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Methode der Stunde. Peter Hegemann, Miterfinder der Optogenetik, zusammen mit der technischen Assistentin Maila Reh in seinem Biophysik-Labor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt-Universität.
© Thilo Rückeis

Biophysik: Revolution mit Licht und Genen

Der Berliner Chemiker Peter Hegemann schaltet Zellen mit Licht an und aus. Das ermöglicht Einblicke ins Gehirn – und eines Tages vielleicht neuartige Therapien. Die von Hegemann mitentwickelte Methode wird mittlerweile in Hunderten von Labors in aller Welt angewandt.

Der Chemiker Peter Hegemann mag Jazz. Seit er in Berlin arbeitet und an der Humboldt-Universität forscht, ist er Stammgast in den Jazzclubs der Stadt, vor allem das „A-Trane“ hat es ihm angetan. Jazz lebt von der Improvisation. Dabei wird ein Thema von den Musikern solistisch variiert. Es verwandelt sich, um im Kern doch stets erkennbar zu bleiben. Auch die Natur liebt die Improvisation über Themen, und Hegemanns eigenes Forschungsgebiet ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Hegemann untersucht Photorezeptoren. Das sind Proteine (Eiweißmoleküle), die in der Zellhülle sitzen und Lichtsignale registrieren. Seit Milliarden von Jahren helfen sie Algen oder anderen einfachen Lebewesen, sich nach dem Licht zu richten. Photorezeptoren sind gewissermaßen die Ur-Augen, und es gibt sie in unzähligen Spielarten – Variationen eines Themas.

Alles begann vor ungefähr vier Milliarden Jahren mit den Photorezeptoren der Archaea, urtümlicher Mikroorganismen. Diese als Rhodopsine bezeichneten Proteine finden sich auch in Blau- und Grünalgen, Bakterien und Pilzen. Sie stehen am Anfang einer Entwicklung, die schließlich zum Entstehen von Augen bei mehrzelligen Tieren führte. Aus einem einfachen Motiv hat die Evolution eine ganze Symphonie gezaubert.

Rhodopsine bestehen wie alle Proteine aus langen Aminosäureketten. In der Zellmembran lagern sie sich zu kompliziert gefalteten Schlaufen zusammen. Trifft Licht einer bestimmten Wellenlänge auf Rhodopsin, wird es aktiviert. Es überträgt dann Signale aus der Außenwelt ins Zellinnere oder lässt Ionen, elektrisch geladene Teilchen, nach außen oder innen strömen. Bei diesem Prozess wird die Zelle elektrisch erregt. Licht „schaltet“ also die Zelle für kurze Zeit an, und die Rhodopsine sind dabei die Schalter. Es gibt sie in vielen Variationen: für blaues, gelbes und grünes Licht, es gibt empfindliche und weniger empfindliche, schnelle und langsame. Hegemann, 57, hat sich sein ganzes Wissenschaftlerleben lang mit lichtempfindlichen Proteinen beschäftigt. „Wir möchten diese Photorezeptoren verstehen“, sagt er über die Arbeit seines Teams, in dem Biologen, Chemiker und Physiker zusammenarbeiten.

Hegemann forscht am Institut für Biologie, sein Arbeitsplatz liegt wenig spektakulär im vierten Stock eines unscheinbaren Plattenbaus, der zu DDR-Zeiten hinter dem Museum für Naturkunde an der Invalidenstraße errichtet wurde. Der Eindruck täuscht. Der Chemiker gehört zu den weltweit gefragten Spezialisten, wenn es um „Lichtporen“ geht .

Dass seine Arbeit längst über einen kleinen Kreis von Experten hinaus Bedeutung erlangt hat, liegt nicht zuletzt an einer Studie, die Hegemann 2002, damals an der Universität Regensburg, gemeinsam mit Georg Nagel vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main, im Fachblatt „Science“ veröffentlichte. Den Wissenschaftlern war es gelungen, in der einzelligen Grünalge Chlamydomonas einen Ionenkanal ausfindig zu machen, der durch grünes Licht geöffnet wird und offenbar der Alge dazu dient, sich am Licht zu orientieren.

Hegemann und Nagel hatten also einen Lichtsensor entdeckt. Sie tauften dieses Protein Kanal-Rhodopsin-1, ein Jahr drauf folgte Kanal-Rhodopsin-2. Als sie Erbinformation für Kanal-Rhodopsin-1 in Froscheier spritzten, stellten diese den biochemischen Lichtschalter her und bauten ihn in die Zellhülle ein. Wie auf Befehl öffneten sich die Ionenkanäle in den Froscheiern, als die Wissenschaftler sie mit grünem Licht bestrahlten.

Am Ende ihres Aufsatzes in „Science“ folgerten die Forscher, dass der von ihnen gefundene molekulare Lichtschalter ein verheißungsvolles Werkzeug sei, um Zellen zu studieren und zu steuern – einfach mit Licht. Die Prognose erfüllte sich schneller als gedacht. Bald erforschten fünf weitere Teams Kanal-Rhodopsine. Sie konzentrierten sich auf die Arbeit an Nervenzellen und veröffentlichten allesamt 2005 bahnbrechende Studien. Das war der Durchbruch.

An die Spitze der rasch wachsenden Bewegung setzte sich der junge amerikanische Psychiater und Neurowissenschaftler Karl Deisseroth von der Universität Stanford. Enttäuscht von den Schwächen und Mängeln der herkömmlichen Behandlung psychischer Krankheiten erkannte Deisseroth den potenziellen medizinischen Nutzen von Hegemanns Entdeckung. Er koppelte die Erbanlage für Kanalrhodopsin-2 an einen genetischen Schalter, der dafür sorgt, dass das Gen nur in ganz speziellen Nervenzellen aktiviert werden kann. Zum Beispiel in Zellen, in denen der Botenstoff Glutamat hergestellt wird. Dann baute er dieses Gespann in das Erbgut eines harmlosen Virus ein und ließ dieses Nervenzellen infizieren (siehe Infografik). Das Experiment gelang, wider alle Erwartung, wie Deisseroth im Wissenschaftsmagazin „Scientific American“ berichtet. Die Nervenzellen reagierten auf Lichtimpulse schlagartig mit elektrischer Erregung. Sie waren mithilfe von Licht präzise zu handhaben, wie von Hegemann und seinem Kollegen Nagel vorhergesagt.

Was folgte, war eine wahre Wissenschafts-Lawine. Schlagartig rückte das neue Forschungsgebiet, für das Deisseroth den griffigen Namen „Optogenetik“ prägte, ins Zentrum des Interesses. Die Verbindung von Optik und Genetik ermöglichte es Hirnforschern, mit relativ einfachen Mitteln bestimmte Nervenzellen und ihre Netzwerke zu studieren und an neuen Therapien zu tüfteln. Ein Lichtstrahl wies den Weg durch das dunkle Labyrinth der Nervengeflechte.

Eine Krankheit, die vielleicht eines Tages mit Optogenetik behandeln werden kann, ist die Schüttellähmung, Morbus Parkinson. Bei diesem chronischen Nervenleiden, das auf Abbauprozesse in einem für Muskelkoordination zuständigen Zentrum des Gehirns zurückzuführen ist, kommt es zu schweren Störungen wie Muskelstarre, Zittern und quälend verlangsamten Bewegungsabläufen.

Zu den neuen Behandlungsverfahren gehört ein Hirnschrittmacher, der mit schwachen elektrischen Impulsen im Bereich der gestörten Nervenbahnen die Schüttellähmung deutlich mildern kann. Nachteilig an dieser Behandlung ist, dass der Strom aus dem Schrittmacher nicht zwischen gesunden und kranken Zellen unterscheidet. Anders die Optogenetik, mit der gezielt bestimmte Zellen angeregt werden. Mit Licht, nicht mit Strom. Versuche an Mäusen zeigen, dass das Verfahren im Prinzip funktioniert, auch wenn der Weg zu einer optogenetischen Parkinson-Behandlung weit ist.

Bereits näher an der Erprobung am Menschen ist die Therapie von Netzhautkrankheiten, die zur Erblindung führen. Bei der Behandlung werden nicht die geschädigten Sehzellen selbst optogenetisch behandelt, sondern die Bipolar- oder Ganglienzellen der Netzhaut. Sie leiten bei Gesunden die Impulse aus den Sehzellen, den Stäbchen und Zapfen, an das Gehirn weiter. Die Therapie hat zum Ziel, den Erblindeten zumindest eine große räumliche Orientierung wiederzugeben. „In etwa zwei Jahren können die ersten Tests an Patienten beginnen“, schätzt Hegemann.

Seit seiner ersten Studie arbeitet der Mediziner Deisseroth eng mit dem Chemiker Hegemann zusammen. Die Berliner Forscher liefern die Gene für molekulare Lichtschalter nach Kalifornien, zu den „Neuroleuten“, wie Hegemann die Hirnforscher mit einem Hauch Ironie bezeichnet. Deisseroth baut die Gene in Erbinformation oder Viren ein und gibt sie an interessierte Kollegen in aller Welt weiter, inzwischen an etwa 1000 Laboratorien, 800 davon in den USA. Optogenetik ist die Methode der Stunde.

Die Wissenschaftler tüfteln an neuen Verfahren, vergrößern den optogenetischen Instrumentenkasten. Immer mehr biochemische Lichtschalter werden entdeckt und entwickelt. So gibt es mittlerweile künstliche Schalter, in denen die Reaktion auf Licht mit einem biochemischen Signalgeber, einem G-Protein-gekoppelten Rezeptor, verknüpft ist. Mit diesen Schaltern ist es möglich, über Licht bestimmte biochemische Signalkaskaden in der Zelle auszulösen. „Diese Kontrolle über die Biochemie öffnet der Optogenetik die Tür zu praktisch jeder Zelle und jedem lebenden Gewebe“, schreibt Deisseroth euphorisch.

Trotz aller atemberaubenden Perspektiven ist Hegemann vor allem Wissenschaftler geblieben. Ihm geht es ums Verstehen und Erkennen. Das hat sich auch nicht mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft geändert, mit dem der Chemiker nun ausgezeichnet wurde. 2,5 Millionen Euro hat er nun zur freien Verfügung, vorausgesetzt, er steckt das Geld in seine Forschung. Verliehen wird ihm der Preis am 19. März in Berlin zusammen mit zehn weiteren Wissenschaftlern.

Hegemann preist die Deutsche Forschungsgemeinschaft dafür, dass sie die Arbeit der Wissenschaftler um ihrer selbst willen fördert, ihnen Zeit lässt und nicht nur Forschung unterstützt, die gerade in die politische Großwetterlage passt oder vermeintlich schnelle kommerzielle Ergebnisse bringt. Konsequenterweise will der Preisträger sein Geld eher in „exotische“ Forschung investieren, etwa die Lichtwahrnehmung der noch wenig verstandenen arktischen Algen.

Dass sein scheinbar abseitiges Forschungsgebiet nun in aller Munde ist, lässt Hegemann unbeeindruckt. „Mich interessieren Lichtphänomene in der Natur, nichts weiter“, sagt er. Trotzdem fände er es gut, wenn die Optogenetik auch in der Berliner Wissenschaft noch mehr Freunde gewinnen könnte. Selbst ein hervorragender Solist, das weiß jeder Jazzfan, braucht eben gute Mitspieler.

Hartmut Wewetzer

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