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Früher Vorfahr. Nach einem Knochenfund in Äthiopien im Jahr 2013 korrigieren Anthropologen den Beginn der Gattung Homo. Offenbar gab es sie bereits vor 2,8 Millionen Jahren.
© Kaye Reed/Science/dpa

Anthropologie: Gattung Homo älter als gedacht: rund 2,8 Millionen Jahre

Ein Unterkiefer aus Ostafrika zeigt: Frühmenschen der Gattung Homo könnten rund 400.000 Jahre früher gelebt haben als bisher angenommen. Und es muss mehrere Arten von Menschen gegeben haben.

„Ich finde das sensationell“, sagt Philipp Gunz vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig mit unüberhörbarer Begeisterung in der Stimme. Der Spezialist für Frühmenschenschädel hat in einer wahren Sisyphos-Arbeit die Überbleibsel eines Urmenschen neu untersucht, die 1964 vom kenianischen Paläoanthropologen Louis Leakey in Tansania entdeckt wurden. Sie werden der ursprünglichsten Art der Gattung Homo zugeordnet, zu der auch der Mensch gehört, zum Homo habilis.

„Als wir mit Computerprogrammen den Unterkiefer dieses Fundes rekonstruierten, entpuppte sich dieser als viel urtümlicher als bisher vermutet“, sagt Gunz. Auf 2,4 Millionen Jahre wurde Homo habilis bislang geschätzt. Die Wurzeln unserer Gattung scheinen aber einige hunderttausend Jahre weiter in der Vergangenheit zu liegen, berichten Gunz und Kollegen im Fachblatt „Nature“. „Wir zogen auch Rückschlüsse, wie der Vorfahre dieses urtümlichen Menschen ausgesehen haben könnte“, ergänzt Fred Spoor, der ebenfalls am EVA forscht.

Eine zweite Forschergruppe liefert prompt die Bestätigung

Doch bislang konnte niemand Überbleibsel eines solchen Vorfahren des Homo habilis finden, der eine Verbindung zu den älteren, noch sehr affenähnlichen Vorfahren des Menschen, den Australopithecinen, wäre. „Fast wie auf Bestellung fanden unsere Kollegen dann in Äthiopien neue Fossilien von einem Unterkiefer, die genau zu diesem Vorfahren passen könnten“, sagt Spoor. Im Fachblatt „Science“ berichtet eine Forschergruppe um Brian Villmoare von der Universität von Nevada über diesen Fund, der die Analysen von Spor und Gunz bestätigt: Der neu entdeckte Unterkiefer ist mit 2,75 bis 2,80 Millionen Jahren fast eine halbe Million Jahre älter als der älteste Fund, der der Gattung Homo zugeordnet werden kann.

Homo-Puzzle. Die fossilen Reste eines Unterkiefers, Schädel- und Handknochens eines Homo habilis wurden 1964 in Äthiopien gefunden.
Homo-Puzzle. Die fossilen Reste eines Unterkiefers, Schädel- und Handknochens eines Homo habilis wurden 1964 in Äthiopien gefunden.
© Nature/John Reader

In dieser Zeit war die Afar-Tiefebene Äthiopens, wo die Überreste von Homo habilis gefunden wurden, eine weite Savanne mit vielen niedrigen Büschen und ein paar Wäldern an den Ufern eines Flusses, in dem sich neben Fischen auch Krokodile und Flusspferde tummelten. So beschreibt Erin DiMaggios Forscherteam von der Universität von Pennsylvania ebenfalls in „Science“ die damalige Landschaft, in der die Vorfahren der Gattung Homo das Leben in den Bäumen aufgegeben haben und sich zu Zweibeinern entwickelten, die als Dauerläufer in der Savanne nach Essbarem Ausschau hielten.

Es wurde trockener, die Wälder lichter

Der jetzt im Afar-Dreieck gefundene Unterkiefer ähnelt dem berühmten Skelett von „Lucy“, das 1974 in der gleichen Region entdeckt wurde. Lucy lebte vor rund 3,2 Millionen Jahren, trägt weniger menschliche Merkmale als Homo habilis und wird deshalb nicht nur einer anderen Art, Australopithecus afarensis, sondern auch einer anderen Gattung als Homo zugeordnet. Die inzwischen ausgestorbenen Australopithecinen stammen von einem vor fünf oder sechs Millionen Jahren lebenden Urahnen ab, der noch in den Bäumen des Regenwaldes lebte. Aus ihm entstanden die auch heute noch durch die Baumwipfel turnenden Schimpansen und Bonobos.

Die Knochenstücke wurden am Computer virtuell zusammengefügt. Sie werfen ein neues Licht auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit.
Die Knochenstücke wurden am Computer virtuell zusammengefügt. Sie werfen ein neues Licht auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit.
© Abb.: Nature/Philipp Gunz, Simon Neubauer, Fred Spoor

Als das Klima im Osten Afrikas trockener und die Wälder lichter wurden, scheinen einige dieser Affen ihren Lebensmittelpunkt vom Kronendach auf den Waldboden verlegt zu haben. Da man in lichten Wäldern und Savannen auf zwei Beinen mit relativ wenig Energieaufwand vorankommt, war der Gang auf zwei Beinen ein Überlebensvorteil und nach einiger Zeit entwickelten sich verschiedene Australopithecus-Arten. Dabei lebte Lucys Sippe noch in einer Landschaft, die deutlich feuchter und bewaldeter war als zur Zeit von Homo habilis vor 2,8 Millionen Jahren, aus der der nun gefundene Unterkiefer stammt, sagt DiMaggio.

Ein wesentlicher Moment der Menschheitsgeschichte

Damals wurde es im Afar-Dreieck deutlich trockener und die Tierwelt der Region passte sich an die neuen Bedingungen an. Neue Säugetierarten entwickelten sich, während etliche der früheren Bewohner verschwanden. Dieser Übergang zu einem trockeneren Klima zwang auch die Australopithecus-Arten zur Anpassung, wodurch allmählich Arten entstanden, die heutigen Menschen ähnlicher waren und der Gattung Homo zugeordnet werden – wie Homo habilis.

Tatsächlich ähnelt der jetzt entdeckte Unterkiefer solchen von Australopithecus-Individuen. Die Zähne aber weisen sehr deutlich auf die Gattung Homo hin, meinen Brian Villmoare und seine Kollegen. Offensichtlich gehören diese Fossilien also zur Gattung Homo, erklären die Forscher, geben der neuen Art aber noch keinen Namen. Sie könnte daher durchaus zu den gesuchten Vorgängern von Homo habilis gehören. Das lässt auch der von den EVA-Forschern jetzt erneut untersuchte Unterkiefer dieser Art vermuten. „Der neue Fund könnte aber auch zu zwei weiteren Linien Homo erectus und Homo rudolfensis geführt haben, die ähnlich wie Homo habilis vor rund zwei Millionen Jahren lebten“, sagt Philipp Gunz. Der EVA-Forscher hat also allen Grund, von einer Sensation zu sprechen: Die jetzt im Afar-Dreieck gefundenen Fossilien geben Einblick in einen ganz wichtigen Moment in der Menschheitsgeschichte.

Drei Linien der Gattung homo - zur gleichen Zeit

Möglich wurde dieser Vergleich des 2,8 Millionen Jahre alten Unterkiefers aus Äthiopien mit Homo habilis erst durch die Rekonstruktion der Fossilien aus Tansania, deren Unterkiefer unter der Erde kräftig verformt wurde. Nachdem die EVA-Forscher mit Computertomografie diese Knochen durchleuchtet hatten, konnten sie aus den Daten der verschobenen Teile die ursprüngliche Form des Unterkiefers wiederherstellen. Und hatten damit eine weitere Überraschung auf dem Computerbildschirm: „Die Unterschiede zwischen den Linien Homo habilis, Homo rudolfensis und Homo erectus sind zum Teil so groß wie zwischen modernen Menschen und Schimpansen“, wundert sich Gunz. Vor rund zwei Millionen Jahren lebten in Ostafrika also mindestens drei Linien der Gattung Homo gleichzeitig, deren Gesichter sich sehr deutlich voneinander unterschieden.

Auch vom Schädel des in Tansania gefundenen Homo habilis konnte Louis Leakey 1964 nur kleine Bruchstücke bergen, die in den Leipziger Computern jetzt virtuell wieder zu einem Schädel zusammen gesetzt wurden. Und wieder staunten die EVA-Forscher: Das Gehirn von Homo habilis war offensichtlich erheblich größer als bisher angenommen. Genau wie bei den verwandten Linien Homo erectus und Homo rudolfensis passte in den relativ großen Schädel ein Gehirn mit ungefähr 0,7 bis 0,8 Litern Volumen. Das Denkorgan von Australopithecus war dagegen mit 0,4 bis allenfalls 0,5 Litern nur wenig größer als bei Schimpansen und Bonobos, während der moderne Mensch mit voluminösen Gehirnen von beinahe 1,4 Litern aufwartet. Auch das Denkorgan hatte sich also damals schon weiterentwickelt – und zwar bei allen drei Homo-Linien.

Große Daumen und breite Fingerspitzen

Dazu passen dann auch die Fossilien der Hand des Homo habilis, die Louis Leakey 1964 zusammen mit den Schädelfragmenten und dem deformierten Unterkiefer in Tansania gefunden hatte: Der große Daumen und die breiten Fingerspitzen zeigen, dass die Frühmenschen damals schon relativ geschickt mit ihren Händen arbeiten konnten. Das größere Gehirn lieferte den nötigen Grips, um geschickt die ersten Werkzeuge zu basteln. Auch die fand Louis Leakey ganz in der Nähe der Fossilien des Homo-habilis-Frühmenschen. Grund genug für Leakey, seinem Fund den wissenschaftlichen Namen Homo habilis zu geben, was nichts anderes als „geschickter Mensch“ bedeutet. Unter sich sprechen die Anthropologen allerdings gern vom „Handyman“, dem Handwerker-Menschen, dessen Nachfahren bereits seit mindestens 2,8 Millionen Jahren die Welt bevölkern und verändern.

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