Influenza-Vakzine: Vierfach-Impfstoff soll besser schützen als in der letzten Grippe-Saison
Die Auswahl der Viren für den nächsten Grippe-Impfstoff ist eine Wette auf die Zukunft, die in der vergangenen Saison verloren ging. Das soll sich nun ändern.
Ein simpler grippaler Infekt, landläufig auch „Erkältung“ genannt, kann einen auch im wärmsten Sommer erwischen. Eine Impfung dagegen ist so wenig existent wie nötig. Gegen die echte und alles andere als harmlose Grippe, die Influenza, gibt es hingegen eine Vakzine. Und die passende Zeit für eine Influenza-Impfung ist auf der Nordhalbkugel eindeutig der Herbst. Schon Ende Februar hat die WHO die Zusammensetzung der Viren-Stämme festgelegt, die die Vakzine in dieser Grippe-Saison enthalten sollen. Im Paul-Ehrlich-Institut (Pei) werden die Impfstoffe anschließend, bevor sie in den Handel kommen, chargenweise geprüft. Das Institut muss dann bestätigen, dass sie die empfohlenen Influenza-Stämme tatsächlich enthalten. Same procedure as every year. Doch eine Besonderheit gibt es diesmal.
Aus Drei mach Vier
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legte schon im Frühjahr fest, dass Versicherte, die zu den Risikogruppen zählen – unter anderem Menschen, die über 60 Jahre alt sind, chronisch Kranke, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Schwangere – einen Vierfach-Impfstoff bekommen, der je zwei Stämme der Virustypen A und B enthält. Der G-BA stützt sich dabei auf die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bisher gab es keine verbindliche Vorgabe, ob der Dreifach- oder der Vierfach-Impfstoff einzusetzen ist.
Das sorgte im letzten Winter für viel Verwirrung und Ärger. Der Zufall wollte es, dass in der letzten Saison ein Influenza-B-Stamm aus der Yamagata-Linie (benannt nach dem Ort, an dem das Virus isoliert wurde) einen großen Teil der Infektionen verursachte und dass dieser Stamm nur im Vierfach-Impfstoff enthalten war. Die Hoffnung, der in der Dreier-Kombination enthaltene B-Stamm aus der Victoria-Linie werde aufgrund ähnlicher Merkmale eine Kreuz-Immunität gegen Yamagata erreichen, zerschlug sich noch dazu weitgehend. Zudem hatte man gehofft, dass Menschen, die sich schon in früheren Jahren gegen die Grippe hatten impfen lassen, noch einen gewissen Restschutz gegen den diesmal nicht in der Dreier-Kombination enthaltenen Virus-Stamm bewahrt haben könnten. Tatsächlich lag der Impfschutz gegen den Yamagata-Stamm dann nur bei einem einzigen Prozent. Die gegen A(H1/N1) gerichtete Komponente des letztjährigen Impfstoffes passte dagegen gut, knapp die Hälfte der Geimpften war gegen diesen Erreger der echten Grippe geschützt.
Die Hälfte der Geimpften war geschützt - nur oder immerhin?
Nur die Hälfte? Wer an den Schutz denkt, den etwa Impfungen gegen Masern oder Diphtherie bieten, muss von diesem Ergebnis enttäuscht sein. Und könnte auf die Idee kommen, dass es sich nicht lohnt, sich die Impfung anzutun. Dem trat RKI-Präsident Lothar Wieler vor ein paar Tagen entschieden entgegen: „Mit keiner anderen Impfung lassen sich hierzulande mehr Leben retten.“
Das stimmt vor allem, weil die Influenza weit verbreitet ist: Über 300 000 im Labor durch Nachweis des Erregers bestätigte Fälle gab es in der vergangenen Saison – die höchste Zahl seit dem Jahr 2001, als das Infektionsschutzgesetz in Kraft trat. Neun Millionen Arztbesuche waren wegen grippeartiger Symptome zu verzeichnen, und Daten des RKI-Bürgerportals GrippeWeb lassen vermuten, dass jeder Zweite zum Arzt geht, wenn er oder sie die typischen Symptome hat. Das Risiko ist also groß – und es lohnt sich, es zu halbieren. Selbst wenn sich wie in der Saison 2016/17 nur 34,8 Prozent der Bürger und Bürgerinnen über 60 impfen lassen, können in jeder Saison rund 400 000 Grippe-Erkrankungen verhindert werden, so eine Studie von Felix Weidemann und Kollegen, die 2017 im Fachblatt „BMC Infectious Diseases“ erschienen ist.
Dabei ist schon einkalkuliert, dass ältere und hochbetagte Menschen, die von der Grippe am meisten zu befürchten haben, nach der Impfung einen schwächeren Schutz ausbilden als junge. Ihr Immunsystem ist nicht mehr so leistungsfähig wie in jungen Jahren und reagiert kaum auf den Impfstoff aus Partikeln abgetöteter Erreger.
Auch ein Vierfach-Impfstoff ist keine Garantie für perfekten Schutz
Zudem machen es die Viren den Impfstoff-Experten nicht leicht. Auch mit einem Impfstoff, der sich gegen ein Quartett von Influenza-Viren richtet, könne man Pech haben, betont RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. „Die Viren können sich verändern, während sie zirkulieren. Instabil, wie sie sind, kann es selbst nach einer idealen Voraussage genetische Veränderungen geben.“ So lässt sich nicht vorhersagen, welche der vier Influenza-Untergruppen in einer Influenza-Saison dominieren wird. „Es ist kein idealer Impfstoff“, sagt Glasmacher. „Doch wir haben derzeit keinen besseren.“ Zudem habe er den Vorteil, dass es ihn schon relativ lange gibt. „Wir wissen also, dass er gut verträglich ist. Die Botschaft kann deshalb nur sein: Impfen, impfen, impfen!“ Im Fall einer besonders aggressiven Virusvariante, die sich weltweit verbreitet, gilt Impfen ohnehin als einzig wirksames Gegenmittel, um schlimmeres zu verhindern. So wurde etwa 2009 gegen die "Schweinegrippe" der Impfstoff Pandemrix eingesetzt (der allerdings ungewöhnlich viele Nebenwirkungen hatte, wie sich inzwischen herausgestellt hat, siehe Kasten-Text hier).
Der mitunter schlechte Ruf der Influenza-Impfung kommt auch dadurch zustande, dass grippale Infekte, die mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit lästig fallen und oft sehr hartnäckig sind, häufig als „Grippe“ bezeichnet werden. Erkrankte Geimpfte ärgern sich dann, „umsonst“ zur Impfung gegangen zu sein – unberechtigterweise. Denn gegen typische Erkältungserreger wie Rhino- oder Coronaviren richtet sich die Vakzine gar nicht.
Selbst eine nicht perfekte Impfung mildert die Symptome nach einer Infektion
Während „Erkältungsopfer“ also keinen Grund haben, sich über den Grippeimpfstoff zu beschweren, ist das für eine kleine Gruppe von Menschen anders: Wer starke allergische Reaktionen gegen Hühnereiweiß entwickelt, kann den in Hühnereiern gezüchteten Impfstoff nicht nutzen. Und eine Grippe-Vakzine auf Basis von Zellkulturen gibt es derzeit nicht. Bis 2016 gab es mit Optaflu zwar einen von der EU-Kommission zugelassenen zellkulturbasierten Impfstoff, im Jahr 2017 übertrug die Hersteller-Firma Novartis diese Zulassung aber auf die Firma Sequirus, die keinen Verlängerungsantrag stellte. In den USA dagegen ist mit Flucelvax ein zellbasierter Vierfach-Impfstoff auf dem Markt.
Selbst wenn der Impfstoff nicht ideal ist und die WHO-Kommission mit der Vorhersage der in dieser Saison am häufigsten kursierenden Influenzaviren falsch liegen sollte, beeinflusst selbst eine suboptimale Impfung den Verlauf der Grippeerkrankung positiv. In einer Studie von 2014 mit insgesamt 2374 Personen klagten Senioren, die trotz Impfung eine echte Influenza bekommen hatten, weniger unter Fieber, Husten und Atembeschwerden. Möglicherweise vermehren sich die Viren unter dem Eindruck der Impfung nicht ganz so heftig, spekulieren Jeffrey van Wormer und Kollegen im Fachblatt „BMC Infectious Diseases“. Sie mahnen allerdings zur Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse. Denkbar sei schließlich auch, dass Menschen, die sich für die Impfung entschieden haben, die Symptome anders wahrnehmen, falls die Grippe sie trotzdem trifft.
Der Artikel erschien im Tagesspiegel zusammen mit einem "Kasten-Text" zum Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix, der Untersuchungen zufolge mehr Nebenwirkungen als üblich gehabt haben soll.