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Zwei junge Frauen mit Orang-Utan-Babys auf dem Arm stehen vor Schubkarren, in denen weitere kleine Orang-Utans sitzen.
© Christiane Oelrich/picture-alliance/dpa

Forschungsprojekt über Primatenforscherinnen: Unterdrückte Affenliebe

Sie arbeiten und leiden mit bedrohten Orang-Utans auf Borneo. Jetzt werden die Primatologinnen selber zum Forschungsobjekt.

An einem Schlagbaum neben der Landstraße beginnt die Auffangstation für Orang-Utans von Pasir Panjang auf Borneo. Schilder warnen, dass es verboten ist, Fotos oder Filmaufnahmen zu machen. Hunderte Menschenaffen sind auf dem Gelände untergebracht. Unter der Leitung der Primatologin Biruté Galdikas werden sie versorgt, nachdem ihre Waldgebiete abgeholzt und sie selbst davor gerettet worden sind, als Haustiere verkauft zu werden. Die Einheimischen bezeichnen die Station als „Klinik“.

Eine Pflegerin sagt, sie empfinde für die Äffchen wie eine Mutter

Viele Affen leben einzeln in Käfigen. Ein älteres Männchen gurgelt hinter Gittern dumpfe Revierlaute hervor, die ihre natürliche Funktion schon vor Jahren verloren haben. Auf einem Spielplatz in einer Lichtung üben Waisentiere das Klettern. Eine Pflegerin sagt, sie empfinde für die Äffchen wie eine Mutter. Werden sie jemals wieder in Freiheit leben? Die Aussicht, gesteht sie, sei für die meisten leider gering. „Der Wald ist voll.“ Beziehungsweise das, was von ihm übrig blieb.

Starke Emotionen - zwischen Umweltzerstörung, Tourismus und Artensterben

Wie leben Orang- Utans in ihrer natürlichen Umwelt? Und wie ist es möglich, sie dort zu beobachten? Eine Gruppe von Kulturwissenschaftlern unternahm eine Expedition in den verbliebenen Urwald, um gemeinsam mit Primatologinnen und Ethnologen die Bedingungen der Affenforschung zu studieren: zwischen Umweltzerstörung, Tourismus und Artensterben. Und um dabei herauszufinden, welche emotionalen Herausforderungen Wissenschaftler zu bewältigen haben, die das Verhalten unserer Verwandten in freier Wildbahn erforschen.

Die Affenforscher, die den Tieren möglichst nahe kommen wollen, ohne sich aber von ihrer Empathie mitreißen zu lassen, müssen sich – ebenso wie die Kulturwissenschaftler, die sie bei ihrer Arbeit beobachten – zunächst durch ein vielschichtiges Dickicht schlagen. Denn der Nationalpark Tanjung Puting, in dem einige der letzten Orang-Utans in freier Wildbahn zu finden sind, ist auch das Ziel touristischer Ausflüge. Die Wildnis, die Touristen als authentisch erleben sollen, ist in vielerlei Hinsicht künstlich, und auch die Orang-Utans, die man dort zu sehen bekommt, sind keineswegs „wild“.

Das Aussterben der Orang-Utans gilt als nicht mehr abwendbar

Besucher des Nationalparks werden bereits an der Mole von Kumai mit falschen Tönen eingestimmt. Hinter der Moschee singen die Schwalben. Aber Ihre Stimmen kommen aus Lautsprechern. Sie sollen Artgenossen verleiten, in Gebäuden am Ufer zu nisten, in deren Beton man Löcher eingelassen hat. Die Nester, die dort abgeerntet werden, gelten in China als Delikatesse, der man heilende Kräfte zuschreibt.

Das Hafenstädtchen im indonesischen Teil der Insel Borneo ist der Ausgangspunkt für Bootsfahrten, die in den Nationalpark führen. Familien oder kleine Gruppen unternehmen mehrtägige Fahrten auf hölzernen Kähnen, betreut von Kapitän, Koch, Schiffsjunge und Führern, die von Krokodilen sprechen, von Speikobras und von wilden Bären. Der Mythos der Wildnis ist verführerisch. Die Werbung verspricht „Natur“, „Abenteuer“ und vor allem: Orang-Utans – die asiatischen Menschenaffen, deren Aussterben Fachleute für nicht mehr abwendbar halten.

Für Experten ist es eine deprimierende Forschungssituation

Die Primatologin Katja Liebal von der FU Berlin erklärt, dass die wenigen verbliebenen Waldgebiete inzwischen zu stark fragmentiert sind, als dass das Überleben der Orang-Utans in ihrem natürlichen Lebensraum langfristig möglich wäre. Touristen mögen sich gerne auf ein harmloses Abenteuer einlassen. Doch für die Experten ist es eine deprimierende Forschungssituation.

Die Einfahrt in den Fluss, wo der Nationalpark beginnt, wirkt durchaus malerisch. Seine Ufer säumen buschige Nipapalmen, die hier im Brackwasser gedeihen, wo sich der schmale Strom in die Javasee ergießt. Doch jenseits des Ufers wurde der Urwald großflächig gerodet, um Platz für Plantagen zu schaffen, auf denen Palmöl produziert wird. Man verwendet es in der Herstellung von Treibstoff, Kosmetik und Lebensmitteln.

Eine Orang-Utan-Mutter mit Baby lässt sich herab zu den Besuchern

Gerodet wird auch, um Tropenholz zu gewinnen. Soeben schleppt ein Lastschiff einen haushohen Stapel hinaus aufs Meer. Düngemittel, die aus den Plantagen in den Fluss gelangen, verändern die Vegetation und lassen sie wuchern. Von der Quelle her treibt giftiges Quecksilber hinab, das Goldsucher einsetzen, um das kostbare Metall im Boden sichtbar zu machen.

Doch nach einiger Zeit ersetzen hochragende Bäume die breitblättrigen Palmen. In ihren Wipfeln bewegen sich Makaken, großnasige oder langschwänzige, und vereinzelt ein von Ast zu Ast hüpfender Gibbon. Ein Anblick, der die Wissenschaftlerinnen die verheerte Umgebung für Augenblicke vergessen lässt. Die eigentliche Attraktion der Safari jedoch ist selten von Bord, sondern an Land anzuschauen. Die Ausflugskähne legen an Stegen an, um die Reisenden aussteigen zu lassen. Ein Weg führt zu einer Stelle, wo die Orang-Utans, damit sie sich den Besuchern zeigen, regelmäßig Futter erhalten.

Sie folgen weittragenden Lockrufen der Park-Ranger – wie die Schwalben im Hafen. Und tatsächlich bewegen sich bald einige Zweige der Bäume, die im Halbkreis die Kulisse des Schauplatzes bilden. Eine Mutter, deren Junges sich an ihren Leib klammert, schwingt, hangelt und klettert von einer Krone zur nächsten und lässt sich schließlich herab, um die Bananen aufzuheben, die auf einer Bretterbühne für sie bereitgelegt wurden. Vor einem Seil, das sie vom Zuschauerraum trennt, gibt es Bänke für das Publikum.

Bei den meisten Affen scheint es sich um ehemalige Käfigtiere zu handeln

Wenn sich ein Tier nicht wieder hinauf in die Wipfel bewegt, sondern auf den Pfad begibt, der seine Beobachter hergeführt hat, wird es sofort umstellt. Dann richten sich Dutzende Kameras, Smartphones und iPads aus nächster Nähe auf den Primaten – und mit ihnen die Blicke der Primatologinnen. Sie sehen die Szene anders als die entzückten Touristen: Bei den meisten Exemplaren scheint es sich um ehemalige Käfigtiere zu handeln. Nach dem Verlust ihres Lebensraums waren sie den Plantagen zu nahe gekommen, wurden gejagt und verkauft, manchmal gerettet und wieder ausgewildert, nachdem man sie in der Auffangstation auf das Leben im Wald vorbereitet hatte. Weil sie so lange bei Menschen lebten, haben sie ihre natürliche Scheu verloren. Einige lassen sich sogar auf eine Berührung mit den Touristen ein. Schilder, die vor Zudringlichkeiten warnen, werden ignoriert: „Nicht füttern! Nicht anfassen! Leise sprechen!“ Die Wissenschaftlerinnen sind entsetzt.

Hinter dem Mythos verschwindet die Wissenschaft

Von einer Anlegestelle führt der Weg zum „Camp Leakey“. Es ist benannt nach Louis Leakey, dem Mentor der drei prominentesten Affenforscherinnen: Dian Fossey, die sich für die Erhaltung der Berggorillas einsetzte und mit einer Machete ermordet wurde; Jane Goodall, die Schimpansen studierte und inzwischen spirituelle Bücher schreibt; und Biruté Galdikas, die in Indonesien für das Überleben der Orang-Utans kämpft. Eine Tafel erklärt, seit Anfang der 1970er Jahre habe sie hier mit ihrem Team 100 000 Beobachtungsstunden zugebracht. In zwei Räumen zeigt ein Museum die Porträts einzelner Affen, hölzern gerahmt, sowie die Stammbäume ihrer Familien. Viel Platz beansprucht ein künstlicher Baum, der aus Textilien zusammengesetzt ist. Eine Installation aus Streichhölzern soll das Ausmaß der Zerstörung des Waldes anschaulich machen. Holzschnitthafte Figuren des Menschen und der Menschenaffen deuten in einem Land, in dem ein religiöses Bekenntnis gesetzliche Vorschrift ist, den Gedanken der Evolution an. Wobei der Orang-Utan hier neben den Homo sapiens gestellt wird, während eigentlich der Schimpanse genetisch unser nächster Verwandter ist. Als Originalobjekt ist ein Hemd der Primatologin ausgestellt. Nur welche Ergebnisse ihre langjährige Forschung eingebracht hat, erfahren die Besucher nicht. Hinter dem Mythos der Wissenschaftlerin verschwindet die Wissenschaft.

Strapaziöse Fußmärsche, Einsamkeit - und der Zweifel am eigenen Tun

Die Erforschung der Affen in freier Natur ist vielfach herausfordernd, insbesondere emotional. Wer die Tiere nicht in Gefangenschaft studieren möchte, begibt sich in immer kleiner werdende Waldgebiete – und findet sich dort wieder inmitten von Ausflüglern. Dabei gilt es, sich mit dem eigenen Team ebenso zu arrangieren wie mit Einheimischen, die von anderen kulturellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ausgehen: mit lokalen Führern, dem Wirt einer einfachen Unterkunft oder den Pflegern in einer überforderten Auffangstation.

Sogar die Übergabe von Spenden kann zu einer logistischen Schwierigkeit werden. Termine werden verschoben, Quittungen bleiben aus. Gefragt sind Einfühlung, Geduld und Diplomatie. Hinzu kommen Probleme der Hygiene, Hitze und Luftfeuchtigkeit, Tropenkrankheiten und die mühsame Vorsorge mit heftigen Medikamenten und toxischem Insektenspray, die Strapazen der Fußmärsche und des Übernachtens im Freien – Einsamkeit, Langeweile, Niedergeschlagenheit und immer wieder Zweifel am Sinn und Erfolg der eigenen Tätigkeit.

Wut, Enttäuschung und Trostlosigkeit müssen Forschende ausblenden

Alle diese Faktoren bedingen die Primatologie – und damit das evolutionäre Verständnis des Menschen. Aber in wissenschaftlichen Studien müssen die Expertinnen schweigen von ihrer Zuneigung zu den Tieren, ihrem Befremden über deren Zurschaustellung und ihrer Empörung über den Raubbau an der Natur. Ausblenden müssen sie Enttäuschung, Wut und Trostlosigkeit. Obwohl all das ihre Wahrnehmung ausmacht. Emotionen haben in der Wissenschaft keinen Platz, weil sie den Anspruch der Objektivität zu gefährden scheinen. Dabei bestimmen sie die Arbeit mit Affen wie kaum eine andere Disziplin: als zunehmend verzweifelten Einsatz in einer gefährdeten Umwelt für eine aussterbende Art.

Der Autor ist Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Bern. Mit der Primatologin Katja Liebal und dem Ethnologen Thomas Stodulka leitet er das Projekt „Die Affekte der Forscher“, gefördert von der Volkswagen Stiftung.

Oliver Lubrich

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