dafür stehen Uğur Şahin und Özlem Türeci.
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